Straßburg/Wildenberg. Er ist der wohl bekannteste EU-Politiker – in Niederbayern, in Bayern und vielleicht sogar in Deutschland. Manfred Weber ist Partei- und Fraktionsvorsitzender der Europäischen Volkspartei (EVP) und stellv. CSU-Parteivorsitzender. Seit 2004 gehört er dem kontinentalen Gremium an. Trotz weiterer Waidler auf der Liste der Christsozialen ist er der Kandidat für den Woid. Und auch der, der im Rahmen des Hog’n-Interviews aufgrund seiner Erfahrung die europäische Politik am besten erklären kann?
Bitte stellen Sie sich zunächst einmal unseren Lesern vor.
Ich bin ein 51-jähriger Niederbayer aus der Holledau, in Niederhatzkofen geboren, und lebe mit meiner Frau in meinem Heimatort in Wildenberg (Landkreis Kelheim). Nach der Schule, FOS und Grundwehrdienst habe ich an der damaligen FH in München Physikalische Technik studiert und meinen Abschluss als Ingenieur (FH) gemacht.
Vor der Politik-Karriere zwei Firmen gegründet
Beruflich habe ich zwei Firmen im Bereich Umwelt-, Qualitätsmanagement und Arbeitssicherheit gegründet, die aber nicht mehr in meinem Besitz sind. In meiner Jugend habe ich mich viel in der Katholischen Landjugend engagiert und war als Musikant in verschiedenen Formationen unterwegs. Später bin ich zur Jungen Union gekommen. Es folgten 2002 die Wahl in den Bayerischen Landtag und 2004 in das Europäische Parlament. Heute bin ich nach wie vor kirchlich aktiv, zum Beispiel im Zentralkomitee deutscher Katholiken.
Warum wollen Sie in das Europa-Parlament einziehen?
Politik ist für mich die Verantwortung, für meine Heimat Zukunft zu gestalten – mit gesundem Menschenverstand, Mut und Weitsicht. Seit 2004 darf ich als Abgeordneter meine Heimat Niederbayern im Europäischen Parlament vertreten und seit 2014 als EVP-Fraktionsvorsitzender die größte Fraktion im Europäischen Parlament führen. Dieser Verantwortung möchte ich mich weiterhin gern stellen.
„Radikalisierungen im Inneren und Bedrohung von außen“
Wie hoch schätzen Sie Ihre Chancen für einen Einzug ein?
Vergangenen Herbst hat mich die CSU mit großer Mehrheit zu ihrem Spitzenkandidaten für die Europawahl gewählt. Die Chancen, dass wir als CSU auch für die neue Legislaturperiode eine starke Mannschaft an Abgeordneten im Europäischen Parlament stellen, stehen gut, wenn wir die Unterstützung der Niederbayern und Bayern bekommen. Dementsprechend bin ich sehr zuversichtlich, was meinen Wiedereinzug ins Europäische Parlament betrifft.
Welche politischen Ideen und Ziele wollen Sie während einer möglichen Amtszeit umsetzen?
Wir müssen Europa weiterentwickeln und für die Zukunft rüsten – und zugleich näher zu den Menschen bringen und auch reformieren. Es geht bei dieser Europawahl um die Sicherung von Frieden, Wohlstand, Zusammenhalt – und um die Frage, in welche Richtung Europa gehen wird. Europa muss angesichts der Radikalisierungen im Innern und der Bedrohungen von außen ein Stabilitätsanker bleiben. Wir als CSU stehen für ein bürgerliches Europa, bei dem wirtschaftlicher Wohlstand, Sicherheit und Zusammenhalt ganz oben stehen.
Noch konkreter: Welche Ideen wollen Sie im fernen Brüssel explizit für Niederbayern/ den Bayerischer Wald/ den ländlicher Raum umsetzen?
Unsere Land- und Forstwirtschaft hat für Niederbayern eine enorme Bedeutung – sie prägt das Bild unserer Heimat, erhält und pflegt in seiner Vielfalt und Besonderheit die Kulturlandschaft. Wir müssen dafür sorgen, dass der Bayerische Wald mit seiner Sonderstellung auch in der neuen Förderperiode nach 2027 – Stichwort: landwirtschaftliche Ausgleichszahlungen – gezielt gefördert wird.
„Brauchen Hochwasserschutz zwischen Deggendorf und Vilshofen“
Gleiches gilt auch für die regionale Wirtschaftsförderung: Wer in unsere Heimat investiert, soll auch weiterhin bestmöglich vom Staat dafür gefördert werden. Und auch vernünftiger Hochwasserschutz steht auf meiner Agenda: Wir brauchen für den Donauabschnitt zwischen Deggendorf und Vilshofen einen Hochwasserschutz, der die Belange von Umwelt- und Naturschutz mit den Ausbauzielen in Einklang bringt. Die EU-Kommission muss dazu den Weg in den kommenden Jahren freimachen.
Was entgegnen Sie denjenigen, die behaupten, das EU-Parlament sei ein Gremium ohne größeren Nutzen und ohne größere Bedeutung?
Das Europäische Parlament ist die Herzkammer der europäischen Demokratie. Hier vertreten die gewählten Abgeordneten aus allen 27 EU-Mitgliedstaaten die Interessen der rund 450 Millionen Europäerinnen und Europäer. Hier werden Gesetze gemacht, die sämtliche Bereiche des Lebens und Zusammenlebens betreffen und dann in allen EU-Staaten gelten. Es ist das Europäische Parlament, das die anderen EU-Institutionen kontrolliert, den Präsidenten oder die Präsidentin der EU-Kommission wählt und den EU-Haushalt genehmigt. Kurz: Das Europäische Parlament bestimmt die Politik in Europa. Seine Arbeit ist zentral, damit Europa funktioniert.
