Philippsreut. Rainer Wendt ist bekannt als streitbare Person, die polarisiert – und gerne auch einmal bewusst provoziert. Daher gehen die Meinungen über den 67-Jährigen meist weit auseinander. Nicht diskutierbar ist seine Funktion als Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) im Deutschen Beamtenbund (DBB), die er seit 2007 ausfüllt. Der Westfale ist somit Gesicht und Stimme von mehr als 100.000 Mitgliedern – von Beamten und Angestellten im öffentlichen Polizeidienst.
Im Rahmen des EU-Wahlkampfes und auf Einladung des hiesigen Landtagsabgeordneten Stefan Ebner (CSU) war Wendt jüngst zu Gast im Bayerischen Wald – u.a. auch am Grenzübergang Philippsreut. Dort ließ er sich über die mobilen Grenzkontrollen und generell über die Zuwanderung an der deutsch-tschechischen Grenze informieren. Für ein längeres Live-Hog’n-Interview blieb keine Zeit, weshalb der DPoG-Chef gegenüber Patricia Ostburg, Mitarbeiterin des Landtagsmitgliedes, unsere Fragen beantwortet hat:
Viele Kohorten fehlen – „und das rächt sich jetzt“
Herr Wendt, wie ist es allgemein um die deutsche, insbesondere um die bayerische Polizei bestellt?
Das ist in den Ländern sehr unterschiedlich. Die bayerische Polizei hat den Vorteil, eine Landesregierung zu haben, die voll und ganz hinter ihr steht. Der Innenminister Joachim Herrmann stellt sich immer wieder schützend vor seine Beamten. Das ist sehr wohltuend! Aber leider nicht in jedem Bundesland der Fall. Und bei der Bundespolizei schon gar nicht. Frau Faeser behandelt ihre Bundespolizisten eher schlecht. Sie werden politisch einfach nicht unterstützt, sondern eher bekämpft.
Es ist immer wieder von einem Personalmangel die Rede. Wie dramatisch ist die Lage?
In den 90er-Jahren sind viele Planstellen bei der Polizei gestrichen worden. Es gibt viele Kohorten – so nennt man die Jahrgänge der Polizei -, die fehlen. Und das rächt sich jetzt. Nun muss man auf einem hochumkämpften Bewerbermarkt versuchen, die Besten herauszufiltern. Denn die Ansprüche sind hoch. Die Bewerberinnen und Bewerber scheitern sehr häufig an den Aufnahmeprüfungen. Leider fehlt dann auch oft das Durchhaltevermögen, um eine lange und schwere Ausbildung durchzuhalten. Deshalb kommt der Personalmangel zustande.
Werden die Beamten ausreichend bezahlt?
Das ist sehr unterschiedlich. Die Beamten der Bundespolizei sowie der bayerischen Landespolizei werden im Vergleich zu anderen Bundesländern sehr gut bezahlt. Bayern war da schon immer gemeinsam mit der Bundespolizei an der Spitze. Beispielsweise in der Hauptstadt ist die Bezahlung ausgesprochen miserabel. Und da tut sich auch nicht viel.
„Kein Geld da“
Sind unsere Polizisten bei ihren Einsätzen sicher? Und: Hat diese Sicherheit im Vergleich zu den Vorjahren zu- oder abgenommen?
Der Polizeiberuf ist ein gefahrengeneigter Beruf – und das wissen die Kolleginnen und Kollegen auch. Sie wissen aber auch, dass sie den Anspruch haben dürfen, von den Dienstherren so gut wie möglich geschützt zu werden. Da ist nicht nur die persönliche Schutzausstattung gemeint, sondern auch die Trainingseinheiten. Ein Beispiel: Ausgerechnet in diesem Jahr hat die Bundesinnenministerin der Bundespolizei 500 Millionen Euro gestrichen. Deshalb können wichtige Einsatztrainings für gefährliche Einsatzlagen nicht mehr gemacht werden, weil schlichtweg kein Geld mehr da ist.
