Bischofsmais/Fahrnbach. Schafkopf-Spieler wissen, was es mit der „Scheijn-Sau“ auf sich hat. Auf der Karte ist ein Wildschwein abgebildet, auf deren Rücken sich ein Hund festkrallt. Es scheint so, als würde er auf der Sau reiten – was dieser wiederum gar nicht zu gefallen scheint. Hund und Wildschwein – das passt einfach zusammen, möchte man meinen. Dass es zwischen den beiden Tieren auch durchaus harmonisch ablaufen kann, zeigt ein Blick ins Schwarzwildgatter in Fahrnbach bei Bischofsmais, dem bis dato einzigen privaten Schwarzwild-Übungsgatter Deutschlands.
Charakterstark sind sie allemal – und gänzlich verschieden: Carlos, Rottenboss und Feigling zugleich, Charles, „der Gefährliche“ mit spitzen Waffen, Sophie, „die Launische“, und Kathi, „die Böse“. Die vier Wildschweine stehen unter der Ägide von Helmut Kappenberger. Der Jäger aus dem Landkreis Regen bildet mit Hilfe seiner tierischen Freunde Hunde für die Schwarzwildjagd aus. Sein Übungsgatter ist eines von nur drei in ganz Bayern und hat mit dem Einzug der gefährlichen Afrikanischen Schweinepest (ASP) in Deutschland einen zweiten Übungsschwerpunkt erhalten. Nach aktuellen ASP-Fällen hat auch das Tierseuchenzentrum Hessen Kontakt mit ihm aufgenommen.
„Leben wie im Fünf-Sterne-Hotel“
Im August 2015 eröffnete Kappenberger sein Gatter – das einzige von bundesweit 20, das sich in Privatbesitz befindet. Alle anderen gehören den Jagdverbänden. „Ich habe interessehalber recherchiert, wie so etwas funktioniert und welche Vorgaben es gibt“, erinnert er sich. Das Landratsamt sei begeistert von seiner Idee gewesen und habe ihn bei der Umsetzung unterstützt. „Der Zulauf war von Anfang an der Wahnsinn“: Aus ganz Deutschland, Tschechien, Österreich (wo Übungsgatter nicht erlaubt sind), Norwegen, Schweden und anderen Ländern kämen Jäger mit ihren Hunden, um sie im Training auf die Schwarzwildjagd vorzubereiten. „Vor allem dient das dem Schutz des Hundes“, erklärt Kappenberger. Gelernt werde dabei unter anderem, dass Sauen komplett unterschiedlich reagieren können.
Helmut Kappenbergers Wildschweine sind besser erzogen als so mancher Hund, wie er augenzwinkernd erklärt. „Ich kann sie abrufen“, sagt er lachend. Die Tiere befinden sich im 1,8 Hektar großen Ruhegatter (Mindestvorgabe ist ein Hektar), wo „sie wie in einem Fünf-Sterne-Hotel leben“. Neben Dickicht, Mischwald und Hochwald gibt es auch Höhlen zum Schutz vor schlechtem Wetter, Schlammsuhlen und Teiche für die „Wellness“. Die Borstenträger sind nicht in freier Wildbahn geboren, der Fahrnbacher Jäger holte sie aus einem Besichtigungsgatter in Amberg zu sich in den Bayerischen Wald. Sie sind tierärztlich untersucht und kastriert, ihr Besitzer betrachtet sie wie Haustiere. Auch der Tierschutz unterstütze solche Übungsgatter, stellt Kappenberger klar, denn das Training helfe, Verletzungen bei Jagdhunden vorzubeugen.
Übung eins: Sichtkontakt an der Leine und „Verbellen an der Sau“
Heute darf Rocky, eine dreijährige Deutsche Bracke, in das 1,7 Hektar große Arbeitsgatter, in dem die Übungen stattfinden. Helmut Kappenberger öffnet das Tor und geht voran. Rocky und sein Herrchen, Jäger Michael Vogl aus Prackenbach, folgen ihm. Das Training ist in zwei Phasen gegliedert. Zunächst nimmt der Vierbeiner an der Leine ersten Sichtkontakt mit der Sau auf. „Dabei beobachte ich das Verhalten des Hundes“, erklärt der Gatter-Besitzer. „Und er lernt, dass er das darf. Viele Hunde wissen anfangs gar nicht, was sie tun sollen.“
90 Prozent seien geeignet, fünf Prozent zu ängstlich und damit untauglich, die anderen fünf zu „scharf“ und damit selbstgefährdend. Zeigt der Hund eine angemessene Reaktion, folgt in Phase zwei das „Schnallen und Anrüden“ sowie das „Verbellen an der Sau“, sprich: Der Jagdhund wird abgeleint, stellt das Wildschwein, bringt es gegebenenfalls „auf die Läufe“ und gibt „Sichtlaut und Standlaut“, die beide unterschiedlich klingen. „Da muss ein Jäger seinen Hund sehr gut kennen und die Situation abschätzen“, weiß Kappenberger.
