Habischried. Auch wenn (wortwörtlich) längst Gras über die Sache gewachsen ist – die Zeit heilt doch nicht alle Wunden. Beim Charm Hotel (einst: „Kur- und Erholungsheim“ der Firma Siemens) in Habischried (Gmd. Bischofsmais) ist sogar das Gegenteil der Fall. Denn früher, als das Gebäude mit dem markanten Schindeldach noch intakt war, hatte man das Gefühl, dass aus der Insolvenz heraus ziemlich schnell etwas passieren könnte – und der Beherbergungsbetrieb wieder seiner Bestimmung nachkommt. Doch seitdem die Anlage vor zwei Jahren fast vollständig ausgebrannt ist, scheint aus dem Sorgenkind endgültig ein Schandfleck geworden. Die Perspektive: überschaubar bis nicht vorhanden.
Noch bis Frühjahr 2026 ist Walter Nirschl Bürgermeister von Bischofsmais. In gut eineinhalb Jahren endet seine dann 18-jährige Amtszeit. Er geht in den Ruhestand. Der 64-Jährige hat viel erlebt in den vergangenen beiden Jahrzehnten als Oberhaupt der Kommune am Fuße des Geißkopfes. Viele Höhen und viele Tiefen. Und es gibt ein Thema, das ihm fast schon körperliche Schmerzen bereitet: das Charm Hotel.
Vom touristischen Aushängeschild zum „Lost Places“-Hotspot
Einst touristisches Aushängeschild des Landkreises Regen wurde das Objekt als Leerstand nach der Insolvenz im Jahr 2016 zu einem Kriminalitätsschwerpunkt. Einbruch, Diebstahl, Vandalismus, Hausfriedensbruch – all diese Delikte standen auf dem Areal in einer kleinen Senke nahe der Ortschaft Habischried quasi auf der Tagesordnung. Das frühere „Kur- und Erholungsheim von Siemens“ wurde zum im Internet gefeierten „Lost Places“- Hotspot.
Und dann das große Feuer am 24. Juli 2022. Auf das Inferno blickt Nirschl mit „Schauern und Grausen“ zurück. „Ich war ja damals beim Einsatz dabei – sowas vergisst man nie“, sagt der Bürgermeister im Hog’n-Gespräch. Er hält kurz inne, als würde er die Bilder von damals noch einmal vor seinem inneren Auge Revue passieren lassen. Dann wiederholt er mit Nachdruck: „Das ist etwas, das bleibt.“ Diese Worte könnten auch von Herrmann Keilhofer stammen. Der Kreisbrandrat (KBR) war Kraft seines Amtes vor 24 Monaten in entscheidender Funktion beim Großeinsatz mit über 40 Freiwilligen Feuerwehren und mehr als 450 Einsatzkräften vor Ort.
6.400 Liter Löschwasser pro Sekunde
Was Tragödien unterschiedlichster Art betrifft, ist der 61-Jährige, der seit 1998 als erster Feuerwehrmann im Landkreis Regen fungiert, so einiges gewohnt. Doch der 24. Juli 2022 hat sich auch bei ihm ins Gedächtnis eingebrannt. „Das war nicht einer von vielen Einsätzen, das war ein herausragendes Ereignis – alleine wegen der Materialschlacht.“ Als Beispiel führt Keilhofer die herausfordernde Löschwasserversorgung an. Acht Leitungen wurden in Windeseile aufgebaut, sodass 6.400 Liter pro Sekunde zur Verfügung standen. Daten, die er ohne zu zögern noch heute abrufen kann. „Das war eine Meisterleistung“, lobt er im Rückblick noch einmal alle beteiligten Wehrler.
Nicht nur, weil sämtliche Handgriffe gesessen haben und somit ein drohender Übergriff auf das angrenzende Waldstück vermieden werden konnte, redet man Keilhofer zufolge innerhalb der Regener Feuerwehren „noch heute oft darüber“. Sondern auch wegen des Ereignisses an sich – und wegen „gewisser Erfahrungswerte“, die im Nachgang in die Ausbildung integriert worden seien. „Ein ganz banales Beispiel: Seit damals legen wir großen Wert auf die Art und Weise, wie bei Löschvorgängen die Schläuche verlegt werden. Seitdem gibt es bei Großeinsätzen eine Schlauchaufsicht, die dafür sorgt, dass alle Zu- und Abfahrtswege befahrbar bleiben.“
„Fünf Jahre noch, dann sieht man nicht mal mehr den Geißkopf“
Alexander Wagner ist eine derjenigen freiwilligen Einsatzkräfte, die in jener historischen Nacht dabei war. „Das wird für immer in Erinnerung bleiben“, versichert auch das Mitglied der FFW Habischried. Ihn beschäftigt aber nicht nur die Vergangenheit rund um das Charm Hotel, sondern vor allem die Gegenwart. In seiner Funktion als erster Vorsitzender der Dorfgemeinschaft Habischried ist ihm die Brandruine, generell die Entwicklung vom Aushängeschild zum Schandfleck, ein Dorn im Auge. „Das ist schade und scheiße“, fasst er die Lage in typisch waidlerischer Direktheit zusammen.
