Altreichenau. Draußen ist es schon dunkel geworden und die meisten Bewohner des Dorfes gehen nach und nach schlafen. Im Gegensatz zu Bäckermeister Heribert Schmid, dessen „Arbeitstag“ nun beginnt. Aufstehen ist angesagt. Es ist 23 Uhr, als der 58-Jährige in der kleinen Altreichenauer Backstube das Radio einschaltet – sein einziger und treuer Begleiter in den nächsten Stunden.

Seine Schicht beginnt der „Oidhittla Begga“, wie ihn die Leute aus der Umgebung nennen, stets nach dem gleichen Ritual: Zuallererst wäscht er sich die Hände. Saubere Hände seien das A und O in einer Backstube. Anschließend wird die Kaffeemaschine in Gang gesetzt. „Es können schonmal vier Tassen werden“, meint er, „aber nicht, weil ich ihn brauche – ich trinke ihn einfach nur unglaublich gerne“.
Ganz nach dem Motto „weniger ist mehr“
In seiner Backstube prangen zwei Öfen: ein sehr großer mit rostbraunen Backsteinen gebauter Holzofen für die feinen Holzofenbrote – und ein eher unscheinbarer Ölofen für das Kleingebäck. Auf den zweiten Blick entdeckt man die sog. Teigteil- und Wirkmaschine, die beiden Knetmaschinen, die Wickelmaschine sowie die großen Arbeitsflächen.

Los geht es damit, die Teige für das Gebäck vorzubereiten. Heribert Schmid gibt hierfür die bereits in der Nacht zuvor zusammengemischten Zutaten in die sog. Spiralknetmaschine. Das macht er fast immer so – ein Teig nach dem anderen. Während die Maschine knetet, wiegt der Bäckermeister die Zutaten für die Teige der nächsten Nacht ab. Immer mehr Teigballen sammeln sich so auf der Arbeitsfläche, alle präzise von Hand in der genauen Menge abgewogen. Für einen Laien sehen sie fast identisch aus, sofern keine Körner drin sind oder es sich um einen dunklen Vollkornteig handelt. Trotzdem sind sie alle verschieden. Der Semmelteig ist luftig, weich und unglaublich elastisch. Der Laugenteig hingegen besitzt in seiner Form viel mehr Spannung, lässt sich nicht so leicht dehnen – und zieht sich schnell wieder zusammen.
Nach dem Abwiegen und dem sog. Rundwirken per Hand müssen die Teige erst einmal ruhen. Immer wieder steht dieser Schritt auf dem Plan. Heribert Schmid bearbeitet die Teige deswegen zeitversetzt, um keinen Leerlauf zu haben und sie so möglichst lange ruhen lassen zu können. „Es ist wichtig, dass sie lange ruhen, denn: Eine lange Gehzeit macht die Semmeln später viel bekömmlicher“, erklärt der Bäckermeister. Außerdem verwendet er keine Zusatzstoffe. Lediglich seinen Weizensemmeln setzt er eine geringe Menge Weizenmalz zu, damit diese fluffiger werden. Diesen Zusatz will er aber auch noch wegbekommen. „Ich verstehe ohnehin nicht, warum ich es hier brauche, schließlich gelingt es mir bei allen anderen Semmeln auch – die Teige sind im Grunde ja fast identisch“, stellt er fest.
Seit zehn Jahren führt er seine Bäckerei nun schon mit größter Leidenschaft – und noch immer setzt er auf viel Handarbeit und vor allem auf die „alte Schule“. Heribert Schmid ist fest davon überzeugt, „dass man all die Zusatzstoffe überhaupt nicht benötigt“. Ganz nach dem Motto „weniger ist mehr“ – vor allem mehr Qualität. Beim Thema Maschinen verfolgt er dieses Credo ebenfalls.
Schieb, schieb in Ofen rein!
Sind die Semmeln erst mal von der Teigteil- und Wirkmaschine in ihre runde Form gebracht worden, legt der 58-Jährige jede einzeln auf riesige Abziehrahmen, mit denen er sie nach erneutem Ruhen ganz unbeschwert in den Ofen „einschießen“ kann, wie man im Bäcker-Jargon das Einbringen des Teiglings per Schieber in den Ofen nennt. Je nach Sorte tunkt er vorher noch einige in ein Körnerbad.

