Bayerischer Wald. 19,7 Prozent Stimmenanteil im Landkreis Freyung-Grafenau, 20,2 Prozent im Landkreis Regen. Die beiden Gebietskörperschaften im Bayerischen Wald belegen nach den Europawahlen im Juni in puncto AfD-Wählergunst die Plätze eins (REG) und zwei (FRG) im Freistaat. Zahlen, die die Vertreter der angestammten demokratischen Parteien (einmal mehr) in Alarmbereitschaft versetzen müssten – gerade angesichts der Tatsache, dass die AfD in Bayern als rechtsextremistischer Verdachtsfall vom Verfassungsschutz beobachtet wird.
Nachdem das Onlinemagazin da Hog’n zunächst (teils vergebens) mit den Bürgermeistern der fünf AfD-Hochburgen in den beiden Landkreisen der Frage auf den Grund gehen wollte, warum in den Gemeinden Gotteszell, Rinchnach, Eppenschlag, Neuschönau und Haidmühle quasi jede vierte Waidlerin und jeder vierte Waidler für die rechtspopulistische Partei stimmte, haben nun die für den Bayerwald zuständigen (demokratischen) Landtagsabgeordneten das Wort. Martin Behringer (Freie Wähler), Toni Schuberl (Die Grünen), Josef Heisl und Stefan Ebner (beide CSU) haben unsere Fragen beantwortet, Roswitha Toso (Freie Wähler) sah sich aufgrund einer Auslandsreise und ihres Urlaubs dazu außerstande.
„Leider fallen die Leute darauf rein“
Was denken Sie persönlich: Warum ist der Anteil der AfD-Wähler im Bayerischen Wald derart hoch? Welche Gründe gibt es hierfür?
Schuberl: Es sind nicht materielle Sorgen, denn der Bayerische Wald war noch nie so reich, wie jetzt. Ich glaube, dass es in erster Linie kulturelle Gründe sind. Mein Großonkel erzählte mir, dass die Straßen immer von Holzscheiten übersät waren, nachdem die Jungs vom Nachbardorf ins Dorf gekommen sind, weil sie ihre Mädchen gegen diese fremden Jungen verteidigten, indem sie Holzscheite auf die Eindringlinge schmissen. Und nun erwarten wir, dass die Ankunft von jungen Syrern begrüßt wird. Es ist üblich gewesen, dass der Bedienung im Wirtshaus auch mal auf den Hintern geklatscht und dies mit einem dreckigen Witz kommentiert worden ist. Und nun soll man sich Gedanken zu diskriminierungsfreier Sprache machen.
Das Auto ist der größte Stolz und man sparte den letzten Euro, um dieses Wunderwerk der Technik, entwickelt von Generationen bester deutscher Ingenieure, vor der Tür stehen zu haben. Und nun soll es die falsche Technik sein. Die AfD spielt bewusst auf diese Gefühle an – und gibt einem die vermeintliche Bestätigung, dass sich nichts ändern müsse. Leider fallen die Leute darauf rein.
Heisl: Die sind sicherlich vielschichtig und teils ganz individuell – unter anderem zählen Unzufriedenheit, Protest und auch Unsicherheit dazu. Ein weiterer Grund ist in meinen Augen die ländliche und vor allem auch grenznahe Lage. Für die Bevölkerung im Bayerischen Wald spielt sich beispielsweise die illegale Migration direkt vor der eigenen Haustür ab. Und allgemein führen Entscheidungen der Bundesregierung dazu, dass der ländliche Raum gefühlt benachteiligt anstatt gestärkt wird – als Beispiel führe ich hier nur das Heizgesetz an. Aufgrund dieser Benachteiligung entstehen Unmut und eine Unzufriedenheit.
