Es ist der klassische Lebensweg vor allem in ländlichen Räumen wie dem Bayerischen Wald: Zwei Menschen lernen sich kennen, verlieben sich, heiraten, bauen ein Haus – und bekommen Kinder. Fehlt eine dieser Komponenten, fühlen sich nicht wenige „unvollständig“, „unerfüllt“, vielleicht sogar „unvollkommen“. Hinzu kommen Blicke und das Geschwätz der Leute, die sich ihre ganz eigenen Theorien hinsichtlich der Frage zusammenreimen, warum denn nun noch immer keine Babys umherrennen – wo sie nun doch schon so lange ein Paar sind…
Mehr und mehr Menschen entscheiden sich jedoch ganz bewusst dafür, keine Kinder zu bekommen. Die Gründe dafür sind facettenreich – vielen mangelt es am Bedürfnis nach Elternschaft oder sie wollen sich auf den eigenen Lebensplan konzentrieren. Auch klimatische und politische Beweggründe veranlassen so manchen dazu, ohne Kinder alt zu werden. Marie, Eyleen, Carolin und Lima stellen sich gegen die gesellschaftliche Erwartung, Mutter zu werden – und haben sich für eine Sterilisation entschieden. Ihre Wahl stößt jedoch auf Widerstand und Vorurteile…
Sterilisation mit 19 – Marie
Bücher liegen verstreut auf einer Couch, an einer Wand hängen eingerahmte Bilder von Eishockeyspielern. In allen Ecken des Wohnzimmers befinden sich Fanartikel des Fußballvereins FC Bayern München. Die Einrichtung der kleinen Dreier-WG spiegelt die Persönlichkeit der 20-jährigen Marie vollkommen wider. In ihrem jungen Alter hat die sportbegeisterte Studentin bereits eine Entscheidung getroffen, die nicht mehr rückgängig zu machen ist. Sie wusste schon immer, dass sie niemals Kinder bekommen möchte – und hat sich mit 19 Jahren sterilisieren lassen.
Als Marie ihrem Umfeld von dieser Entscheidung erzählt, stößt sie auf unterschiedliche Reaktionen. Für ihre Mutter ist es keine Überraschung, da die beiden bereits offen über das Thema gesprochen haben und sie die Tochter in ihrem Entschluss unterstützt. Zudem bemerkte sie schon in Maries Kindheit und Jugend, dass sie keine Kinder mag. „Das war auf Familienfesten vielleicht etwas offensichtlich. Ich war dann doch lieber bei den Erwachsenen, die Fußball geguckt haben“, erinnert sich Marie.
Doch nicht alle in ihrer Familie reagieren verständnisvoll. Marie ist in einem Mehrgenerationenhaus aufgewachsen und einige Familienmitglieder können ihre Entscheidung absolut nicht nachvollziehen. Ihre Tante hat für zwei Monate kein Wort mit ihr gesprochen und beharrt darauf, dass der Wunsch nach Kindern mit der Zeit noch kommen wird. Auch ihr Großvater war zunächst schockiert, hat aber inzwischen ihre Entscheidung akzeptiert – mit den Worten: „Immerhin kannst du dann keine Teenie-Mutter werden.”
Das Alter als Hürde bei einer Sterilisation
In Maries Jugend verfestigt sich eine allgegenwärtige Angst vor einer Schwangerschaft, die sie immer mehr in ihrem Leben einschränkt und daran hindert, Erfahrungen zu sammeln. „Ich hatte unfassbare Angst, intim mit Menschen zu werden, weil ich Angst davor hatte, schwanger zu werden“, blickt sie zurück. Verhütungsmethoden wie die Pille, Kondome oder die Spirale seien ihr zu unsicher, da Schwangerschaften trotzdem passieren können. Die Sterilisation scheint die Erlösung für Maries Ängste und Sorgen zu sein – und ist für viele der finale Schritt zu einem kinderfreien Leben.
Menschen, die bewusst kinderfrei leben, werden noch immer mit Vorurteilen konfrontiert. Das oft gehörte Argument, ein Partner könnte für den großen Umschwung sorgen und einen Kinderwunsch wecken, macht für Marie wenig Sinn. „Das könnte mein Traummann sein, aber wenn das nicht übereinstimmt, dann werden wir uns auch im Rest der Beziehung nicht verstehen.“
Vor allem weil Marie mit ihren 19 Jahren noch sehr jung war, stellte sich die Suche nach einem passenden Arzt oder Ärztin für die Sterilisation als eine Herausforderung dar. Mit welchen Vorurteilen Marie dabei konfrontiert wurde und wie die Operation abgelaufen ist, erzählt sie in der folgenden Podcast-Episode.
Dabei kommt zusätzlich Stephanie Barth zu Wort, die als Oberärztin am Isarklinikum Beckenbodenzentrum in München Sterilisationen durchführt. Sie erzählt, worauf sie beim Vorgespräch achtet und wie die Operation abläuft.
