Bayerischer Wald. Gotteszell: 24,5 Prozent. Rinchnach: Rinchnach 24,8 Prozent. Eppenschlag: 25,0 Prozent. Neuschönau: 25,0 Prozent. Und Haidmühle: 26,3 Prozent. Jeder vierte Wähler und jede vierte Wählerin hat in diesen Bayerwald-Gemeinden bei der zurückliegenden Europawahl der AfD seine bzw. ihre Stimme gegeben. Im Landkreis Freyung-Grafenau erreichte die in Bayern als vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall beobachtete Partei 19,7 Prozent, im Landkreis Regen sogar 20,2 Prozent. Nirgendwo sonst im Freistaat erhielt die „Alternative für Deutschland“ mehr Anteile. Doch: Warum ist gerade im Bayerischen Wald die AfD derart erfolgreich?
Alexander Straßner, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Regensburg, selbst gebürtig aus Zwiesel, erklärt sich den großen Zuspruch unter anderem damit, „dass die AfD dort auch von Menschen vertreten wird, die sich vor Ort etwas aufgebaut haben und gut vernetzt sind“. Menschen, mit denen sich die Leute identifizieren könnten, wie er dem BR gegenüber ausführt. Das sei doch „einer von uns“, höre er immer wieder über AfD-Politiker. Und: Das sei doch kein „Nazi“. Gleichzeitig hätten die Menschen in seinem Landkreis die Nase voll von „Vorzeige-Intellektuellen“ in der Politik, die „alles besser wissen“, erklärt Straßner weiter.
Grüne und SPD sollten „moralinsaure Politik“ überdenken
Für Kontroverse sorgende Themen wie etwa ein (vermeintliches) Brennholz-Verbot, das Verbrenner-Aus, E-Mobilität oder der unzureichende ÖPNV haben dem Politikwissenschaftler zufolge die Bevölkerung insbesondere gegen die Ampel-Koalition aufgebracht. Hinzu kam die Angst vor Wohlstandsverlust. Das umstrittene Heizungsgesetz und die problematische Migrationspolitik taten ihr Übriges. Straßner argumentiert bei letzterem mit der sog. Kontakthypothese: Dort, wo es vergleichsweise wenig Kontakt zu Migranten gibt, haben Menschen mehr Vorbehalte gegen Zuwanderung als an Orten, wo es vergleichsweise mehr Kontakt gibt.
„Der Karren steckt tief im Dreck“, resümiert der Akademiker aus dem Bayerwald im BR-Interview. Als Einheimischer und Politikwissenschaftler rät er Parteien wie Grünen und SPD, ihre „moralinsaure Politik“ zu überdenken. Die von ihnen propagierte „Heterogenität“ der Gesellschaft sollten sie nicht „wie eine Monstranz“ vor sich hertragen, wenn dadurch andere Positionen „dämonisiert“ würden. Von der Ampel genauso wie von den Unionsparteien erwartet er sich mehr Bürgernähe, Diskurs-Offenheit, weniger „politische Ausschließlichkeit“.
