Bayerischer Wald. Die nächste Watschn für die auf Bundesebene regierende Ampel-Koalition aus SPD, FDP und Grüne, die Union als Wahlsieger und ein klar erkennbarer Rechtsruck – so lässt sich das Ergebnis der Europawahl 2024 kurz und prägnant zusammenfassen. Egal, ob auf europäischer, Bundes-, Landes-, Landkreis- oder Gemeinde-Ebene. Mit dem neugegründeten „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW) feierte zudem eine Partei einen relativ starken Einstand. Deutschlandweit lag die Wahlbeteiligung bei 64,8 Prozent – ein Höchstwert. In Bayern machten sogar 65,5 Prozent aller Wahlberechtigten ihr Kreuzchen.
Das Onlinemagazin da Hog’n wirft im Nachklang der kontinentalen Abstimmung einen Blick auf die Ergebnisse in den „Woid“-Landkreisen Freyung-Grafenau und Regen sowie auf die „Grenzregionen“ Cham, Deggendorf und Passau – und lässt außerdem die Kandidaten zu Wort kommen, die die Gesichter ihrer jeweiligen Parteien während des Wahlkampfes in Ostbayern waren…
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+++ Landkreis Freyung-Grafenau +++
Obwohl die CSU fast zehn Prozentpunkte im Vergleich zu 2019 verloren hat, bleiben die „Schwarzen“ im Landkreis Freyung-Grafenau die mit Abstand stärkste Partei. Die Christsozialen haben in jeder FRG-Kommune gewonnen – in Röhrnbach (50,8 Prozent) und Freyung (51,8 Prozent) sogar mit absoluter Mehrheit. Als zweitstärkste Partei geht die AfD aus dem Europa-Rennen hervor – jeder fünfte Wahlberechtigte machte sein Kreuzchen hinter dem Vertreter aus dem rechten Spektrum. Die AfD-Hochburgen: Haidmühle (26,3 Prozent), gefolgt von Neuschönau und Eppenschlag (25 Prozent).
Während das „Bündnis Sarah Wagenknecht“ auf Anhieb 1.515 Wähler (4,1 Prozent) von sich überzeugen kann, schmiert die Ampel regelrecht ab: Grüne (4,2 Prozent), SPD (5,3 Prozent) und FDP (1,9 Prozent) lassen als gemeinsames Stimmen-Trio gerade einmal die drittstärkste Kraft, die Freien Wähler mit 10,2 Prozent, hinter sich – und das auch nur sehr knapp…
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+++ Landkreis Regen +++
Ein ähnliches Bild wie in Freyung-Grafenau zeichnet sich auch im weiteren Bayerwald-Landkreis Regen ab: Rund um den Großen Arber präsentiert sich die CSU (46,8 Prozent) etwas schwächer als zwischen Rachel und Dreisessel – und die AfD etwas stärker (20,2 Prozent). Sämtliche Kommunen gehen an die CSU – in Bayerisch Eisenstein besonders deutlich: Dort sammeln die „Schwarzen“ erstaunliche 61 Prozent der abgegeben Stimmen. Die AfD kann vor allem in Rinchnach (24,8) und Gotteszell (24,5) überzeugen.
Die meisten Stimmen der Ampel-Parteien gehen im Landkreis Regen auf das Konto der SPD (1.798/5,4 Prozent), die vor den Grünen (1.145/4,3 Prozent) und der FDP (689/2,1 Prozent) rangiert. Zum Vergleich dazu das Ergebnis der Freien Wähler: 3.365 Stimmen/10,1 Prozent). Das „Bündnis Sarah Wagenknecht“ pendelt sich um 0,1 Prozent über dem Bayern-Ergebnis (3,9) ein.
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Stimmen regionaler EU-Kandidaten
Severin Eder (SPD): „Im ersten Moment bin ich stolz. Stolz auf alle Genossinnen und Genossen in Niederbayern. Trotz der widrigen Umstände haben wir vor Ort Wahlkampf gemacht und waren wirklich in jedem Landkreis engagiert und mit Herzblut vertreten. Das macht mir Mut für die Zukunft. Das Wahlergebnis ist für uns natürlich mehr als ernüchternd, um ehrlich zu sein schmerzt es schon sehr. Wir sind mit unseren Themen nicht durchgedrungen – und „nur“ gegen Rechts zu sein, reicht nicht. Erst die Landtagswahl, nun die Europawahl – die Ergebnisse müssen ein Weckruf sein! Wir müssen uns jetzt dringend neu sortieren, an Glaubwürdigkeit gewinnen und die Menschen wieder erreichen. Gerade auf dem Land brauchen wir endlich die nötige Unterstützung.