Mit der Sterilisation geht für Marie ein Traum in Erfüllung. Ein Jahr später blickt sie mit Stolz auf ihre Entscheidung zurück und bereut den medizinischen Eingriff kein bisschen.
„Jetzt kann ich alles ausprobieren, was ich will und kann durch die Welt gehen ohne Angst zu haben.“ (Marie Melson)
Ein Blick in die Zukunft
Für ihre Zukunft kann Marie sich vorstellen, mit Freundinnen und Freunden oder einem Partner bis an ihr Lebensende zusammenzuleben. Ein Haustier als Begleiter durch ihr Leben hat sie bereits. Mit ihrem Hund Artemis unternimmt sie Sachen, die andere mit ihren Kindern machen würden. Einmal im Jahr nimmt sie ihn mit in den Urlaub – und zu seinem Geburtstag gibt es das volle Programm mit eingeladenen Gästen, Hundekuchen und Dekoration.
Platz für ein Kind bleibt da nicht – und mit der Unterstützung ihrer Freunde und Mutter blickt Marie optimistisch auf ihr zukünftiges Leben. „Sie hat schon vor Jahren damit abgeschlossen, irgendwann Enkelkinder zu bekommen. Sie hat meinen Hund quasi als haariges Enkelkind, das reicht ihr.“
Ein langer Weg zur Sterilisation – Eyleen
Ähnlich wie Marie hat sich auch Eyleen für eine Sterilisation entschieden. Von der Entscheidung zu diesem Schritt bis hin zur endgültigen Operation ist jedoch mehr Zeit vergangen. Zwar setzt sich die jetzt 27-Jährige schon früh mit dem Thema und der Operation auseinander, aus Angst vor Ablehnung erfolgt die eigentliche Kontaktaufnahme mit einer möglichen Praxis aber erst Jahre später.
Mit Anfang 20 hört sie zum ersten Mal von der Möglichkeit einer Sterilisation, damals schätzt sie ihre Chancen, einen geeigneten Arzt oder eine geeignete Ärztin zu finden, aber eher schlecht ein. „Ich habe auch schnell gemerkt: In meinem Alter kann ich das eigentlich vergessen, weil es da keine Ärzte gibt, die das machen wollen würden. Aber es hat mich nicht losgelassen und ist noch lange in meinem Kopf rumgeschwirrt“, beschreibt sie die Situation von damals.
Eyleen wusste schon ihr Leben lang, dass das Muttersein nicht das Richtige für sie ist. Statt „Vater, Mutter, Kind“ spielt sie „Vater, Mutter, Haustier“ – und sagt schon mit zwölf Jahren, dass sie keine Kinder möchte. Mit dem Erwachsenwerden kommen noch weitere Gründe dazu, weshalb die 27-Jährige keine Mutter sein möchte: „Ich kann mir nicht vorstellen, mich als Person komplett einem Kind widmen und dadurch auch mein komplettes Leben anpassen und ändern zu müssen.”
Die Verantwortung für ein kleines Lebewesen zu übernehmen und ihren kompletten Lebensstil anzupassen, geht nicht mit ihrer Vorstellung vom Leben einher. „Ich mag das nicht, die ganze Zeit begrabbelt und betatscht zu werden – ich brauche Zeit für mich selber. Ich mag es gerne, mal meine Ruhe und Stille zu haben.” Gründe, die für Eyleen gegen das Muttersein sprechen. Auch der Gedanke, die Schwangerschaft mit all ihren körperlichen Auswirkungen zu durchleben und das Kind selbst auszutragen, macht ihr Angst. Eine Sterilisation als endgültige Sicherheit davor scheint die Lösung zu sein.
Bis zur OP muss sie mehrere Etappen und Hürden bewältigen
Nach ihrem ersten Berührungspunkt mit dem Thema beschäftigt sich Eyleen mit 24 nochmal mit der Sterilisation. Mithilfe des Vereins Selbstbestimmt steril macht sie einen Arzt ausfindig, der den Eingriff trotz ihres jungen Alters und der Kinderlosigkeit vornehmen würde. In Eyleens Heimatstadt Hannover führen zwar zwei Mediziner Sterilisationen durch, jedoch nur unter gewissen Voraussetzungen: Sie nehmen den Eingriff entweder erst ab 30 Jahren oder nur bei Frauen, die bereits Kinder haben, vor. Der Arzt in Hameln scheint da die nächstgelegene Option zu sein. Aus Angst davor, dass ihre Entscheidung lediglich belächelt wird und ihr die Operation verwehrt bleibt, meldet sie sich erst zwei Jahre später bei dem für sie passenden Arzt und vereinbart ein Vorgespräch.
„Würden Sie denn Kinder bekommen, wenn von heute auf morgen politisch und im Hinblick auf das Klima alles perfekt werden würde? Oder was machen Sie, wenn Sie morgen Ihren Traumprinz treffen und er Kinder möchte?”, fragt Eyleens Arzt im Vorgespräch.
