Freyung. Große Ereignisse laufen manchmal in Etappen ab. Die Stadterhebung vor 70 Jahren war für Freyung ein großes Ereignis. Und sie vollzog sich in zwei Schritten. Im Jahr 1953 hatten Bürgermeister Ludwig Heydn und der Freyunger Marktrat den Mut, beim Bayerischen Staatsministerium des Innern für Freyung die Erhebung zur Stadt zu beantragen. Mit Erfolg. Die offizielle Stadterhebung erfolgte am 3. Dezember 1953. Allerdings vorerst nur in bescheidenem Rahmen. Die großen Feierlichkeiten sollten dann am 27. Juni 1954 stattfinden.
Mancher dürfte sich damals gefragt haben, ob Freyung im Jahr 1954 bereits das Zeug zur Stadt hatte. Oder war die Stadterhebung vor allem als von der Staatsregierung gesetzter Impuls für die Zukunft zu sehen, der die Gemeinde anspornen sollte, dem Status als Stadt gerecht zu werden? In der Tat handhabten die damalige Staatsregierung und insbesondere Innenminister Dr. Wilhelm Hoegner die Stadterhebungen relativ großzügig. Andererseits hatte Freyung in den wenigen Jahren nach dem Krieg einen beachtlichen Aufschwung erlebt.
Steigende Einwohnerzahlen
Zwei Faktoren ließen die Einwohnerzahlen Freyungs auf einmal beträchtlich ansteigen: Zum einen hatten sich viele geflohene und vertriebene Sudetendeutsche nach dem Krieg in Freyung niedergelassen. Zum anderen sorgte die 1954 vollzogene Eingemeindung der Dörfer Ahornöd und Ort für einen beträchtlichen Einwohnerzuwachs. Hatte die Einwohnerzahl unmittelbar nach dem Krieg knapp über 2.000 betragen, so war sie jetzt auf 4.100 gestiegen. Damit nahm man bei den Bayerwaldstädten den fünften Platz ein. Zum Vergleich: Regen hatte 5.122 Einwohner. Einwohnertechnisch war Freyung also stadttauglich.
Wachsende Wirtschaftskraft
Holz war ein Rohstoff, den es im Bayerischen Wald reichlich gab. Das nutzten in Freyung findige Unternehmer, die auf der Grundlage des Rohstoffes Holz florierende Industriebetriebe aufbauten. Das Sägewerk der Firma Carl Hunger (Standort am Saußbach an der „Hungerbrücke“, deren volkstümliche Bezeichnung sich von dem Firmennamen ableitete) galt als eines der bedeutendsten und modernsten holzverarbeitenden Unternehmen im Unteren Bayerischen Wald. Zur Firma Hunger gehörte auch eine Bürstenholzfabrik (ursprünglicher Name: „Hunger’sche Bürstenholzfabrik„), die 1933 von einem Unternehmer namens Paul Unger übernommen wurde und sich zur größten ihrer Art in Deutschland entwickelte. Sie beschäftigte 140 Arbeiter und Angestellte. 1945, nach dem Tod Ungers, wurde die Firma in eine OHG als Familienbetrieb umgewandelt.
Hochwertige Produkte aus Holz fertigte auch die Firma Zuppinger (Ortmühle), die Holzspulen herstellte. Diese wurden in einem sehr komplizierten Verfahren produziert und fanden z.B. als Fabrikationsspulen in der Textilindustrie Verwendung. Die Firma exportierte in viele europäische Länder und nach Übersee.
Weitere florierende Betriebe, wie z.B. die Brauerei Lang und Wiede’s Carbidwerk, das neben Carbid damals auch schon synthetische Edelsteine produzierte, zeugen von der Wirtschaftskraft Freyungs und der näheren Umgebung.
