Straßburg/Bischofsreut. Als Soldat mit sage und schreibe bisher 13 Auslandseinsätzen weiß Alexander Rohde aus der Praxis, worum es geht, wenn von Sicherheits- und Verteidigungspolitik die Rede ist. Und genau dieser Bereich ist auch das Schwerpunkt-Thema des 47-Jährigen im Rahmen des Europa-Wahlkampfes. Auch wenn bereits jetzt mehr oder weniger feststeht, dass der Grünen-Politiker am 9. Juni nicht in das EU-Parlament einziehen wird, engagiert er sich mit Nachdruck für seine Ideen, wie im Hog’n-Interview deutlich wird. Die Praxis als Antriebsfeder…
Bitte stellen Sie sich zunächst einmal unseren Lesern vor.
Mein Name ist Alexander Rohde, ich bin 47 Jahre alt und seit 20 Jahren verheiratet. Wir haben ein Kind und wohnen in Bischofsreut, Gemeinde Haidmühle. Geboren wurde ich in Rotthalmünster, aufgewachsen bin ich in Egglfing, Tettenweis und Pocking im Landkreis Passau. Ich trat 1995 freiwillig in die Bundeswehr ein, durchlief die Unteroffiziers- und Feldwebellaufbahn und wechselte 2005 in die Laufbahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes. Meine Dienstorte waren Freyung, Kirchham, Munster, Lüneburg, Pfullendorf, Calw, bis ich 2019 wieder nach Freyung versetzt wurde.
Grünen-Kreisvorsitzender von Freyung-Grafenau
Auslandseinsätze hatte ich insgesamt 13: Zweimal Bosnien, einmal Kosovo, siebenmal Afghanistan, dreimal Mali. Ehrenamtlich aktiv – neben meinem Engagement als Kreisvorsitzender der Grünen im Landkreis Freyung-Grafenau – bin ich im Patenschaftsnetzwerk afghanische Ortskräfte und bei BundeswehrGrün e.V. Außerdem bin ich Mitglied im örtlichen Krieger- und Reservistenverein Bischofsreut. Zu meinen Interessen und Hobbys zählen u.a. Jagd und Imkerei, American Football, Jiu Jitsu und Krav Maga sowie verschiedene Outdoor-Aktivitäten wie Mountainbiken, Wandern, Skifahren, Skitour, und Klettern.
Warum wollen Sie in das Europa-Parlament einziehen?
Am Europa-Parlament schätze ich, dass es keinen Koalitionszwang gibt, da es keine Regierung gibt. Das heißt, dass Vorlagen und Initiativen aufgrund ihrer Qualität, ihrer Sinnhaftigkeit abgestimmt werden – nicht nach „erzwungenen“ Mehrheiten.
Wie hoch schätzen Sie Ihre Chancen für einen Einzug ein?
Meine Chancen sind leider verschwindend gering. Ich wurde auf Platz 40 der Liste gewählt. Da die Europawahl eine reine Listenwahl ist, die Wähler*innen also nicht direkt für ihre bevorzugten Kandidierenden abstimmen können, ist die Platzierung auf der Liste und das finale Wahlergebnis entscheidend. Deutschland bekommt 96 Plätze im EU-Parlament, damit müssten 42 Prozent der Stimmen auf die Grünen entfallen um mich nach Brüssel zu hieven – bei den aktuellen Umfragewerten ziemlich ausgeschlossen.
„Krisenfrüherkennung und Konfliktprävention im Vordergrund“
Warum kandidieren Sie dann überhaupt?
Zum einen geht es mir um mein Thema: Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Vergangene und aktuelle Krisen, Konflikte und Kriege zeigen uns tagtäglich die hohe Brisanz der internationalen Sicherheitslage. Die grüne Sicherheits- und Verteidigungspolitik stellt zwei wesentliche Aspekte in den Vordergrund: die Krisenfrüherkennung und die Konfliktprävention. Dabei müssen sowohl militärische als auch zivile Einflussfaktoren gebührend berücksichtigt werden.