„Zentraler Baustein für fast 80 Jahre Frieden“
Was denken Sie: Wie wird die EU in Niederbayern generell wahrgenommen?
In den Gesprächen mit den Menschen in meiner Heimat in Niederbayern bekomme ich viel positives Feedback. Auch wenn die EU sicher nicht perfekt ist und es natürlich einiges zu kritisieren gibt, habe ich ein gutes Gefühl. Den Leuten ist bewusst, wie wichtig die EU für Niederbayern, für unseren wirtschaftlichen Erfolg und Wohlstand, für die Sicherheit, für den gesellschaftlichen Zusammenhalt ist. Das ist zumindest der Eindruck, den ich gewinne, wenn ich vor Ort unterwegs bin.
„Die europäische Idee ist gescheitert“ – wie stehen Sie zu dieser Aussage?
Dafür müsste ich auch eine Begründung hören, warum die europäische Idee gescheitert sein soll. Die europäische Idee lebt und ist stark wie nie. Sie ist der zentrale Baustein für fast 80 Jahre Frieden, Freiheit, Demokratie und Wohlstand in Europa – und seit fast 35 Jahren im wieder vereinten Europa. Das ist die längste Friedensphase auf unserem Kontinent, die es je gab – und es ist das beste Europa, das es je gab.
„Die Europäische Union ist bekannt für meist unsinnige Vorschriften“ – können Sie dem zustimmen?
In dieser Pauschalität ist das Unsinn. Die EU muss sich auf den großen Rahmen konzentrieren und dann liefern, wenn sie einen echten Mehrwert bietet. Zur Wahrheit gehört sicher, dass wir heute zu viel Bürokratie in der EU haben. Das ist aber auf den anderen politischen Ebenen genauso. Diese Bürokratie müssen wir konsequent abbauen und unsere Unternehmen und unseren Mittelstand entlasten.
„Ohne EU wäre all das nicht oder sehr umständlich möglich“
Trotzdem dürfen wir nicht vergessen: Europa leistet enorm viel und macht das Leben an so vielen Stellen einfacher und besser. Jeder kann in seinem Alltag Vorteile von Europa direkt spüren. Einige Beispiele: Jeder kann heute frei entscheiden, wo er in der EU leben, arbeiten, studieren möchte. Wenn wir ins EU-Ausland in den Urlaub fahren, ist zumindest in den Euro-Staaten nicht mehr der erste Gedanke: Wo kann ich am besten und schnellsten mein Geld wechseln?. In der ganzen EU kann man telefonieren, ohne am Ende des Monats Angst vor einer horrenden Handyrechnung haben zu müssen. Ohne die EU wäre all das nicht oder nur sehr umständlich möglich.
„Das Europa-Parlament ist ein riesiger Wasserkopf mit Abgeordneten, die sich dort eine goldene Nase verdienen“ – was halten Sie von dieser Aussage?
Von dieser Aussage halte ich überhaupt nichts. Zu meiner EVP-Fraktion im Europäischen Parlament zählen neben mir als Fraktionsvorsitzenden derzeit 175 Abgeordnete. 175 Kolleginnen und Kollegen, die sich jeden Tag aufs Neue mit viel Zeit, Energie und Leidenschaft in den Dienst für Europa und die Menschen stellen. Leider gibt es aber, wie gerade jüngst bei der AfD, schwarze Schafe.
„Es braucht eine Politik von der bürgerlichen Mitte heraus“
„Die EU kostet uns Deutschen nur Geld“ ist oft zu hören. Stimmen Sie dem zu?
Dem kann ich nur klar widersprechen. Deutschland und Bayern als starke Exporteure profitieren besonders von der EU und unserem gemeinsamen Binnenmarkt. Nur zur Verdeutlichung: Rund jeder vierte deutsche Arbeitsplatz hängt vom Export ab und mehr als die Hälfte unserer Exporte gehen Jahr für Jahr in den EU-Binnenmarkt. Die EU ist Garant für unsere Arbeitsplätze und unseren wirtschaftlichen Erfolg. Und der Frieden in Europa ist unbezahlbar.
Abschließend ein kleines Wunschkonzert: Wie sieht das Europa der Zukunft aus?
Wir können stolz darauf sein, auf den kulturellen Reichtum Europas, die Vielfalt in den Staaten, seinen gesellschaftlichen Zusammenhalt, seine demokratische Erfolgsgeschichte – und ja – auch sein wirtschaftliches Erfolgsmodell. Klar ist aber auch: Europa kann und muss an der ein oder anderen Stelle noch besser werden.
Wir brauchen ein Europa, das verteidigungsfähig ist und selbst für seine eigene Sicherheit sorgen kann. Ein menschliches Europa, das die Anliegen des Landwirts genauso wichtig nimmt wie des Startup-Unternehmers oder des Amazon-Fahrers. Ein Europa, das nicht wegschaut, sondern anpackt und die großen Herausforderungen unserer Zeit, wie den Klimaschutz, gemeinsam mit den Menschen löst. Dafür braucht es eine Politik aus der bürgerlichen Mitte heraus – für ein Europa, das schützt und Wohlstand und Zusammenhalt sichert.
Vielen Dank für die Antworten – und alles Gute bei der Wahl!
Die Fragen stellte: Helmut Weigerstorfer