Auch das Onlinemagazin da Hog’n wollte nach den Europawahlen dem AfD-Erfolg im Woid auf den Grund gehen – und stellte auf seinem Facebook-Kanal der Hog’n-Leserschaft Fragen wie: „Geht es nur um den Protest gegen die Ampel?“ und „Welche Rolle spielt der Faktor Angst vor Überfremdung?“ Eine der Antworten lautete wie folgt:
„Die [AfD] stehen zum Volk! Ihr wollt mehr Rente und auch Steuern gehören wieder gesenkt. Warum baut die Ampel und Co in Peru einen Fahrradweg von unseren Steuergeldern? Fährt da einer von uns Fahrrad? Schaut euch mal unsre Straßen an, kaputt ohne Ende aber für uns ist einfach kein Geld da. Ist ein Beispiel. (…) Es sind viele Ausländer bei der AFD, sind das dann auch Nazis oder wie? Ihr wollt Frieden? Die Ampel und Co. sind aber für Waffenlieferungen. Mit sowas kann man keinen Frieden führen. Gestoppt gehört das und das macht die AfD. Warum sollen wir in Deutschland für die ganze Welt arbeiten? Es gibt viel genug Probleme im eigenen Land! Wer will den bitteschön bis 67 arbeiten? Und dann bekommst vielleicht mal 1.000 Euro Rente, wenn überhaupt! (…) Ich will eine Regierung, die auf uns schaut. Nicht auf die ganze Welt. (…)“
Großes Schweigen im Walde
Ebenso haben wir die Bürgermeister der eingangs erwähnten und als AfD-Hochburgen deklarierten Bayerwald-Gemeinden um die Beantwortung verschiedener Fragen zum Thema gebeten. Keine Rückmeldung bzw. Reaktion gab es – trotz Erinnerungsschreiben – dabei seitens Alfons Schinabeck (Neuschönau), Georg Fleischmann (Gotteszell) und Simone Hilz (Rinchnach). Eppenschlags Rathaus-Chef Peter Schmid teilte mit, dass er dankbar sei, in einem demokratischen Staat leben dürfen und für ihn als Bürgermeister in der Kommunalpolitik alle Bürgerinnen und Bürger gleich seien – unabhängig von der Parteizugehörigkeit. „Deshalb bitte ich um Verständnis, dass ich solche Fragen zur AfD nicht beantworten kann und werde.“
„Gefühl von Zukunftsangst breitet sich aus“
Einzig und allein Roland Schraml, seit September 2023 Gemeindeoberhaupt von Haidmühle, der Kommune mit dem höchsten AfD-Wähleranteil im Bayerischen Wald, stellte sich dem Hog’n-Fragenkatalog, den der CSU-Politiker wie folgt beantwortete:
Herr Schraml, was denken Sie: Warum ist der Anteil der AfD-Wähler in Ihrer Gemeinde derart hoch? Welche Gründe gibt es hierfür?
Aus meiner Sicht handelt es sich um sogenannte Protestwähler. Die Menschen fühlen sich von der aktuell regierenden Politik alleingelassen und ausgenutzt. Sie wollen den „Altparteien“ einen Denkzettel geben. Bei Wahlen werden versprechen gemacht, die nach der Wahl nicht eingehalten werden. Der Bürger hat den Eindruck, dass er nicht ernst genommen wird und die Politik nicht ehrlich zu ihm ist.
Wie stehen Sie zu dieser Entwicklung: Bereitet es Ihnen eher Sorge? Oder sehen Sie sie eher gelassen?
Es bereitet mir persönlich sehr große Sorgen. Kein Mensch kann sich frühere Zeiten zurückwünschen. Zeiten, in denen Misstrauen, Argwohn, Hetze und Gewalt an der Tagesordnung waren. Zeiten, in denen nicht jeder Mensch akzeptiert wurde, wie er war. Zeiten, in denen keine freie Meinungsäußerung galt… Ich denke nicht, dass unsere Gemeindebürger sich diese Zeiten zurückwünschen. Wir alle machen die AfD – unter anderem auch durch die extreme mediale Aufmerksamkeit – immer stärker.
Anders gefragt: Was bringt den Wähler ausm Woid offenbar eher als anderswo dazu, seine Stimme der AfD zu geben? Warum gibt es offenbar diese regionalen Unterschiede?
Da Woid fühlt sich – wieder – abgehängt. Trotz grundsätzlich guter Versorgung breitet sich das Gefühl von Zukunftsangst aus. Die AfD nutzt einfache Botschaften und nutzt „Politik“ als Mittel für Misstrauen, Argwohn, Hetze und Gewalt. Die AfD hört zu und setzt das Gehörte direkt in Botschaften um. Die AfD ist vor Ort und spricht mit den Bürgern. Politiker der AfD sind aus der breiten Bürgerschaft, in Städten herrscht große Anonymität. Es gibt nicht die große Vielzahl von Vereinigungen in unterschiedlichsten Ausprägungen.
„Jeder Bürger kann sich hier finden“
Wie stehen Sie generell zur AfD: Betrachten Sie die Partei als demokratische Partei? Oder sehen Sie die AfD als einen in Bayern zurecht vom Verfassungsschutz beobachteten rechtsextremen Verdachtsfall?
Die AfD stellt sich für mich derzeitig nicht als demokratische Partei dar.
Wie wollen Sie als für die Gemeinde verantwortlicher Bürgermeister versuchen, die AfD-Wählerschaft nun wieder aktiv auf Ihre Seite zu ziehen? Viele ehemalige Wähler Ihrer Partei gingen ja auch an die AfD verloren.