Mehrmals forderten Sie bereits den verstärkten Einsatz von Waffen – u.a. bei Demonstrationen. Sie brachten beispielsweise Gummigeschosse ins Spiel. Erklären Sie uns noch einmal, warum derart drastische Mittel erforderlich sind…
Derart drastische Mittel sind inzwischen – Gott sei Dank – nicht mehr erforderlich, weil sich die Polizei mit einem guten alternativen Distanzmittel ausgestattet hat. Wir haben inzwischen sehr moderne Wasserwerfer, die flächendeckend für die Bereitschaftspolizei angeschafft worden sind. Deshalb braucht man keine Gummigeschosse, um die Menschen auf Distanz zu halten. Denn darum geht es. Störer, die auf die Beamten einwirken – beispielsweise mit Flaschen- und Steinwürfen – auf Distanz zu halten. Das ist mit den neuen Wasserwerfern möglich. Andere Distanzmittel sind deshalb nicht mehr notwendig.
„Der Meinung, dass wir Grenzkontrollen brauchen“
Auch bei den Themen Vorratsdatenspeicherung, Fußballstadien, Privatsphäre im Internet, Racial Profiling sind Sie mit teils drastischen Aussagen angeeckt. Bewusste Überspitzung, um auf Gefahren hinzuweisen – oder 1:1 Ihre persönliche Einstellung?
Zunächst einmal: 1:1 meine persönliche Einstellung – selbstverständlich! Zugespitzte Formulierungen und Polemik sind zudem absolut zulässige Stilmittel in der politischen Auseinandersetzung. Diejenigen, die dagegen sind, sparen übrigens auch nicht mit Zuspitzung.
Auf Ihrer Tour durch den Bayerwald waren Sie unter anderem auch am Grenzübergang Philippsreut zu Besuch. Sind Sie nach wie vor der Meinung, dass hier ein Zaun erreichtet werden müsste, um die Flüchtlingsankünfte reduzieren bzw. besser kontrollieren zu können?
Ich war noch nie der Meinung, dass ein Grenzzaun errichtet werden müsste. Ich war der Meinung, dass wir Grenzkontrollen brauchen. Die Bundespolizei und die bayerische Grenzpolizei haben das nun sehr gut im Griff. An den europäischen Außengrenzen muss man zur Sicherung der Grenze auf derartige technische Maßnahmen zurückgreifen. Wenn nicht, sind diese Grenzen nicht ausreichend geschützt.
„Gespaltene Gesellschaft“
Ist die Lösung dieses Dauerthemas tatsächlich so einfach? Müssen nicht die Ursachen auf größerer, weltpolitischer Ebene bekämpft werden?
Ja, das kann man versuchen. Trotzdem muss man seine eigenen Hausaufgaben machen. Die Grenzen ungeschützt zu lassen, was lange Zeit der Fall gewesen ist, war nicht zielführend. Unkontrollierte Einwanderung hundertausender Menschen einfach so hinzunehmen und sie in die Sozialsysteme aufzunehmen, ist nun wirklich keine politische Kunst und auch keine Lösung, sondern verstärkt die Probleme immer noch mehr.
Wir haben inzwischen eine gespaltene Gesellschaft, größer werdende Zentrifugal-Kräfte in der Demokratie – das heißt: religiöse, linke und rechte Extremisten, die sich teilweise schon treffen und ihr Unwesen treiben. Alles Probleme, die genau mit diesem Phänomen zusammenhängen. Vieles davon wäre nicht möglich gewesen, wenn man frühzeitig die europäischen Außengrenzen geschützt und die deutschen Grenzen vernünftig kontrolliert hätte.
„Kommen mehr Menschen, kommt mehr Kriminalität“
Würden Sie in Sachen Asylpolitik nach wie vor von „Staatsversagen“ sprechen?
Selbstverständlich ist das so. Wie soll man es denn anders nennen, wenn wir inzwischen ein paar hunderttausend Menschen hier im Land haben, die keine Aufenthaltsberechtigung haben. Wenn wir über 50.000 Menschen haben, die vollziehbar ausreisepflichtig sind – und wir es gerade einmal schaffen, 16.000 Abschiebungen vorzunehmen im Jahr – mit sinkenden Zahlen. Unsere Sozialsysteme sind überfordert, unser gesellschaftliches Potenzial ist mittlerweile aufgebraucht, was die Integrationsfähigkeit angeht. Schulen, Familien, öffentliches Leben – überall sehen wir die Konflikte. Und das Ganze hat einen Ausdruck: Staatsversagen.