Behringer: Der hohe Anteil der AfD-Wähler im Bayerischen Wald lässt sich derzeit durch mehrere Faktoren erklären. Zum einen herrscht aktuell eine allgemeine Unzufriedenheit im Land, insbesondere das „Gefühl“, vernachlässigt und abgehängt zu werden – gerade im ländlichen Raum. Die AfD profitiert stark von diesem Potenzial an Protestwählern, die so gegen die aktuellen politischen Zustände und die Ampel aufbegehren. Diese Bedingungen von Unsicherheit und Unzufriedenheit nutzt die AfD geschickt aus. Obwohl anzumerken ist, dass die AfD sehr wenig Interesse an den Belangen des ländlichen Raums zeigt, was sich in zahlreichen Abstimmungen im Landtag schon gezeigt hat.
Ebner: Die ganz einfachen Erklärungen gibt’s nicht, die Ursachen sind aus meiner Sicht vielfältig. Erstmal zwei grundsätzliche Gedanken: Die Menschen im Bayerischen Wald sind heimatverbunden, traditionsbewusst und leistungswillig. Die Region war historisch ein wirtschaftliches Notstandsgebiet mit bis zu 40 Prozent Winterarbeitslosigkeit. Durch die harte, meist körperliche Arbeit der Menschen hat die Region stark aufgeholt. Im Umkehrschluss heißt das: Für Arbeitsunwilligkeit und Arbeitsverweigerung gibt es wenig Verständnis, genauso für einen Staat, der dieses Verhalten durch Leistungen wie das Bürgergeld zusätzlich fördert.
Hinzu kommen Abstiegsängste. Die sind zwar überall in Deutschland sichtbar, möglicherweise aber im Bayerischen Wald ausgeprägter: Über Generationen haben sich die Menschen mit viel Einsatz aus einem kargen Leben befreit. Diesen Wohlstand will man halten und keinesfalls zurückfallen. Von diesen beiden Gefühlslagen könnte die AfD überdurchschnittlich profitieren.
„Diese Entwicklung bereitet mir durchaus Sorge“
Wie stehen Sie zu dieser Entwicklung: Bereitet es Ihnen eher Sorge? Oder sehen Sie sie eher gelassen?
Schuberl: Da wir wissen, was es bedeuten kann, wenn eine rechtsextreme Partei Macht in Deutschland erlangt, bereiten mir die Wahlergebnisse schon Sorge. Aber auch bereits jetzt wirkt sich jede Stimme für die AfD aus, indem sich die politische Stimmung dadurch dreht. Der Erfolg der AfD hat bereits dazu geführt, dass Sozialleistungen für die Ärmsten der Armen und die Gleichberechtigung von Frauen in Frage gestellt werden und dass Migranten und Homosexuelle wieder Angst haben in unserem Land.
Gleichzeitig bin ich Optimist und weiß, dass unser Land heute sehr viel stärker in der Demokratie verankert ist und dass unser Land noch nie so liberal war, wie heute, so dass ich guten Mutes bin, dass wir uns dieser Bedrohung unserer sozialen und liberalen Gesellschaft erfolgreich entgegenstellen werden.
Heisl: Ich stehe den politischen Ansichten der AfD absolut kritisch, teils mit Schrecken, gegenüber. Deren Politik ist für mich ein Antrieb, noch intensiver die großen politischen Themen anzugehen und zu lösen, die die Menschen bewegen – das wird dann wiederum Auswirkung auf die Zustimmung für die AfD haben.
Behringer: Diese Entwicklung bereitet mir durchaus Sorge. Weitere Wahlgewinne der AfD erschweren die Mehrheitsfindung innerhalb der demokratischen Mitte. Einen Wahlsieg im Osten könnte die gesellschaftliche Polarisierung beschleunigen und den sozialen Zusammenhalt ernsthaft gefährden. Vor allem beunruhigt es mich, dass es die etablierten Parteien aktuell nicht schaffen, die verlorenen Wähler zu ihnen zurückzuholen – und sie nicht dazu in der Lage sind, adäquate politische Angebote für die Bürgerinnen und Bürger zu schaffen.
Ebner: Jeglicher Zuspruch zum Extremismus – egal ob er links oder rechts ist – bereitet mir Sorgen. Unsere Aufgabe ist es jetzt, die Probleme zu lösen, vor allem bei der Migration. So können wir das Vertrauen der Menschen zurückgewinnen.