Pioniergeist der Heimatvertriebenen
Sicherlich war es für Freyung schwierig, all die Geflüchteten und Heimatvertriebenen zu versorgen und zu integrieren, die nach dem Zweiten Weltkrieg hier eine neue Heimat suchten. Aber gleichzeitig gaben diese Neubürger der heimischen Wirtschaft ganz entscheidende Impulse. So kam auch Salek Löffler, eben dem Grauen des Holocaust entronnen, nach dem Krieg nach Freyung. Zusammen mit seiner Frau Hermine Otto gründete er im Jahr 1946 in Freyung in der Froschau einen kleinen Betrieb, in dem er Duroplast-Pressteile herstellte.
Durch seinen Pioniergeist und seine Geschäftstüchtigkeit entwickelte Salek Löffler aus dem ursprünglichen Vier-Personen-Betrieb ein Unternehmen, das seine Söhne Hermann und Robert Löffler höchst erfolgreich weiterführten – nicht zuletzt durch die Spezialisierung auf Schraubverschlüsse aus Kunststoff. Heute gehört das ehemalige Kunststoffwerk Löffler zur Unternehmensgruppe Aptar. Mit ca. 600 Mitarbeitern ist „da Löffler“, wie man in der Bevölkerung häufig noch sagt, der größte Arbeitgeber Freyungs.
Viele Vertriebene brachten Fachwissen mit. So auch die Beschäftigten der Papierfabrik Moldaumühle (Kienberg), die im Herbst 1946 ihre sudetendeutsche Heimat verlassen mussten. Sie machten sich auf den Weg nach Freyung, weil sie gehört hatten, dass dort eine Papierfabrik leer stehe. Das stimmte jedoch nicht. Aber immerhin fand sich in Freyung am Hammer ein geeignetes Gelände, auf dem man eine Papierfabrik errichten könnte. Eigentümer des Geländes und des dortigen E-Werks war Josef Lang.
Die neu angekommenen Papierfacharbeiter bewiesen unternehmerischen Mut. In einer bewundernswerten Gemeinschaftsleistung errichteten sie am Hammer im Jahr 1948 eine Papierfabrik. Und das überwiegend in Handarbeit, weil es kaum Baumaschinen gab. Aus Württemberg besorgte man sich eine gebrauchte Papiermaschine, am 5. Mai 1949 startete die Produktion. Nach Anfangsschwierigkeiten etablierte sich die Fabrik am Markt, die Anzahl der Beschäftigten stieg auf 200 an. Das Werk bestand bis 1977, dann musste man Konkurs anmelden. Insgesamt gesehen konnte Freyung im Jahr 1954 eine für einen Bayerwaldort erstaunlich hohe Anzahl an Arbeitsplätzen in der Industrie vorweisen.
Florierender Einzelhandel
Auch der Einzelhandel hatte sich in Freyung bis zum Jahr 1954 solide entwickelt. Es gab zahlreiche Gewerbe und Geschäfte, z.B. 18 Lebensmittelgeschäfte, acht Metzgereien, fünf Bäckereien, ein Modehaus, drei Fahrradhandlungen, drei Tankstellen, 14 Schneidereien, eine Drogerie, vier Elektro- und Radiohandlungen und vieles andere mehr.
Die ärztliche Versorgung passte: Freyung wies ein Kreiskrankenhaus mit 200 Betten auf, vier praktische Ärzte, vier Zahnärzte und eine bestens bestückte Apotheke. Zudem war Freyung Sitz sämtlicher Behörden: Landratsamt, Vermessungsamt, Forstamt, Amtsgericht, Gesundheitsamt und Veterinäramt. Im Volksschulbereich war man bestens ausgestattet, bei den weiterführenden Schulen gab es noch Luft nach oben. Im Jahr 1950 hatte man aber immerhin schon eine Mittelschule (heute Realschule) errichtet.
Insgesamt zeugen all diese Fakten davon, dass Freyung im Jahr 1954 durchaus „stadttauglich“ war. Die Infrastruktur passte, die Wirtschaftskraft hatte sich sehr positiv entwickelt. Die Stadterhebung war kein Geschenk, sondern der Lohn für eine mutige und weitsichtige Kommunalpolitik.
Gerhard Ruhland