Andere haben wiederum noch die Wickelmaschine vor sich. Diese formt aus den kleinen Kugeln kleine „Würstchen“, aus denen der Bäckermeister anschließend Stangen, Brezen, Zöpfe und Knöpfe modellieren kann. Während er den Semmeln den letzten Schliff verpasst, schiebt er seine heißbegehrten Kirschtaschen, Hefe- und Nusszöpfe in den Backofen. Danach bestreicht er diese mit Aprikosenmarmelade, damit sie nicht austrocknen, sowie mit einer zarten Schicht Fondant, die lediglich einen leichten Glanz auf dem Gebäck hinterlässt.
Nach vielen Stunden, mehreren Ruhephasen, Laugenbad und Körnerkleid sind die Semmeln dann endlich bereit fürs Backen. Eine Sorte nach der anderen schießt Heribert Schmid in den Ofen ein. In der Zwischenzeit kümmert er sich um weitere Backwaren, die er fertig machen muss. Das Laugengebäck kommt dabei immer zum Schluss dran. Mit einer gekonnten Wurftechnik, der man kaum folgen kann, formt er die letzten Brezen. Wieder piept der Ofen – was bedeutet: fertige Semmeln raus in die Verkaufskörbe und neue Ladung rein. Manchmal kann es dabei in der Backstube richtig heiß werden. „Es kommt immer darauf an“, erklärt der Bäckermeister: „Ist die Luftfeuchtigkeit draußen hoch, kann ich die Tür schon relativ früh öffnen und es wird nicht so extrem warm.“ Und so vergehen die nächsten Stunden…
Keine Zukunft für das Bäcker-Handwerk?
„Man kann sich schon fast als Industriebetrieb bezeichnen“, scherzt Heribert Schmid. Jede Nacht ist er mit viel Herzblut in seiner Backstube zugange. Nacht für Nacht alleine. Trotzdem darf er sich stolz als größter Bäcker der Gemeinde Neureichenau bezeichnen. Er ist schließlich der Einzige, der noch geblieben ist.
Nachwuchs? Fehlanzeige! Der „Oidhittla Begga“ weiß nicht, wie viele Jahre er seinen Beruf noch ausüben kann. „Ich mache es so lange, wie ich Spaß daran habe und ich es machen kann“, blickt der 58-jährige voraus. Eigentlich wollte Sohn Stefan in den Betrieb seines Vaters mit einsteigen, die Diagnose Mehlstauballergie („Bäckerasthma“) machte ihnen jedoch einen Strich durch die Rechnung. „Ich selbst reagiere auch auf Mehlstaubmilben, aber bei weitem nicht so schlimm.“
Die Berufsgenossenschaft wollte ihn eigentlich umschulen, nur: in welchen Beruf? „Ich wüsste nicht, was ich anderes machen soll, als backen“, erzählt der Brillenträger nachdenklich. Gerne würde er sein Wissen weitergeben und einen Auszubildenden einstellen. „Aber durch den Jugendschutz ist das in einem kleinen Betrieb nicht so einfach“, gesteht er. Laut Jugendarbeitsschutzgesetz §14 („Nachtruhe„) dürfen Jugendliche nur von 6 bis 20 Uhr beschäftigt werden. Selbstverständlich gebe es Ausnahmeregelungen – auch im Bäckerhandwerk. Aber selbst dann dürfen Jugendliche über 17 Jahren erst ab 4 Uhr arbeiten. In einem Kleinbetrieb wie in der Bäckerei Schmid schiebt man zu dieser Zeit aber schon die vorletzte Fuhre Semmeln in den Ofen…
Der Duft, der die gesamte Bäckerei erfüllt
Kaum ist gegen fünf Uhr die letzte Ladung Kleingebäck aus dem Ofen in einen Korb gewandert, geht die Tür auf. Petra, Heribert Schmids Frau, kommt mit einem fröhlichen Lächeln in die Stube und geht ihm ab jetzt zur Hand. Sie kümmert sich, während ihr Mann sich ans Brot backen macht, um den Verkauf. Der Duft, der die gesamte Bäckerei erfüllt, lässt einem das Wasser im Mund zusammenlaufen.

Petra Schmid arrangiert die Köstlichkeiten in der Auslage und verkauft sie an die Kunden, die sich bereits früh am Morgen Gebäck zum Frühstück oder auf dem Weg zur Arbeit holen wollen. Nebenbei bereitet sie die Lieferungen für die weiteren Verkaufsstellen bei einer großen Firma in der Gemeinde, dem örtlichen Lebensmittel-Laden sowie einem Geschäft im Nachbarort vor. Auch für Festlichkeiten innerhalb der Dorfgemeinschaft legt Heribert Schmid gerne mal Sonderschichten ein.