Alarmierend ist, dass eine Partei zweitstärkste Kraft wurde, die keine einzige Lösung für die Probleme unseres Landes hat. Eine Partei, deren Spitzenkandidaten aufgrund diverser Skandale nicht einmal mehr im Wahlkampf auftretet durften. Eine Partei, die offen Deportationspläne schmiedet und mit einer „wohl temperierten Grausamkeit“ agieren will. Dagegen brauchen wir nun effektive Strategien.
Aber wir dürfen jetzt nicht in eine Opferrolle verfallen und uns als die Missverstandenen hinstellen. Stattdessen heißt es: Mund abputzen und endlich wieder die Sprache unserer „Leid“ zu sprechen. Das gilt es nun zu tun. Denn die Idee der Sozialdemokratie wird in dieser Zeit mehr denn je benötigt, und dazu möchte ich auch meinen Teil beitragen.“
„Niederbayern eigentlich gut aufgestellt“
Anton Holler (FDP): „Der Landkreis Degendorf hat gewählt. Hier haben die Liberalen 0,2 Prozent dazugewonnen, bayernweit waren es 0,5 Prozent. Ich hätte mir mehr erhofft – aber damit kann ich leben. Ich bedanke mich für die Stimmen! Weitermachen und der AFD die Stimmen wieder abnehmen, die diese EU-Gegner von den Schwarzen und Grünen genommen haben – daran wollen wir arbeiten.
Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass Europa sich in den nächsten fünf Jahren weiter positiv entwickeln wird. Wichtig ist, dass am Ende die Bürger vor Ort auch weiter davon profitieren. Da ist nun eine starke und konkurrenzfähige Wirtschaft wichtig. Diese ermöglicht Vollbeschäftigung und soziale Wohltaten, wo es notwendig ist – ohne der nächsten Generation Schulden zu hinterlassen. Hier sind wir in Niederbayern eigentlich gut aufgestellt.“
„Bestürzt über das AfD-Ergebnis in unserem Landkreis“
Alexander Rohde (Grüne): „Mit dem Ergebnis der Europawahl 2024 kann ich nicht zufrieden sein. Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit, und der Kampf gegen den Rechtsrutsch brauchen mehr Rückhalt. Bestürzt bin ich über das Ergebnis der AfD in unserem Landkreis – aber vor allem in unserer schönen Gemeinde Haidmühle. Es ist schlecht für unsere Region, für unser Land und für Europa, dass rechtsextreme und populistische Parteien die Debatten noch stärker mitbestimmen.
Europa hat uns Frieden und Sicherheit, Freiheit und Wohlstand gebracht – das müssen wir verteidigen. Ich danke allen Wahlkämpfer*innen, die dafür in den letzten Monaten alles gegeben haben – aus meinem Kreisverband, und ganz besonders den weiteren drei bayerischen Grünen-Kandidierenden Andrea Wörle, Maximilian Retzer und Michaela Reimann. Wir vier hatten ein mannigfaltiges Portfolio, jede*r von uns hätte das Europaparlament bereichert, Bayern hätte von jedem von uns profitiert. Ich bedauere sehr, dass Bayern in der nächsten grünen Europagruppe nicht repräsentiert wird.
Es schadet Europa, wenn rechtsextreme Parteien teilweise in engem Schulterschluss mit den Konservativen immer weiter an unserer Freiheit, Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit sägen. Wir Grüne tun alles dafür, Mehrheiten in der Mitte zu ermöglichen und Europa voranzubringen. Wir überlassen Rechtsextremen wie Meloni, Orban und Co. nicht unsere Demokratie, unser Klima, unseren Wohlstand und unser Ansehen in der Welt. Es geht um unsere Zukunft.
