Regen. Am Jahresende soll Schluss sein mit dem Bundesprogramm „Demokratie leben!“ im Landkreis Regen. Dies hat Landrat Dr. Ronny Raith (CSU) nach Rücksprache mit den Fraktionen im Kreistag vor Kurzem so entschieden. Das Förderprojekt und die damit verbundene Fachstelle, für die der Landkreis zehn Prozent der jährlichen Gesamtkosten von 145.000 Euro übernimmt (die restlichen 90 Prozent bezahlt der Bund), will aus Spargründen aus der Finanzierung aussteigen. Ein Schritt, der bei Projektpartnern, bei Politikern und Beteiligten auf Unverständnis stößt – und deren Forderung nach einer Weiterführung des Programms hervorruft. Regens Landrat glaubt hingegen nicht, dass eine staatliche Stelle etwas am Grundproblem für den Rechtsruck ändern wird, wie er im Hog’n-Inteview betont.

Extremismus vorbeugen, Demokratie fördern, Vielfalt gestalten – das ist das Ziel des Programms „Demokratie leben!“, aus dem bis dato viele Einzelprojekte im Landkreis Regen, der seit Januar 2022 mit dabei ist, hervorgegangen sind. Nun droht das Aus. Foto: Demokratie leben

„Wir können uns vor Anfragen und Telefonaten kaum noch retten“, teilt Sigrid Kick, Sozialpädagogin, die seit zwei Jahren die Fachstelle für „Demokratie leben!“ leitet und in deren Rahmen sie zahlreiche Initiativen zur Demokratieförderung ins Leben gerufen hat, auf Hog’n-Nachfrage kurz und knapp mit. Die Welle der Solidarität, die ihr und ihrem Team seit Bekanntwerden des Entschlusses entgegenschlägt, sei immens. Als sog. Demokratielotsin ist sie beim Kreisjugendamt und somit beim Landkreis angestellt. Dieser hat sie per Kooperationsvertrag dem Regener Kreisjugendring (KJR) überstellt.

„Man muss schauen, in welche Richtung man spart“

Monika Wastl, erste Vorsitzende des Kreisjugendrings, war genauso erstaunt darüber wie Kick, dass das Projekt eingestellt werden soll. „Gerade in diesen Zeiten ist das Thema Demokratiebildung bei Kindern und Jugendlichen das A und O“, betont sie mit Nachdruck – und spielt dabei auf das starke Abschneiden der AfD bei den jüngsten Europawahlen innerhalb der Wählerschaft im Bayerischen Wald, insbesondere den Jungwählern im Landkreis Regen, an. Man könne dieses Thema nicht einfach so auf die Schulen abwälzen, sondern müsse es vor allem im Zuge größerer Demokratie-Projekte veranschaulichen und erfahrbar machen.

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Monika Wastl, Vorsitzende des Kreisjugendrings Regen, Anfang Juni bei ihrem Antrittsbesuch im Regener Landratsamt, wo Landrat Ronny Raith sie begrüßte. Foto: Iris Gehard/LRA

„Gerade laufen bei uns sämtliche Drähte in alle Richtungen heiß, damit wir’s doch noch irgendwie retten können“, berichtet Monika Wastl und ergänzt: „Das Problem ist die Abgabefrist für das Interessenbekundungsverfahren – die ist leider schon abgelaufen. Aber wir hoffen, dass wir die Entscheidungsträger noch umstimmen und den Leuten zeigen können, dass das Projekt nicht nur aus diesen 14.500 Euro Ausgaben besteht, sondern dass hier Fördergelder generiert werden, die Vereinen, Schulen und Verbänden langfristig zugute kommen.“

Das Projekt aus spartechnischen Gründen einstellen zu wollen, sei für sie nur „teils, teils“ nachvollziehbar. Dass der Landkreis angesichts hoher Haushaltsbelastungen sparen müsse, sei ihr bewusst. Aber: „Man muss schauen, in welche Richtung man spart – und gerade in Sachen Demokratiebildung tun wir uns keinen Gefallen, wenn wir hier den Rotstift ansetzen.“ Vielmehr gelte es, vorausschauend und präventiv in die Zukunft von Kindern und Jugendlichen zu investieren, denn: „Das zahlt sich immer aus“. 