Ich versuche in Gesprächen mit unseren Bürgern pragmatisch, ehrlich und offen die Maske der AfD zu entfernen. Die Maske, hinter der die tatsächlichen Absichten der AfD sichtbar werden. Ich versuche den Bürgern zu zeigen, dass ich als verantwortlicher Bürgermeister ehrlich kommuniziere. Als verantwortlicher Bürgermeister sehe ich es als meine Pflicht auf die Gefahren dieser Entwicklung hinzuweisen. Aus meiner Sicht haben wir in unserem Deutschland ein breites Spektrum an Parteien, die unsere Demokratie schätzen. Jeder Bürger kann sich hier finden!
Was denken Sie: Ist der hohe AfD-Wähleranteil allein den Entscheidungen auf überregional-politischer Ebene geschuldet?
Ja!
„Politik sollte generell versuchen, bürgernäher zu arbeiten“
Für den hohen AfD-Wähleranteil wird immer wieder das „Protest-Argument“ ins Feld geführt: Protest gegen die Ampel-Koalition, die sich mit ihren Entscheidungen immer mehr von der Bevölkerung entfernt und das Land „gegen die Wand fährt“. Wie sehen Sie das: Sind Unzufriedenheit und Protest der Hauptgrund? Oder gibt es einen anderen?
Es gibt nicht den einen Hauptgrund. Unzufriedenheit und Protest sind sicher die schwerwiegendsten Gründe. Ich würde das Thema jedoch nicht allein der Ampel zuschreiben. Die Politik sollte generell versuchen, bürgernäher zu arbeiten. Die Politik sollte versuchen, sich nicht selbst zu verwalten und zu beschäftigen. Sie sollte für den Bürger tätig sein.
Das Erstarken der AfD und deren Zuspruch in der Wählerschaft war bereits deutlich spürbar, als die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD die Bundesregierung stellte. Das Argument, dass unter einer Regierung mit CDU/CSU-Beteiligung die AfD nicht weiter erstarkt wäre, scheint demnach nicht ganz stichhaltig. Wie sehen Sie das?
Die Beziehung zwischen Politik und Gesellschaft unterliegt aus meiner Sicht einem ständigen Wandel und Wechsel. Wann und wie und weshalb eine Partei erstarkt, kann ich nicht beantworten. Der Wunsch nach Veränderung bzw. Verbesserung ist hier vermutlich ein starkes Argument.
„Ängste, die durch die AfD befeuert werden“
Der Ausländeranteil im Bayerischen Wald ist im Vergleich zu anderen Regionen Bayerns relativ gering. Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass gerade hierzulande, wo sich nur ein verschwindend geringer Anteil an Menschen ausländischer Herkunft in der Öffentlichkeit bewegt, die sich klar gegen Zuwanderung positionierende AfD (Stichwort: Remigration) derart großen Zuspruch erfährt?
Wir leben im Grenzgebiet zu Tschechien und Österreich. Eine Vielzahl von Flüchtlingen kommt über diese Grenzen zu uns. In unserer Region sind einige Asylunterkünfte. In den Gemeinden entstehen durch diese Unterkünfte Ängste und Unsicherheit. Ängste, die durch die AfD befeuert werden. Die Politik hat die Aufgabe, klarer Position zu beziehen und einfache klare Regeln zur Zuwanderung aufzustellen. Das Helfen und Unterstützen von Menschen in Not steht außer Frage. Die korrekte Umsetzung wird jedoch von den Bürgern so nicht empfunden.
Wenn Sie ein paar Jahre vorausdenken: Was glauben Sie, wohin sich die AfD entwickeln wird? Welche AfD haben wir in fünf, zehn Jahren hier im Bayerischen Wald?
Ich hoffe, wir reden in ein paar Jahren nicht mehr über die AfD. Ich glaube jedoch, wenn sich die Politik nicht ändert und reformiert, wird die AfD – nicht nur im Bayerischen Wald und im Osten Deutschlands – eine regierende Partei sein. Die Verantwortung dafür würde jeder von uns tragen. Ich wünsche mir, dass jedem bewusst wird, was seine Wahl für Folgen hat.
Umfrage: Stephan Hörhammer