„Dies ist über ganz Deutschland hinweg zu erkennen“
Anders gefragt: Was bringt den Wähler ausm Woid offenbar eher als anderswo dazu, seine Stimme der AfD zu geben? Warum gibt es offenbar diese regionalen Unterschiede?
Schuberl: „My Home is my castle“ ist ein in weiten Teilen gelebtes Motto, das sich im Kleinen in Haus und Garten findet und im Großen auch politisch ausdrückt – in einer Abwehr von kultureller Veränderung und fremden Einflüssen. Dazu kommt eine eigentlich recht symphatische Widerständigkeit des Waidlers gegen obrigkeitliche Vorgaben. Das widersprüchliche daran ist, dass dann mit der AfD eine Partei gewählt wird, die Diktaturen unterstützt und unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung abschaffen will.
Heisl: Ich beziehe dies nicht nur auf unseren Bayerischen Wald, sondern dies ist über ganz Deutschland hinweg zu erkennen – im ländlichen Raum erfährt die AfD mehr Zustimmung als im städtischen Bereich.
Behringer: Die Leute spüren natürlich, dass sie abgehängt werden. Die Zukunft findet für die etablierten Parteien meist in den Metropolen statt. Die Politik der Ampelkoalition im Bund ist dafür das beste Beispiel. Selbstverständlich müssen wir den Wandel hin zu einer klimaneutralen Wende schaffen, dennoch sind die Maßnahmen oft nicht zu Ende gedacht. Wenn Regierungsvertreter von Umweltschutz, Windanlagen und ÖPNV reden, können wir auf dem Land meist nur müde lächeln.
Am Ende stehen die Stromtrassen in unseren Hinterhöfen, ebenso wie die Windräder. Umweltschutz übernehmen wir, immerhin findet die Natur bei uns statt. Das erschwert wiederum unsere Entwicklungen in den Städten, Märkten und Gemeinde sowie in der Landwirtschaft. Bei diesen Themen entsteht natürlich ein Ungleichgewicht, für das die Menschen sehr sensibel sind und sie dazu bringt, ihr „Glück“ bei anderen Repräsentanten zu suchen.
„Dass die Einheimischen dann rebellieren, ist verständlich“
Ebner: Oben habe ich Gründe in der Geschichte der Region genannt. Es gibt aber noch mehr: Einerseits ist das Wahlverhalten im Bayerischen Wald schon immer deutlich konservativer als in vielen anderen Regionen. Bei den letzten Landtagswahlen haben circa 85 Prozent der Menschen im Bayerischen Wald nicht links gewählt. Davon profitiert auch eine AfD. Außerdem ist die verfehlte Migrationspolitik der letzten Jahre oft vor der Haustür sichtbar, wenn Schleuser Migranten einfach am Straßenrand aussetzen.
Ein Beispiel: Im August 2023 wurden im Landkreis Freyung-Grafenau alleine an einem Tag 75 Geschleuste von der Polizei aufgegriffen. Verschärfend hinzu kommen die Fälle, in denen in kleinen Orten überproportional viele Migranten untergebracht werden oder werden sollen. Beispiel: Rabenstein bei Zwiesel, wo wir das aber glücklicherweise – auch mit Hilfe von Innenminister Joachim Herrmann – abwenden konnten. Dass die Einheimischen dann rebellieren, ist verständlich. In großen Städten fallen die neuen Bewohner weniger ins Gewicht – und damit fallen sie auch weniger auf.
Umfrage: Stephan Hörhammer
Im zweiten Teil unserer großen Hog’n-Umfrage zum Thema „AfD im Bayerischen Wald“ haben wir die Abgeordneten nach ihrer generellen Einstellung zu den „Blauen“ gefragt, wollten wissen, wie sie die an die AfD verlorene gegangene Wählerschaft wieder ins eigene Lager zurück zu holen gedenken und ob der hohe AfD-Wähleranteil auch regionalpolitische Ursachen hat…
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