„Ein Schlag ins Gesicht“ für alle Demokratie-Engagierten

Diejenige Kreistagsfraktion, die nicht mit Ronny Raiths Entschlussvorgabe übereinstimmt, ist die von Bündnis 90/Die Grünen. Im Rahmen einer Stellungnahme gegenüber dem Landrat teilt zuvorderst Christian Zeitlhöfler verwundert mit, dass „der Erfolg eines solchen Projekts sicher schwer zu messen ist, die steigende Anzahl an Anträgen und Projekten jedoch den Bedarf zeigt“. Insbesondere so kurze Zeit nach dem EU-Wahlergebnis lasse sich die Entscheidung aus Sicht der Grünen und weiteren Mitstreitern nur schwer nachvollziehen. 

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„Steht unser Landkreis Regen auf demokratisch gesichertem Boden?“, fragt sich Christian Zeitlhöfler von der Kreistagsfraktion der Grünen und ergänzt: „Bei der Europawahl stimmte jeder Fünfte für eine Rechtsaußenpartei.“

„Netto kommen durch das Förderprojekt mindestens 45.000 Euro zusätzliches Budget für freiwillige Leistungen in den Landkreis – Geld das wir sonst nicht haben“, befindet Zeitlhöfler in Sachen Finanzen und fügt hinzu: „Der Einsatz von 14.500 Euro, welcher quasi 1:1 erneut wieder als Projektbudget zurückfließt (insgesamt rund 60.000 Euro) und auch noch eine Koordinationsstelle (Gesamtbudget 145.000 Euro inkl. Personal und Öffentlichkeitsarbeit) bezahlt, ist für uns mehr als gerechtfertigt.“

Insbesondere gemeinsam mit den Schulen würden viele Projekte organisiert. „Nach Rücksprache mit Lehrkräften werden einige Projekte ohne den Fördertopf wegfallen, v.a. schulübergreifende Initiativen. Viele Jugendorganisationen profitieren zudem von den niederschwelligen Förderanträgen im Rahmen des Projektbudgets, einige wird es ohne auch nicht mehr geben“, erklärt das Kreistagsmitglied der Grünen. „Die geplante Absage an die Fortführung des zu 90 Prozent bezuschussten Bildungsprojekts ‚Demokratie leben!‚ ist ein Schlag ins Gesicht für alle, die sich für unsere Demokratie engagieren. Die finanziellen Auswirkungen auf den Landkreis sind in unseren Augen nicht vollständig dargestellt worden.“

„Hier setzt Raith einen falschen, ja gefährlichen Akzent“

„Am Geld darf es nicht liegen“, ist sich die Grünen-Kreistagsfraktion einig. Und wenn der Landkreis die finanzielle Vorleistung nicht erbringen könne, gäbe es die Möglichkeit, die Zivilgesellschaft um finanzielle Hilfe zu bitten, „bevor das Projekt ohne Alternative beerdigt wird. Angesichts der ernsten Lage wäre dies für uns jedoch ein Armutszeugnis.“

Man bitte daher alle Kreistagsfraktionen, sich mit den Zuständigen in Verbindung zu setzen und deren Sicht der Dinge in eine Neubewertung einfließen zu lassen. Zur nächsten Kreistagssitzung am 17. Juli soll über einen von den Grünen gestellten „Antrag auf Neubehandlung der Entscheidung zur Fortführung des Programms ‚Demokratie leben!‚“, der bereits an Landrat Raith übergeben wurde, abgestimmt werden. „Unsere Fraktion steht für die Lösungssuche jederzeit zur Verfügung und bittet alle anderen demokratischen Fraktionen, die Entscheidung noch einmal zu überdenken und sich für die Stärkung demokratischer Strukturen einzusetzen.“

„Im Landkreis Regen sind über
20 Prozent der Wählerstimmen an eine Partei gegangen, die die Ideen von Europa, von Demokratie, ja von Menschenwürde verächtlich macht. Auch bei den Jungwählern hatte sie viel Erfolg“, sagt MdL Toni Schuberl. Foto: Die Grünen

Mit einem Offenen Brief an Regens Landrat haben sich auch der Bundestagsabgeordnete Erhard Grundl und Landtagsabgeordneter Toni Schuberl (beide Bündnis 90/ Die Grünen) an die Öffentlichkeit gewandt. „Wir verstehen, dass der Landkreis Regen wie so viele andere Kommunen finanziell nicht gut aufgestellt ist, es knirscht an allen Ecken und Enden. Ihr unbedingter Sparwille, Herr Landrat Dr. Raith, ist aller Achtung wert, aber hier setzt er unserer Meinung nach einen falschen, ja gefährlichen Akzent.“ Nach dem „Schreck über die Europawahl-Ergebnisse“ sei es nach Ansicht der beiden Politiker nun umso wichtiger, politische Bildung und Demokratiebildung, auf vielen Ebenen voranzutreiben.