Rocky wird abgeleint und rennt gleich bellend los. Wildschwein Sophi schätzt kurz ab und spurtet ebenfalls los, Rocky hinterher. Im großen Bogen geht’s durch Gestrüpp und Dickicht, über Wiesen und durch Hochwald. Immer wieder lässt Rocky ab, nimmt dann aber die Fährte erneut auf. Auch Kati und Carlos sind im Gatter und werden zwischendurch angetrieben. Helmut Kappenberger krault derweil eine der Sauen, die gerade Pause hat, am Kopf und streichelt sie. Man sieht ihr an, dass ihr die Liebkosung gefällt.
Drei Übungen finden im Gatter statt
Als Rocky immer wieder zum Tümpel rennt, um zu trinken, ist dies für den Trainer das Zeichen, aufzuhören. „Wenn der Hund erschöpft ist, geht nichts mehr.“ Für die Wildschweine sei das eher wie ein Spiel, an das sie gewöhnt sind. Verletzungen habe es beim Training im Gatter noch nie gegeben, weder bei Wildschwein noch Hund.
Bei Übung zwei, die maximal ein paar Wochen später stattfinden wird, soll die Bracke das Wildschwein selbst suchen und für mindestens drei Minuten „an der Sau verbellen“. Übung drei schließt sich nach einer etwas längeren Pause an – „dann sieht man, was verinnerlicht wurde“, erklärt der Gatter-Besitzer. Außerdem könne das Jagdverhalten individuell optimiert werden. Die Sauen im Übungsgatter werden je nach Charakter und Verhalten des Hundes ausgewählt. Auch die Rasse spielt eine große Rolle bei der Frage, welche Anforderungen der Jagdhund erfüllen muss. „Absolute Kamikaze-Jäger sind zum Beispiel die Jagdterrier“, weiß Helmut Kappenberger grinsend und mit hochgezogenen Augenbrauen zu berichten. Da werde des Öfteren auch mal ein Fangkescher benötigt, damit die Übungsjagd beendet werden kann.
Seit 2016 – in den anderen bayerischen Gattern erst einige Jahre später – werden im Schwarzwildgatter in Fahrnbach auch Prüfungen abgenommen. Dabei sind Richter vor Ort und bewerten das Hundeverhalten. Der Ablauf erfolgt wieder spezifisch nach Rasse.
Training zur Suche von ASP-Kadavern
Seit 2021 finden weitere Übungen und Prüfungen in und um das Gatter statt: Hunde werden geschult, die Afrikanische Schweinepest zu erkennen und anzuzeigen. Im Landkreis Regen gibt es derzeit zehn Jäger und Jägerinnen, die auf freiwilliger Basis aktiv eine Hundestaffel bilden und im Notfall ausrücken. Die ASP sei aus Polen nach Ostdeutschland gekommen und könne von Wildschweinen auch auf die Hausschweine übertragen werden, wie Kappenberger erklärt. Die Folge wären Massentötungen. Daher ist das Ruhegatter auch mit doppelter Umzäunung geschützt – um den Kontakt mit wildlebenden Sauen und eine Ansteckung der Gattersauen zu vermeiden.
Für Menschen und Hunde sei die Krankheit jedoch nicht gefährlich. In Bayern gebe es noch keine Fälle, „aber wir sind gut vorbereitet.“ Nach aktuellen Fällen im Grenzgebiet in Hessen habe sich das dortige Tierseuchenzentrum jedoch bereits bei ihm gemeldet und sich nach der Verfügbarkeit der Hundegespanne erkundigt.
„Bringselverweiser“ im Einsatz
Heute wurden im Wald rund um die Umzäunung Schwarten ausgelegt, die von den ASP-Hunden aufgespürt und angezeigt werden sollen. Die zugehörigen Jäger folgen jeweils einer Route, die ihnen im GPS-Gerät angezeigt wird. Gabi Müller aus Prackenbach ist mit Hündin Bella, einem Italienischen Laufhund, unterwegs. „Sie zeigt einen Fund durch Bellen an“, erklärt sie. Es gebe allerdings die unterschiedlichsten Möglichkeiten: Manche Hunde nähmen zum Beispiel einen bestimmten mitgeführten Gegenstand ins Maul bei der Rückkehr zum Hundeführer und machten so klar, dass sie „was entdeckt“ haben – die Rede ist hierbei von sogenannten „Bringselverweiser“. Gefunden werden sollen tote Sauen, die möglicherweise an der ASP gestorben sind und eine Ansteckungsquelle bilden.
Das Training der zehn Hunde und Hundeführer dauert zehn Monate und endet mit einer ASP-Kadaversuch-Prüfung, die von Richtern des Landratsamtes Regen und des LGL (Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit) abgenommen wird. Das Bestehen ist Voraussetzung, um bei der Kadaversuch-Hundestaffel Bayern Mitglied zu werden. Bayernweit gebe es derzeit 50 Gespanne, die ausgebildet und geprüft und bei Ausbruch der ASP in Bayern sofort einsatzbereit sind.
Lisa Brem