Schönanger. „Ich bin schockiert, traurig, fassungslos.“ So beginnt die Nachricht einer Besucherin des Dorffests in Schönanger (Gde. Neuschönau), das am vergangenen Wochenende nach zweijähriger Pause wieder zum gewohnten Termin stattgefunden hat. „Nachdem die Band aufhörte zu spielen, ging die Party in der Bar weiter. Das erste Lied, das gespielt wurde, war das Lied von Gigi D’Agostino – und fast jeder grölte ‚Deutschland, den Deutschen, Ausländer raus‘ ?????!!!!!!“, schildert sie erschüttert weiter.
Was sich vor wenigen Wochen auf der Nordsee-Insel Sylt zugetragen hatte und für bundesweite Schlagzeilen sorgte, hat sich am vergangenen Freitagabend auf dem traditionsreichen sowie allseits beliebten Dorffest in Schönanger zugetragen. Nachdem die regionale Party-Band „Sammer of Love“ am Auftakt-Freitag die Stimmung im Festzelt in gewohnter Manier angeheizt hatte, suchten im Anschluss zahlreiche Besucherinnen und Besucher das benachbarte Barzelt auf. Dort wurde dann der in jüngster Vergangenheit für rassistische Parolen immer wieder missbrauchte Song des italienischen DJs und Musikproduzenten über die Musikanlage abgespielt – und etliche Leute begannen zu grölen…
Verkettung unglücklicher Umstände
Die entscheidende Frage, die sich stellt: Wie ist es dazu gekommen? Laut Hog’n-Informationen habe es sich um eine Verkettung unglücklicher Umstände gehandelt. Im Zelt herrschte zu jenem Zeitpunkt Hochbetrieb, der Getränkekonsum hatte seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht – und die Spülmaschine versagte ihren Dienst. Stress und Hektik machten sich hinter der Theke breit.
Seit jeher ein harmloser Party-Song, der den Veranstalten zufolge „nicht gezielt“ angespielt wurde, sondern der Teil einer „Malle-Hits“-Playlist war, „welche ungesehen abgespielt wurde und in der sich das Lied befand:
Just in jener Situation begann die mit der Sound-Anlage gekoppelte und mit verschiedenen „Malle-Hits“ gespickte Handy-Playlist „L’Amour toujours“ von Gigi D’Agostino abzuspielen. Daraufhin hätte eine kleine Gruppe unter den rund hundert Leuten, die sich zu diesem Zeitpunkt im Zelt befanden, das Stück mit jenen rechtslastigen Zeilen zu singen begonnen – und immer mehr stimmten mit ein. Hog’n-Informationen nach habe man sich die Playlist zuvor nicht genauer angeschaut. Und bekanntermaßen befüllen sich Spotify- oder Amazon-Music-Playlists über Chart-Platzierungen, in denen das besagte Lied aktuell nun mal weit vorne rangiert.
Aufgrund der großen Geschäftigkeit an und hinter der Bar – insbesondere verursacht durch die ausgefallene Spülmaschine – habe man zuerst gar nicht registriert, was da vor der Theke überhaupt vor sich gehe. Bis man das betreffende Handy, von welchem aus der Song abgespielt wurde, habe auffinden können, sei dieser auch schon wieder vorbei gewesen. Hog’n-Informationen zufolge reichten die Reaktionen auf Seiten des Veranstaltungsteams von „saublöd hergegangen“ bis „vermiester Abend“.
„Es sind die Menschen, die diesen Schmarrn grölen“
Von einer in seiner Kommune generell vorherrschenden Ausländerfeindlichkeit, wo bei den jüngsten Europawahlen 25 Prozent der Wählerschaft ihre Stimme der AfD gaben, will Neuschönaus Bürgermeister Alfons Schinabeck nichts wissen. „Das hat nichts mit rechter Gesinnung zu tun, sondern mit einer generellen Enttäuschung und Verdrossenheit gegenüber allen Gruppierungen, die momentan in politischer Verantwortung stehen – und da nehme ich die CSU nicht davon aus“, äußert sich der Rathaus-Chef auf Hog’n-Nachfrage zu den jüngsten Geschehnissen und dem (einmal mehr) hohen AfD-Wähleranteil bei den EU-Parlamentswahlen von 25 Prozent in seiner Gemeinde.