„Die Bedeutung einer Koordinatorin wie Sigrid Kick ist sehr hoch anzusetzen; sie arbeitet nicht nur mit Schulen zusammen, sondern auch mit Vereinen verschiedenster Ausrichtung, also mit breiter Wirkungsfläche. Diese Stelle sollte gerade in dieser Zeit, in der die Demokratie spürbar in Gefahr ist, erhalten bleiben.“

„Am Aufwärtstrend für die AfD hat es nichts geändert

Wir haben Landrat Ronny Raith mit den Aussagen der Grünen-Kreistagsfraktion und der beiden überregional tätigen Abgeordneten konfrontiert. Folgende Antworten haben wir von ihm erhalten:

Herr Raith, in der Stellungnahme der Grünen-Kreistagsfraktion ist zu lesen: „Die geplante Absage an die Fortführung des zu 90 % bezuschussten Bildungsprojekts ‚Demokratie leben!‘ ist ein Schlag ins Gesicht für alle, die sich für unsere Demokratie engagieren. Die finanziellen Auswirkungen auf den Landkreis sind in unseren Augen nicht vollständig dargestellt worden.“ Wie stehen Sie zu dieser Aussage?

Diese Aussage ist nach meiner Einschätzung grundlegend falsch und dient offensichtlich ideologischer Stimmungsmache. Der unstreitig notwendige Einsatz für unsere Demokratie ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe; ich kann und mag nicht glauben, dass er an einer staatlich finanzierten – und ohnehin befristeten – Stelle hängt.

Regens Landrat Ronny Raith: „Befremdlich finde ich die Unterstellung, über finanzielle Auswirkungen sei nicht vollständig informiert worden.“ Foto: Hog’n-Archiv

Befremdlich finde ich die Unterstellung, über finanzielle Auswirkungen sei nicht vollständig informiert worden. Wer derartiges behauptet, der muss sich aus meiner Sicht fragen lassen, ob die entsprechenden Entscheidungsträger ihrer Pflicht, sich auch eigenständig zu informieren oder halt nachzufragen, nachgekommen sind.

Angesichts der Tatsache, dass der Landkreis Regen bei den jüngsten EU-Wahlen bayernweit das stärkste AfD-Ergebnis verbuchen konnte: Ist es nicht dringend notwendig, ein Projekt wie „Demokratie leben!“ in der Region weiter zu führen – völlig unabhängig von etwaigen Förderungen bzw. finanziellen Rahmenbedingungen?

Die Gründe für das starke Abschneiden der AfD sind nach meiner Auffassung sehr vielschichtig. Wenn man es auf den Punkt bringen muss, dann liegt es wohl daran, dass aktuell durch den Bund keine Politik für die Menschen gemacht wird. Und noch schlimmer: Die Menschen werden bei Entscheidungsfindungsprozessen nicht mitgenommen.

Ich glaube nicht, dass eine staatliche Stelle an diesem Grundproblem etwas ändern wird. Es sei der Hinweis erlaubt, dass es ‚Demokratie leben!‘ ja schon zwei Jahre im Landkreis gibt. Am Aufwärtstrend für die AfD und andere Parteien hat es ersichtlich nichts geändert…

Ich bin fest davon überzeugt, dass das Gros der Menschen, die sich bei der zurückliegenden Wahl für die AfD – oder auch für das BSW – entschieden haben, keine grundsätzlich extremen politischen Auffassungen vertreten. Vielmehr liegt es daran, dass sich viele Menschen nicht mehr verstanden fühlen und glauben, dass ihre Ängste und Befürchtungen angesichts der Herausforderungen und Entwicklungen nicht ernst genommen werden.

„Rein ideologische und nicht ergebnisoffene Herangehensweise“

In der Stellungnahme heißt es weiter: „Zuletzt warnten daher auch immer mehr hochrangige Wirtschaftsvertreterinnen und Wirtschaftsvertreter vor den Folgen einer demokratiefeindlichen Politik. Ex-Siemens-Chef Joe Kaeser aus Arnbruck sagte z.B. zuletzt, wer eine solche Politik wählt, ‚entscheidet sich für den Verlust des Wohlstands unseres Landes‘.“ Wie sehen Sie das als Freund und Förderer insbesondere der regionalen Wirtschaftsvertreter?