„Rückschritt zum Nationalismus schwächt Europa“
Flankierend zum katastrophalen Ausgang der Europawahl blicke ich aber auch besorgt nach Frankreich. Die dortigen Entwicklungen können sich massiv negativ auf Europa und die NATO, und damit auch auf Deutschland auswirken. Ein beinahe europaweiter Rückschritt zum Nationalismus schwächt Europa und bedeutet am Ende höhere Kosten, weniger Sicherheit, schlechtere Bildung, weniger Forschung und Entwicklung, und geringeren Wohlstand – für uns alle.
Auf kommunaler Ebene können und sollten wir jedoch weiterhin gemeinsam unsere Lebensgrundlagen schützen, demokratische Werte verteidigen, und uns für die Zukunft unserer Kinder einsetzen.“
„Auch die CSU und die Freien Wähler haben tragisch mitgeheizt“
Agnes Becker (ÖDP): „Wir freuen uns natürlich erst einmal, dass die ÖDP ihr Mandat verteidigt hat. Das ist Bestätigung für unsere Arbeit – vor allem für den gentechnischen Kurs. Der Wahlkampf hat in einem sauschweres Umfeld stattgefunden, das darf man nicht außer Acht lassen.
Wie schon vor den Landtagswahlen wurde wahnsinnig polarisiert – auch die CSU und die Freien Wählen haben tragisch mitgeheizt. Die Stärkungen der links- und rechtsextremen Ränder werden es schwieriger machen, das geglückte EU-Friedensprojekt auf bisher gewohnte Art und Weise weiter zu führen.“
„In der Bundesgeschichte einmaliges Ergebnis“
Patrick Rostek (BSW): „Das ‚Bündnis Sahra Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit‘ hat aus dem Stand bereits ein starkes Ergebnis erzielen können. Für dieses in der Bundesgeschichte bisher einmaliges Ergebnis sind wir sehr dankbar und freuen uns bereits auf weitere Wahlkämpfe, an denen wir uns stark beteiligen wollen. Als nächsten Schritt werden wir jetzt eine bayerischen Landesverband gründen.“
„Der Rechtsruck wundert mich nicht wirklich“
Christine Singer (Freie Wähler): „Mich wundert der Rechtsruck nicht wirklich. Er ist einfach die Folge der Politik, die derzeit in Berlin gemacht wird: Viele Bürger haben Frust, viele haben Angst um ihre Existenz. Die Messerattacke von Mannheim hat aus meiner Sicht dann dazu geführt, dass sich auch die unentschlossenen Wähler noch entsprechend entschieden haben.
Die Freien Wähler haben insgesamt zugelegt. Es hätte noch mehr sein können, aber wir sind dennoch zufrieden. Nun kommen drei Politiker unserer Partei nach Straßburg – einer davon werde ich sein. Das war unser Ziel. Ich werde am Donnerstag nach Brüssel zur Akkreditierung fliegen. Dann werde ich versuchen, mich möglichst schnell im EU-Parlament zurecht zu finden. Ich muss zunächst reinwachsen. Mein Schwerpunkt-Thema wird die Landwirtschaft sein, aber auch eine stabile Wirtschaft sowie die Sicherheit stehen auf meiner Agenda.“
„Entscheidungen nach Wahl 2019 haben zu Frust geführt“
Manfred Weber (CSU): „Für die CSU ist die Europawahl ein Erfolg. Wir setzen den Aufwärtstrend fort. Das ist das Ergebnis des Zusammenhalts, Einsatzes und der inhaltlichen Politik der gesamten Partei. Damit können wir sehr zufrieden sein und dafür bin ich den Wählerinnen und Wählern sehr dankbar. Die CSU ist die letzte verbliebene Volkspartei in Niederbayern und Bayern – und bleibt die starke Stimme der Region in Europa.
Ich freue mich über mein persönliches Ergebnis und dass ich Niederbayern wieder im Europäischen Parlament vertreten darf. Die vielen positiven Rückmeldungen in den vergangenen Monaten haben mich sehr motiviert. Das niederbayerische Ergebnis von 2019 war einer absoluten Sondersituation geschuldet wegen meiner europäischen Spitzenkandidatur. Dass die europäischen Entscheidungen nach der Wahl 2019 gerade in Niederbayern zu großem Frust geführt haben, habe ich im Wahlkampf laufend gehört. Dies spiegelt sich im niederbayerischen Ergebnis natürlich wider.“
Helmut Weigerstorfer