„Ich finde es traurig, schade und enttäuschend, wenn ein paar dumme Menschen ein so tolles Fest wie in Schönanger in ein schlechtes Licht rücken“, betont Schinabeck mit Nachdruck und fügt hinzu: „Wir wollen nicht fremdenfeindlich sein – das ist Schönanger nicht, das ist die Feuerwehr nicht und auch die Gemeinde Neuschönau insgesamt nicht.“
Er selbst sei am Freitagabend selbst vor Ort, jedoch nicht mehr in der Bar gewesen, da er schon eher nach Hause gegangen sei. „Das Lied an sich kann nichts dafür“, ist der CSU-Bürgermeister überzeugt. „Es sind die Menschen, die diesen Schmarrn grölen. Das hat hier keinen Platz.“
„Und zwar in einer unglaublichen Lautstärke“
„Wir als Verein distanzieren uns von jeglicher Form der Hetze“, bekräftigt auch Lothar Vogl, Vorsitzender des Feuerwehrvereins Schönanger, der das Dorffest ausgerichtet hat. „Dass ein paar Idioten unser Dorffest als Rahmen nutzten, um ihre ausländerfeindlichen Parolen zu grölen, hat uns schockiert. Wir hoffen, dass sich derartiges in Zukunft nicht wiederholt. Denn unser Dorffest steht für ein friedliches Miteinander der gesamten Bevölkerung.“
Auch Julia Reihofer, Frontfrau von „Sammer of Love“, stellt sich mit ihren Bandkollegen geschlossen hinter den Veranstalter und hinter das Fest, „das erfahrungsgemäß immer ein sehr schönes, gut organisiertes und friedliches Event war“, wie sie auf Hog’n-Nachfrage betont. Auch bei ihr saß aufgrund der Vorfälle der Schock tief. „Wir waren alle fassungslos, die Bestürzung ist nach wie vor groß.“
Sie sei mit ihren Bandkollegen gerade mit dem Abbau auf der Bühne im Hauptzelt beschäftigt gewesen, „als im benachbarten Zelt von Dutzenden von Leuten ‚Ausländer raus‘ zu vernehmen war – und zwar in einer unglaublichen Lautstärke“. Julia Reihofer gegenüber habe der Veranstalter im Nachgang ebenso mitgeteilt, „dass die Wiedergabe von L’Amour toujours ein Versehen war und nicht absichtlich aufgelegt worden ist“.
Weiter berichtet die Musikerin, dass sie während einer Spiel-Pause bereits angesprochen worden sei, ob man denn diesen Song nicht auf der Bühne präsentieren könnte, was sie sogleich abgelehnt hätte. „Das Lied selbst kann nichts dafür – es ist, was die Leute daraus machen“, verdeutlicht auch die Frontfrau nochmals und ergänzt: „Wir lassen ganz bewusst gewisse Songs aus unserem Repertoire draußen – etwa Lieder von den Böhsen Onkelz, deren Texte zwar per se nicht rechtsradikal sind, jedoch das, was die Leute daraus machen. Wir distanzieren uns klar von diesen Menschen. Statt Onkelz spielen wir lieber ‚Schrei nach Liebe‘ von den Ärzten.“
Ähnlicher Vorfall auch am Ebenreuther Weiher
Dass der Missbrauch des Gigi-D’Agostino-Klassikers derzeit Hochkonjunktur zu haben scheint, beweist indes ein weiterer Vorfall, der sich am vergangenen Montag, 17. Juni, am Ebenreuther Weiher in der Gemeinde Thurmansbang ereignet hat. Wie die Polizei Grafenau mitteilt, sind auch dort ausländerfeindliche Parolen gegrölt worden. Der Pressebericht im Wortlaut:
„Am Montag, den 17.06.2024, gegen 17 Uhr, teilte eine 37-jährige Frau aus dem südlichen Landkreis Freyung-Grafenau telefonisch bei der Polizeiinspektion Grafenau mit, dass eine Gruppe Jugendlicher das „Sylter Lied“ am Ebenreuther Weiher hören soll. Einer der männlichen Jugendlichen aus der Gruppe soll dabei einmal die Parole „Ausländer raus. Deutschland den Deutschen.“ gerufen haben. Da die Zeugin den Vorfall aus einer gewissen Entfernung beobachtet hatte, konnte sie nicht genau sagen, wer aus der Gruppe die Äußerungen getätigt habe.
Als kurz darauf eine Streife der Polizeiinspektion Grafenau am Weiher eintraf und die sieben Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren zum Vorfall befragte, stritten diese ab, die besagten Parolen gerufen zu haben. Die Personalien der Jugendlichen wurden daraufhin festgestellt. Der Vorfall wird nun zur Prüfung an den Staatsschutz der Kriminalpolizei Passau und die Staatsanwaltschaft Passau zur Prüfung weitergeleitet.“
„Denkt doch wenigstens ein bisschen nach“
„Wie kann man so wenig Hirn haben und gegen die Grundwerte unserer Gesellschaft hetzen“, fragt sich indes die eingangs erwähnte Besucherin des Schönangerer Dorffests. „Wie konnten wir es soweit kommen lassen?“ Ihrer Meinung nach ist es entscheidend, dass Politik und Zivilgesellschaft gemeinsam gegen Rassismus und Diskriminierung vorgehen. „Der Rechtsextremismus gehört bestraft. Und an alle, die AfD gewählt haben: Shame on you! Denkt doch wenigstens ein bisschen nach bitte.“
Stephan Hörhammer