Nun kann er sich dem in der Nacht immer wieder bearbeiteten Brotteig widmen. Nochmals frischt er dafür den Sauerteig mit Roggenmehl an. „Ich mache ausschließlich Roggenbrot. Weizen verwende ich nur für meine Semmeln, denn dies würde das Brot nur trocken machen – mit Roggenmehl bleibt es hingegen viel länger frisch“, teilt der Bäckermeister sein Wissen mit. Auch hier verwendet er keine Zusatzstoffe, denn davon „wird das Brot meist nur hart – und fängt nicht an zu schimmeln“.
Bevor er den Brotteig wieder per Hand exakt in gleiche Portionen abwiegt und in Brotkörbe gibt, muss er noch die Glut aus dem bereits vor Stunden angeheizten Holzofen in die dafür vorgesehene Luke in der Ofenplatte kehren. „Das mache ich eine Stunde bevor ich die Brotlaibe backe, die Hitze kann sich erst jetzt gleichmäßig im Ofen verteilen – sonst passiert es schnell, dass die Laibe auf einer Seite verbrennen. Eine Stunde ist dabei eine gute Faustregel unter Bäckern“, klärt der Fachmann auf. Er backt ebenfalls mehrere Brotsorten. Variationen schafft er durch verschiedene Körner und Brotgewürze, sodass für jeden Geschmack etwas dabei ist.
„Augenmaß und Handgewicht trügen deutsche Bäcker nicht“
Inzwischen ist es kurz vor sechs Uhr morgens, die Brotlaibe haben nochmal geruht und werden jetzt aus ihren Brotkörben auf einen Schieber gestürzt und eins nach dem anderen in den Ofen geschoben. Zeit für Petra Schmid, die Semmellieferungen zu erledigen und ihrem Mann den Verkauf zu überlassen. Den macht er gern so nebenbei und fängt schonmal zu putzen an. Jede Maschine befreit er dabei gründlichst von jeglichen Körnern und Teigresten. Und nach einer Stunde ist dann auch das Brot fertig, das seine Frau noch ausliefern wird. Zwischendurch hat er die Wartezeit genutzt und einen Hefeteig angesetzt, aus dem er dann Hefezöpfe für den nächsten Tag zubereitet.
Jetzt heißt es aber zunächst: Familienzeit – wenn auch nur kurz. Gemeinsam frühstücken die beiden in der Backstube. Dazu werden zwei Aufbewahrungstonnen zu Stühlen umfunktioniert. Ein Routineakt – schließlich machen sie das fast jeden Tag. Frei haben sie nur an den knapp 14 Feiertagen im Jahr.
Langsam ist ein Ende der langen Schicht in Sicht. Ab jetzt übernimmt Der 58-Jährige wieder alleine – und Petra Schmid widmet sich ihren eigenen Verpflichtungen. „Augenmaß und Handgewicht trügen Deutsche Bäcker nicht“ – nach diesem Sprichwort macht er seinen Hefeteig fertig, der durch die Rumrosinen einen einzigartigen Geruch in der Backstube verbreitet. Abschließend füllt er den ebenfalls bereits vorbereiteten Blätterteig nach dem Ausrollen mit seiner selbstgekochten Kirschfüllung. Hefezöpfe und Kirschtaschen wandern in die Gefriertruhe. „Besenrein muss eine Backstube immer sein“, murmelt der Bäckermeister, während er die letzten Krümel und Körner, die am Boden liegen, zusammenfegt.
Den Schluss macht „Paula“
Alles fertig aufgeräumt und abgewischt, kann sich Heribert Schmid nun voll auf den Verkauf konzentrieren. „Ich habe eben gern auch Kontakt mit den Menschen, kenne die meisten und rede gerne mit ihnen“, erzählt er. Nach Ladenschluss verstaut er das übrig gebliebene Gebäck in Säcken. Weggeworfen wird das alles freilich nicht, die Säcke werden weiterverkauft – als Hühner- und Schweinefutter. „Und zum Abschluss kommt dann Paula“, berichtet der Bäcker und lacht: „So heißt unsere Putzmaschine.“ Diese bedient seine Frau dann am Nachmittag, denn er legt sich jetzt ins Bett, um wieder fit für die nächste Nachtschicht zu sein, in der er voller Leidenschaft für die Menschen in dem Dorf am bayerisch-böhmischen Grenzkamm backen kann…
Katharina Kremsreiter