Regenhütte. Das Leben schlägt oft eigenartige Kapriolen. Eigentlich war Birgit Müller mit ihrem Mann Gunnar Schmitt auf der Suche nach geeigneten Räumen für eine „50plus-WG“. Nun betreibt das Ehepaar in Regenhütte ein Wirtshaus samt Dorfladen und Hüttendorf. Eigentlich lief der Start dieses ungeplanten Projekts, das knapp 1,5 Millionen Euro gekostet hat, vielversprechend. Die Mühen schienen sich auszuzahlen. Doch dann: „Der Umsatz ist regelrecht eingebrochen“, hadert die 58-jährige Chefin und ergänzt: „An sich wären wir hier rundum glücklich – wenn das Geschäft besser laufen würde.“
April 2020, erster Corona-Lockdown: Nach einem arbeitsreichen Leben möchten Birgit Müller und Gunnar Schmitt nur noch genießen. „Ich war 25 Jahre lang Altenpflegerin“, blickt die Frau mit den blonden Haaren auf eine intensive Berufszeit zurück. Ihre Idee: eine Wohngemeinschaft mit weiteren „Best Agern“ (Menschen über 50 Jahre) gründen, in der „jeder seinen Bereich hat, seinen Hobbys nachgehen kann, man aber dennoch zusammenhilft“. Die gebürtige Leipzigerin und der Gießener, die sich in Celle kennengelernt haben, hielten deshalb Ausschau nach der passenden Örtlichkeit. Ein großes Haus, vielleicht ein altes Hotel, sollte es werden.
Erst der zweite Blick lohnte sich…
Über Umwege fanden sie im Internet eine Postkarte aus dem Jahr 1970. Darauf zu sehen: der Gasthof Sperl in Regenhütte – „ein Wirtshaus wie aus dem Bilderbuch“. Das Interesse des Ehepaares war geweckt. Mit einer Sondererlaubnis während strenger Covid-Beschränkungen machten sie sich auf in den 700 Kilometer entfernten Bayerwald. Und dann der Schock: „Der erste Eindruck war grausam – verwildert, verwüstet“, erinnert sich die heutige Hausherrin. Das Wirtshaus stand lange leer, diente zwischenzeitlich als Asylunterkunft – und verkörperte das, was man unter einer Bruchbude versteht. „Weil die weite Reise aber nicht umsonst gewesen sein sollte, haben wir uns zumindest das Innere angeschaut.“
Der zweite Blick lohnte sich. Denn die Gasträume waren so gestaltet, wie man sie sich „in einem bayerischen Wirtshaus vorstellt: viel Holz, richtig gemütlich“. Birgit Müller und Gunnar Schmitt waren angefixt. Berauscht vom eigenen Kopfkino. Gerade die 58-Jährige verfügt seit jeher über handwerkliches Geschick – und die nötige Phantasie für eigentlich ausweglose Projekte. Die WG-Pläne wurden mal eben über den Haufen geworfen. Aus dem Ruhestand wurde ein Unruhestand. „Gunnar und ich haben noch einmal so richtig angegriffen. 16 Stunden Arbeit am Tag sind keine Seltenheit, eher die Regel. Ich bin stolz drauf, was wir geschafft haben – aber ein bisschen irre ist es auch…“
Weitere Impressionen von „49gradnord“
Insgesamt hat das Ehepaar Müller/Schmitt rund 1,5 Millionen Euro investiert – finanziert über Erspartes und Kredite. „Viele Malerarbeiten habe ich selber übernommen“, berichtet die 58-Jährige nicht ohne Stolz. Die Gastronomie wurde wieder auf Vordermann gebracht, die dazugehörigen Gästezimmer renoviert. Zudem sind ein Biergarten und ein Dorfladen entstanden. „Mittlerweile ist uns aber klar, dass eine so kleine Einkaufsmöglichkeit nicht rentabel scheint. Ich kann mir vorstellen, hier mit regionalen Herstellern etwas auf die Beine zu stellen.“ Zukunftsmusik.