Ist es tatsächlich so, dass die größere Anzahl an Migranten in Deutschland zu mehr Kriminalität geführt hat?
Selbstverständlich ist das so. Kommen mehr Menschen ins Land, kommt natürlich auch mehr Kriminalität. Kriminalität ist zunächst einmal menschlich. Das Problem muss aber differenzierter betrachtet werden. Es gibt eben Gruppen von Migranten, die in gewissen Kriminalitätsbereichen überrepräsentiert sind. Und das muss man auch so beim Namen nennen, was übrigens auch das Bundeskriminalamt in seiner jährlichen Darstellung so macht. Und das BKA ist ja völlig unverdächtig, rechtsextremistisch zu sein.
„Wendt wird als schillernd, polternd, populistisch, konservativ, medial allgegenwärtig und vor allem polarisierend beschrieben“, heißt es in ihrem Wikipedia-Eintrag. Ihre Meinung dazu?
Wer bei Wikipedia nach verlässlichen Quellen sucht, hat die Kontrolle über seine Recherchen verloren (schmunzelt).
CDU/CSU: „Nur sie können die großen Probleme lösen“
Inwiefern sind Sie als Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft auch Politiker?
Überhaupt nicht. Politiker sind gewählte Mandatsträger, die unser Respekt und unser Vertrauen verdient haben.
Geht es ihnen ausschließlich um die Interessen der Polizeibeamten?
Selbstverständlich. Es geht mir um die Interessen der Beamtinnen und Beamten – (betonend) die Beamtinnen gehören übrigens dazu. Mir geht es auch um die Tarifbeschäftigen und Verwaltungskräfte in der Polizei. Sie alle gehören dazu. Denn sie alle haben mich über Delegierte in mein Amt gewählt. Sie haben mir somit einen langen Aufgabenkatalog mitgegeben. Dieser steht nicht nur in der Satzung, sondern wird bei jedem Bundeskongress neu verabschiedet. Und daran halte ich mich.
Ihre bereits angesprochene Reise in den Bayerischen Wald erfolgte auf Einladung der CSU im Rahmen des EU-Wahlkampfes. Warum ist die Union aus Ihrer Sicht eine wählenswerte Partei?
Ich bin seit mehr als zehn Jahren in der CSU und seit mehr als fünfzig Jahren in der CDU. Ich verbinde mit den beiden Unionsparteien die historisch größten Entscheidungen deutscher Nachkriegsgeschichte: Sozialgesetzgebung, Wirtschaftsgesetzgebung – übrigens auch Personalvertretungen und Mitstimmungsrechte, die Wiedervereinigung, die europäische Zusammenarbeit, das transatlantische Bündnis, die Rentengesetze, der Generationenvertrag. Diese wichtigen gesellschaftspolitischen Entscheidungen hat die Union getroffen, die unser Land so geprägt haben, wie es ist. Nämlich friedlich, tolerant und weltoffen. Und genau deshalb bin ich CSU- und CDU-Mitglied. Ich bin überzeugt davon, dass nur diese Partei bzw. diese Parteien die großen Probleme in unserem Land lösen kann bzw. können.
„Herr Böhmermann ist ja auch kein richtiger Künstler“
Abschließend eine Frage, die ihren Ursprung in einer Satire hat: Herr Wendt, warum sind Sie „ein echter Polizist“?
Ich war ein echter Polizist. Und zwar 43 Jahre lang. Aber ich freue mich, in einem freien Land zu leben, in dem Herr Böhmermann ein solches Lied über mich machen darf. Ist ja nicht der einzige unsinnige Einsatz von Gebühren für das öffentlich-rechtliche Fernsehen. Herr Böhmermann darf gerne singen, ich sei kein echter Polizist. Er ist ja auch kein richtiger Künstler.
Vielen Dank für das Gespräch – und alles Gute für die Zukunft.
Im Hintergrund aktiv: Helmut Weigerstorfer