Diese und weitere Fragen werden ihr gestellt – und Eyleen kann sie selbstsicher beantworten, denn: Auch in einer perfekten Welt will sie keine Mutter sein – und ihr Traumprinz möchte keine Kinder. Außerdem stellt ihr Arzt sicher, dass sich seine Patientin bereits mit ihrer Familie über ihre Entscheidung verständigt hat und auch für böse Kommentare gewappnet ist: „Da hat er eben recht schnell gesagt, alles gut, er sieht, das ist keine Schnapsidee, sondern ich hab mir Gedanken gemacht und dem Ganzen schon ausgesetzt.“
Bevor sie ihren endgültigen Termin für die Operation vereinbaren darf, muss Eyleen aber nochmal zu pro familia, eine bundesweite Beratungsstelle zu den Themen Schwangerschaft, Sexualität, Partnerschaft und Elternsein. Dort soll sie eine Bestätigung für ein Beratungsgespräch erhalten, welche ihr Arzt als Bedingung für die OP stellt. Eyleens Sorge, pro familia würde alles versuchen, um sie umzustimmen, bleibt unbegründet. Statt ihre Entscheidung zu hinterfragen, gibt die dortige Mitarbeiterin ihr die Möglichkeit, Fragen zur Sterilisation zu stellen.
Dieses letzte Gespräch dient zur unabhängigen Beratung und Aufklärung abseits des Arztes und ist somit noch eine weitere Formalität. Dadurch soll erneut sichergestellt werden, dass die Entscheidung nicht leichtfertig getroffen wird, sondern sorgfältig durchdacht ist. Nach fünf Minuten verlässt Eyleen das Büro wieder mit dem Zettel – und darf endlich ihren OP-Termin vereinbaren.
Von Hannover aus macht sich Eyleen im November 2023 auf den Weg nach Hameln. Gleich morgens um 8 Uhr ist dort ihre Sterilisation angesetzt. Trotz Müdigkeit freut sie sich auf die Operation und ist froh, dass der Tag endlich gekommen ist. Nach jahrelangen Überlegungen, Monaten der Arztsuche, Vorgesprächen und dem Warten auf den Termin ist der Eingriff selbst nach einer Dreiviertelstunde vorüber.
„Es ist so eine Last von mir abgefallen. Ich kann keine Kinder mehr kriegen und das ist so ein geiles Gefühl für mich, diese Sicherheit jetzt zu haben.” (Eyleen Noon)
Geschlechterungleichheit wird auch bei Sterilisationen deutlich
Beinahe zeitgleich, während Eyleen ihre Operation plant, entscheidet sich auch ihr Partner dazu, diesen Schritt zu wagen. Die Arzt- und Terminsuche für seine Vasektomie verläuft jedoch weit weniger kompliziert als Eyleens Prozess. „Für ihn war das alles ein bisschen einfacher. Bei Männern ist das irgendwie nicht so ein krasses Thema wie bei Frauen”, erinnert sie sich. Durch eine schnelle Google-Suche findet er sofort einen passenden Arzt in Hannover und kann dort auch gleich online einen Termin vereinbaren. Sein Vorgespräch fällt viel kürzer als bei ihr aus – und während sie sich verschiedenen fiktiven Zukunftsszenarien stellen muss, wird seine Entscheidung in keiner Weise angezweifelt.
„Es hat mich für ihn gefreut, aber es hat mich unfassbar frustriert und richtig sauer gemacht. Nicht wegen ihm, aber weil das einfach so ungerecht war. Er musste nicht zu pro familia, er wurde nicht vom Arzt eine halbe Stunde lang befragt, sondern: Er sagt, er will keine Kinder – und dann wurde fünf Minuten Smalltalk gemacht.“ Nach seinem Vorgespräch im September folgt der endgültige Operationstermin im Dezember. Die unterschiedlichen Erfahrungen zeigen deutlich, dass Frauen hierbei noch mit Vorurteilen zu kämpfen haben.
„Ich bin schon stolz auf mich“
Um kein unnötiges Operationsrisiko einzugehen und die Kosten zu sparen, entscheidet sich in vielen Fällen nur eine Person in einer monogamen Beziehung für eine Sterilisation. Dass sowohl Eyleen als auch ihr Partner diesen Schritt vollzogen haben, liegt unter anderem daran, dass sie in einer polyamoren Beziehung leben und beide noch weitere Personen treffen. Um dabei den größtmöglichen Schutz zu gewährleisten, schätzt Eyleen die Operation für sich und ihren Partner als sinnvoll ein. Fernab davon war ihr die Sterilisation für sich selbst wichtig, sodass sie sich unabhängig von anderen Personen und Partnern dafür entschieden hat: „Ich bin schon stolz auf mich, dass ich das durchgezogen habe und bin einfach glücklich, dass ich es gemacht habe”.
Jasmin Andreas und Sarah Holzapfel
Im zweiten Teil berichten Carolin und Lima von ihren Erfahrungen rund ums Thema Sterilisation…