Zwiesel/Hinterschmiding/Neureichenau. Manuel Lenz blickt mit einem lachenden und einem weinenden Auge zurück. Anfang des Jahres hat sich der Nebenerwerbslandwirt eigens Urlaub genommen, um an den Bauernprotesten teilzunehmen. „Eine interessante Zeit“, erinnert sich der 38-jährige Milchbauer und Wasserbüffel-Züchter. „Selten haben so viele Leute gemeinsam für ein Ziel gekämpft. Selten haben wir Landwirte einen derartige Zuspruch erhalten.“ Nur allzu gerne denkt der „Schmidinger“ an die vielen „Daumen hoch“ zurück, die es für ihn und seine Mitstreiter damals als Zeichen des Zuspruchs gab. Auch das starke Gefühl des Miteinanders hat er bis heute abgespeichert.
Doch tatsächlich übrig geblieben von all der Protestbewegung ist aus seiner Sicht nur wenig bis gar nichts. Zur Erinnerung: Ab 8. Januar legten Landwirte, Fuhrunternehmer und auch Betriebe diverser Handwerkssparten mit ihren Fahrzeugen wichtige Verkehrsadern in ganz Europa lahm. Sie wollten damit zum Ausdruck bringen, dass sie mit der derzeitigen Politik nicht einverstanden sind. Vor allem an der Abschaffung der Agrardiesel-Rückvergütung sowie am Aus für die KfZ-Steuerbefreiung landwirtschaftlicher Gefährte störten sich die Teilnehmer der rollenden Demonstrationen. Es gab unter anderem Kundgebungen, Sternenfahrten, Mahnfeuer und vieles mehr in Zwiesel, Freyung, Waldkirchen, Passau, Deggendorf, Landshut, München, Berlin…
Blick zurück, Teil 1: So wurde im Landkreis Freyung-Grafenau protestiert:
„In Niederbayern haben wir mit den Aktionen 50.000 Menschen und 30.000 Schlepper mobilisieren können“, fasst Siegfried Jäger zusammen. Der Neureichenauer ist niederbayerischer Bauernpräsident und so etwas wie das Gesicht des ersten Quartals dieses Protest-Jahres. Von ihm angeführt, entwickelte sich das „Wir haben die Schnauze voll“-Gefühl der Landwirte auch in Ostbayern zu einer Lawine, die scheinbar nicht mehr aufzuhalten war. Die sich rasch ausbreitende Forderung mit der Schlagzeile „Die Ampel muss weg„, so der zwischenzeitliche Eindruck, würde wohl tatsächlich dazu führen, dass die Koalition aus SPD, FDP und den Grünen auf Bundesebene keine Zukunft mehr haben wird.
„Warum muss die Lufthansa ihren Treibstoff nicht versteuern?“
„Passiert ist aber dann überhaupt nix“, hadert Manuel Lenz und fügt hinzu: „Das ist sehr enttäuschend.“ Mit dem Start ins Frühjahr ebbte die landwirtschaftliche Protest-Welle immer mehr ab. War anfangs noch von wöchentlichen Aktionen zu lesen, verlief der Widerstand bis zum März im Sand. „Gerade nach’m Winter hat jeder Bauer sehr viel Arbeit daheim – immer streiken ist unmöglich!“ Dass der 38-Jährige nach wie vor für seine Sache kämpft, betont er jedoch mit Nachdruck. „Warum muss die Lufthansa ihren Treibstoff nicht versteuern – und bei uns kommen alle Vergünstigungen weg?“, fragt sich der Hinterschmidinger stets aufs Neue. „Gerade das Ende des Agrardiesels stört mich deshalb.“
Denn in diesem Zusammenhang hat sich die Politik durchgesetzt. Die ursprünglichen 21 Cent Beihilfe pro Liter sollen bis 2025 etappenweise weniger werden – und am Ende gänzlich wegfallen. Zumindest die KfZ-Steuerermäßigung („grünes Nummerntaferl“) bleibt erhalten. „Ob wir Bauern deshalb gescheitert sind?“, wiederholt Bauern-Chef Siegfried Jäger die an ihn gestellte Frage, was verdeutlicht, dass eine einfache Antwort schwierig erscheint. Letztlich kommt vom 55-Jährigen dann doch ein überzeugtes: „Nein!“ Und er schiebt hinterher: „Wir haben dann doch einiges erreicht.“