Landrat Raith stimmt mit Ex-Siemens-Chef Joe Kaeser (Bild) hinsichtlich dessen Haltung gegenüber demokratiefeindlichen politischen Kräften überein. Foto: Thomas Dashuber

Extreme politische Haltungen – rechts wie links – waren noch nie gut für die Bürgerinnen und Bürger und für unser Land. Politische Entscheidungen müssen planbar und verlässlich sein, sie müssen aber auch erklärt werden. Insofern teile ich die genannte Auffassung.

In der Stellungnahme heißt es weiter: „Wenn der Landkreis wirklich die finanzielle Vorleistung nicht erbringen kann, gäbe es die Möglichkeit, die Zivilgesellschaft um finanzielle Hilfe zu bitten, bevor das Projekt ohne Alternative beerdigt wird.“ Was halten Sie von diesem Vorschlag?

Eine grundsätzlich interessante Idee. Allerdings glaube ich nicht, dass dies auf lange Sicht für Demokratie leben!‘ funktionieren wird. Kurzfristig mag dies praktikabel sein, aber es handelt sich ja auch weiterhin um eine befristete Stelle und löst das Problem damit nicht.

Wie stehen Sie zum Antrag der Grünen-Fraktion, die öffentliche Vorabentscheidung zur Absage an das Förderprogramm „Demokratie leben!“ im Kreistagsrahmen zu widerrufen, neu zu überdenken und nunmehr im Sinne einer Weiterführung positiv zu bewerten?

Landrat Raith hätte sich von Seiten MdB Erhard Grundls (im Bild) und MdL Toni Schuberls mehr Sachlichkeit in der Debatte erhofft. Foto: Die Grünen

Den Antrag nehme ich im Sinne maximaler Transparenz gerne auf. Ich werde die Frage in den Gremien und letztlich dem Kreistag zu Entscheidung vorlegen.

Wie stehen Sie zu den Ausführungen von MdB Grundl und MdL Schuberl zum Thema?

Offen gesprochen bin ich mehr als überrascht über die aggressive Grundhaltung und auch über den Ton, der in dieser notwendigen Debatte angeschlagen wird. Ich kann mir das nur dadurch erklären, dass es um eine rein ideologische und nicht ergebnisoffene Herangehensweise geht. Schade, denn eigentlich habe ich von den beiden Mandatsträgern persönlich keine schlechte Meinung.

„Somit bleibt noch Zeit für eine Kurskorrektur“

Wichtig sei Landrat Ronny Raith, „dass Einsatz für die Demokratie tatsächlich als gesamtgesellschaftliche Aufgabe wahrgenommen wird“. Jede und jeder sei gefordert, „die Werte unseres Rechtsstaates aktiv zu verteidigen und sich dafür einzusetzen. Ich sehe nicht, dass dies durch die Nicht-Weiterführung der Stelle für ‚Demokratie leben!‘ unmöglich gemacht werden würde. Vielmehr sollte es Anlass sein, dass sich die Menschen ins Bewusstsein rufen, wie wichtig bürgerschaftliches Engagement ist“.

„Demokratielotsin“ Sigrid Kick hofft ebenfalls auf die Weiterführung des Projekts. Foto: privat

Fakt ist: Die Frist zur Einreichung einer ersten Interessensbekundung zur Weiterführung des Projekts ist verstrichen, was aus Sicht von Christian Zeitlhöfler die Chancen des Landkreises, erneut berücksichtig zu werden, schmälert. „Der final entscheidende Folgeantrag muss jedoch erst Ende August eingereicht werden, somit bleibt noch Zeit für eine Kurskorrektur.“

Und auch Monika Wastl ist der Hoffnung, dass das Projekt am Ende doch weitergeführt werden kann. „Gerade die letzten zwei Wochen haben uns gezeigt, dass viele Leute aus vielen Bereichen hinter uns stehen.“ Sogar das Viechtacher Dominicus-von-Linprun-Gymnasium hat sich in der Zwischenzeit dafür angeboten, die fehlenden Mittel zur Fortsetzung von Demokratie leben! zu übernehmen.

„Viele haben sich hinter uns gestellt“, freut sich die KJR-Vorsitzende und ergänzt: „Alle sagen, wir müssen dieses Projekt weiterführen.“ Das vordergründige Ziel sei es, das Programm für das kommende Jahr zu sichern, „um dann in Ruhe zu schauen, wie das Ganze langfristig finanziert werden kann“. Auch ein Gespräch mit dem Landrat wolle sie bis zur nächsten Sitzung des Kreistags führen. Bislang habe sie jedoch noch keine Rückmeldung seitens Ronny Raith erhalten.

Stephan Hörhammer


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