Mehr oder weniger zufällig erfuhren die neuen Besitzer, dass eine Genehmigung für mehr als 40 kleine Ferienhäuser für ihr neues Areal, auf dem einst ein Forsthaus stand, vorliegt. „Ja, wir dachten uns, sowas wäre ganz nett.“ Aber nicht in diesem Ausmaß. Letztlich einigten sich die beiden auf elf Hütten, die 2022 fertiggestellt worden sind.
Trend Tiny-House-Stil
Benannt wurden sie nach den Koordinaten ihres Heimatorts Regenhütte: 49 Grad Nord. „Das sind jetzt keine Luxuschalets – sowas wollten wir nicht. Bei uns ist jeder willkommen – nicht nur der, der Geld hat.“ Die rund 20 Quadratmeter großen Rückzugsorte sind „einfach, aber gemütlich“, erzählt Birgit Müller und fügt hinzu: „Der Tiny-House-Stil ist ja derzeit trendig. Danach haben wir uns orientiert.“
Und so standen sie und ihr Partner da – und schauten auf ihr verspätetes, nicht für möglich gehaltenes Lebenswerk. Mit Stolz, Freude – aber auch einer gewissen Erwartungshaltung. Das Wirtshaus laufe nach anfänglichen Schwierigkeiten gut. Mit Themenabenden wie einem Musikanten-Stammtisch konnten auch die Einheimischen angelockt werden. „Und sie kommen auch immer wieder“, betont die Neu-Waidlerin. Auswärtige Gäste – sowohl im Gasthaus als auch im Hüttendorf – sind jedoch inzwischen Mangelware. „Seit Jahresanfang ist es zum Verzweifeln.“
„Deutlich besser als ein Hotel“
„Die Zeiten sind ja allgemein schwieriger geworden, wie auch befreundete Hotelliers bekräftigen – es ist aber nur ein kleiner Trost, dass es nicht an uns liegt“, sagt Birgit Müller. Vom touristischen Potenzial im Landkreis Regen sind sie und ihr Mann nach wie vor überzeugt. Die Mischung aus Sommer- und Winter-Outdoor-Möglichkeiten sei unschlagbar. Hinzu komme die Ruhe der Natur im Arberland. Und auch von den kleinen Übernachtungseinheiten sind die beiden nach wie vor angetan. „Das ist deutlich besser als ein Hotel. Hier kann man sich auch mal abschotten, wenn man will. Und den eigenen Hund kann man auch mitbringen.“
Woid-Influencerin „mandyyy_niii“ hat dieses Werbevideo über „49gradnord“ angefertigt
Insgesamt fühlt sich das Ehepaar angekommen. Auch privat. „Es hieß immer, es ist schwierig, mit den Menschen hier klar zu kommen“, geht sie auf ein bekanntes Klischee über die Waidler ein. „Aber das stimmt nicht! Wir wurden gut aufgenommen und fühlen uns hier heimisch.“ Wenn da die Sache mit dem „Geschäftsknick“ nicht wär. Doch: „Ans Aufgeben denken wir nicht“, betont Birgit Müller. „Wir brauchen nur einen kleinen Ruck.“ Und wieder einmal erweist sie sich als kreativ: Unter anderem mit einem eigenen Hüttendorf-Krimi, der nach und nach auf der Homepage veröffentlicht wird, soll das Interesse bei den Gästen geweckt werden. Die 58-Jährige konnte dafür die befreundete Autorin Eve Grass gewinnen.
War das schon alles?
Birgit Müller, die verdientermaßen eigentlich die Beine hochlegen wollte, ist also nun nicht nur Wirtin, Köchin, Bedienung, Herbergsmutter und Hausmeisterin, sondern auch mehr oder weniger Verlegerin. Und irgendwie scheint angesichts der jüngsten Vergangenheit klar, dass das noch nicht alles gewesen ist. Zunächst wünscht sie sich eine deutlich höhere Auslastung für das Hüttendorf „49gradnord“ – und dann werden auch sie und ihr Mann Gunnar an ihrer Aus- bzw. Entlastung arbeiten…
Helmut Weigerstorfer