Eine Aussage, die aus Sicht von Manuel Lenz sowie der öffentlichen Gesamt-Wahrnehmung dann doch etwas überraschend klingt. Jäger, der in der Gemeinde Neureichenau selbst eine Landwirtschaft mit 250 Stück Vieh betreibt, hat jedoch als BBV-Bezirksvorsitzender natürlich einen besseren, weil weitläufigeren Einblick. „Die Flächenstilllegung ist gestrichen worden. Das ist gerade für uns im Bayerwald sehr gut, weil bei uns Ackerland sowieso rar ist.“ Heftig kritisiert der niederbayerische Ober-Landwirt hingegen, die – trotz Versprechungen – nicht eingeführte Gewinnglättung. „Damit bekommt der kleine Bauer noch einmal eine auf den Deckel.“
Der Spätwinter 2024: Ein Imagegewinn für die Landwirte
Der wohl wichtigste Protest-Erfolg ist dem Neureichenauer zufolge aber nicht unmittelbar feststellbar. Er meint dabei „die Solidarität, den Zusammenhalt“. Und das auf mehreren Ebenen. „Es war ja kein Geheimnis, dass sich die verschiedenen landwirtschaftlichen Verbände immer bekriegt haben. Das haben wir in den Griff bekommen – zumindest öffentlich. Zudem haben die Bauern an Image gewonnen – sowohl innerhalb der Bevölkerung als auch gegenüber der Politik.“ Inzwischen sei es üblich, dass Vertreter der Landwirtschaft gerne auf obligatorische Pressebilder von Politikern mit drauf dürfen. Das, so betont Jäger, sei früher nicht so gewesen.
Blick zurück, Teil 2: Die rollenden (oder auch nicht-rollenden) Demonstration im Landkreis Regen
Obwohl man sich als Bayerischer Bauernverband nach den feststehenden Entscheidungen in Sachen Agrardiesel etwas zurückgenommen hätte („Irgendwann ist ein Gesetz durch und somit Fakt„), habe man dem BBV-Obmann zufolge immer noch dieselben Ansichten wie im Januar. „Die Ampel muss weg – das stimmt nach wie vor“, untermauert Siegfried Jäger. „Der Rückhalt in der Bevölkerung gegenüber der Regierung ist weg. SPD, FDP und Grüne haben keine gemeinsame Linie. Es muss doch möglich sein, in der Sache vernünftige Politik zu machen. Man hat jedoch den Eindruck, dass es nur Schnellschüsse gibt.“
„Waren wir zu brav?“
Eine deutliche Verdrossenheit in dieser Hinsicht macht sich nicht nur bei Jäger breit, sondern ist seit einigen Monaten in ganz Deutschland spürbar. Der Ruf nach Veränderung wird immer lauter – verbunden mit einer deutlich erhitzten Diskussionskultur. Es scheint (wieder einmal), als würden vor allem diejenigen gehört werden, die am lautesten schreien. „Frankreich legt Paris lahm – und schon wird was gemacht“, blickt der niederbayerische Bauernpräsident nach Westen. „Man stellt sich im Rückblick dann schon die Frage, ob man bei den Protesten damit richtig gefahren ist, voll auf die demokratische Linie zu setzen. Wir haben das brav in Reih und Glied gemacht, um für keinen Unfrieden zu sorgen. Waren wir zu brav?“
Ja, findet Michael Schmid, der Anfang Januar federführend dabei war, als rund um Zwiesel gestreikt worden ist. „Auch wenn nicht zu einhundert Prozent – aber wir sind gescheitert“, zieht der 41-Jährige Bilanz. „Eine Woche Stillstand – dann hätten es wohl mehr kapiert, dass man nicht alles auf die Endverbraucher abwälzen kann.“ Der Landwirt und Fuhrunternehmer ist im Hog’n-Gespräch gleich wieder voll drin im Thema – und mit Leidenschaft dabei. Wie schon im Januar ist Schmid aber keiner, der nur draufhaut, sondern auch das Große und Ganze im Blickfeld hat. Auch er ist davon überzeugt, dass die „Ampel weg muss“ – aber nicht mit radikalen Mitteln.
„Das Demonstrationsrecht ist sehr wichtig. Die Ämter haben damals keine Probleme gemacht – und wir haben schön mitgezogen“, erinnert er sich. Nicht nur deshalb bekräftigt er, dass die viele Zeit, die er für die Organisation und Durchführung der Aktionen investiert hat, „nicht verschwendet gewesen ist – das war interessant. Man hat gesehen, dass die Leute zusammenhalten, wenn sie wollen.“ Auch bei ihm ist also – ähnlich wie bei Manuel Lenz – vor allem das Gefühl des Miteinanders hängen geblieben. Zumindest etwas…
Helmut Weigerstorfer