Er berichtet davon, dass das übriggebliebene Gemäuer immer mehr von der Natur „verschluckt“ werde. „Fünf Jahre noch, dann stehst da oben und siehst den Geißkopf nicht mehr, weil alles zugewachsen ist.“ Inzwischen hätte man sich innerhalb der Dorfbevölkerung aber mit der Situation rund um das „Siemens“, wie es genannt wird, abgefunden. „Mal hat es geheißen, dass es nach dem Brand mit dem Insolvenzverfahren schnell geht und es eine Zwangsversteigerung geben wird“, erzählt Alexander Wagner. „Aber passiert ist nichts. Was willst machen, wenn nicht mal der deutsche Staat eingreifen kann?“
Einbrüche? „Nur noch wenige Vorfälle aktenkundig“
Die Staatsgewalt im Sinne polizeilicher Einsatzkräfte muss auch nicht mehr eingreifen. Waren vor dem großen Feuer die Gesetzeshüter aufgrund der gesetzeswidrigen „Lost Places“-Jäger regelmäßig vor Ort, ist dies nun nicht mehr der Fall. „Seit dem Brand 2022 wurden bei hiesiger Dienststelle nur noch wenige Vorfälle aktenkundig. So sind hier fünf Fälle des Hausfriedensbruchs im Jahr 2022 und zwei Sachbeschädigungen am Bauzaun um das Areal 2024 bearbeitet worden“, informiert Polizeihauptkommissarin Doris Schmid, Dienststellenleiterin der zuständigen Polizeiinspektion Regen. Auch die Ermittlungen hinsichtlich der Brandursache sind inzwischen abgeschlossen und an die Staatsanwaltschaft Deggendorf weitergereicht worden.
In diesem Zusammenhang teilt Oberstaatsanwalt Horst Müller mit, dass die Akte zwischenzeitlich geschlossen wurde. „Die Brandursache konnte nicht abschließend geklärt werden. Ein technischer Defekt als Brandursache kann zwar nicht ausgeschlossen werden, liegt aber eher fern“, macht der Jurist deutlich. Heißt: Jemand hat gezündelt. Ob unbewusst oder bewusst, bleibt wohl für immer ungeklärt. „Der zunächst gegen eine Person bestehende Tatverdacht hat sich im Rahmen der Ermittlungen nicht erhärtet. Das Verfahren wurde daher eingestellt“, informiert Horst Müller abschließend.
Klar ist seit der Schließung des Hotels vor acht Jahren insgesamt nur, das vieles unklar ist. Weiterhin sorgt die Gemeinde Bischofsmais mithilfe eines Bauzauns dafür, dass die Brandruine vor Einbrechern geschützt bleibt. „Nachdem die Sensationsgier nach dem Feuer abgeebbt ist, ist da oben nicht mehr viel los“, weiß Walter Nirschl. Gar nichts los ist, wie das Gemeindeoberhaupt berichtet, was eine mögliche Versteigerung des Areals betrifft: „Da tut sich nichts!“ Weiterhin sei der belgische Insolvenzverwalter dem Rathaus-Chef zufolge wenig bis gar nicht erreichbar. Weiterhin gebe es nicht im Ansatz Informationen darüber, was wann mit dem „Siemens“ geplant sei.
Insolvenzverwalter: „Gibt keine Neuigkeiten im Moment“
Auch das Onlinemagazin da Hog’n versuchte bereits mehrmals – wie schon im Rahmen der einschlägigen Berichterstattung Anfang 2022 – via Email Kontakt zu den Liquidatoren aus dem Westen Europas aufzunehmen – mit wenig Hoffnung auf Rückmeldung. Aber dann meldete sich jüngst – völlig überraschend – doch noch einer der Insolvenzverwalter. „Es gibt keine Neuigkeiten im Moment“, schreibt er kurz angebunden. „Wenn es etwas zu berichten gibt, werden wir uns melden.“ Zumindest etwas. Es scheint also tatsächlich jemanden zu geben, der sich um die Belange des Charm Hotels – oder dem, was davon übrig geblieben ist – kümmert und dessen Weg entsprechend begleitet. Ansonsten wächst wirklich noch Gras über die Angelegenheit. Gras, das keine Wunden heilt…
Helmut Weigerstorfer
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