Darüber hinaus gilt es, den Begriff der vernetzten Sicherheit nicht nur auf dem Papier zu gebrauchen, sondern in die Tat umzusetzen. Die Grundidee der grünen Sicherheitspolitik möchte ich durch meine Kandidatur den Bürgerinnen und Bürgern vermitteln. Und zum anderen möchte ich so viele Menschen wie möglich motivieren, überhaupt bei der Europawahl ihre Stimme abzugeben.
Welche politischen Ideen und Ziele wollen Sie während einer möglichen Amtszeit umsetzen?
Wie bereits erwähnt, möchte ich die Bereiche Krisenfrüherkennung, Konfliktprävention und vernetzte Sicherheit im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) zu mehr Geltung verhelfen. Vergangene und auch laufende Auslandseinsätze von EU und NATO waren und sind geprägt davon, dass wir als Staatengemeinschaft reagieren, statt bereits vorher alles zu tun, um eine Eskalation zu vermeiden.
„Einsatz des Militär nur der letzte, ultimative Schritt“
Die hastig anmutende Evakuierungsoperation von Ortskräften und deutschen Staatsangehörigen aus Afghanistan hätte nach einer kollektiven und umfangreichen Lagebewertung zur Krisenfrüherkennung und Konfliktprävention wesentlich früher, geordneter und umfangreicher durchgeführt werden können.
Der Einsatz des Militärs sollte nur der letzte, ultimative Schritt einer Regierung zur Durchsetzung politischer Interessen bzw. zur Wahrung der (eigenen) Sicherheit sein. Effiziente Krisenfrüherkennung und Konfliktprävention soll dazu beitragen, rechtzeitig bzw. frühzeitig politische Schritte einzuleiten, um ein jeweiliges „Safe and Secure Environment“ (SASE) zu erhalten oder zu stabilisieren.
Die offenbar einzige Gemeinsamkeit der GSVP ist die Unterschrift der Mitgliedsländer der EU. Aktuell wüten 28 Kriege und Konflikte auf der Erde. Weitere werden entstehen. Die Unbarmherzigkeit des Klimawandels befeuert jeden einzelnen – und trifft damit vor allem Kinder. Es gilt heute mehr denn je, als europäische Staatengemeinschaft gemeinsame Sicherheitsstrategien zu erarbeiten – und diese dann auch umzusetzen! Strategien zur Konfliktprävention und Krisenfrüherkennung, die es vom Brüsseler Schreibtisch bis in die Wüste Afrikas schaffen.
„Schon mal über die verschiedensten Ladekabel geärgert?“
Noch konkreter: Welche Ideen wollen Sie im fernen Brüssel explizit für Niederbayern, den Bayerischer Wald, den ländlicher Raum umsetzen?
Die vernetzte Sicherheit befasst sich nicht nur mit militärischen Fragen, sondern beispielsweise auch mit der kritischen Infrastruktur. Diese wird in zehn Sektoren untergliedert, beispielsweise gehört die Energieversorgung, Gesundheitsversorgung oder auch die Abfallentsorgung mit zu den KRITIS, um nur drei zu nennen. Eine breite Streuung entsprechender Einrichtungen in den Kommunen würde daher nicht nur eine bessere Versorgung der Bürger*innen bedeuten, sondern auch zur bundesweiten Resilienz beitragen.
Was entgegnen Sie denjenigen, die behaupten, das EU-Parlament sei ein Gremium ohne größeren Nutzen und ohne größere Bedeutung?
Dazu nur ein Beispiel: Haben Sie sich schon mal über die verschiedensten Ladekabel geärgert? Ja? Dank einer EU-Verordnung ist dies bald Geschichte. Die EU stärkt die Wirtschaft und sorgt für Wohlstand, sie sorgt gleichermaßen für Wettbewerb und kontrolliert Konzerne. Die EU gibt deutliche Vorgaben im Verbraucherschutz und macht mobiles Internet überall erschwinglich.
„EU erleichtert Reisen“
Die EU erleichtert das Reisen und grenzüberschreitendes Leben und Arbeiten. Wir, gerade im grenznahen Raum, ernten nahezu täglich die Früchte der EU – aber wir haben uns mittlerweile so sehr daran gewöhnt, dass dies kaum mehr auffällt. Ob beim Wandern vom Dreisessel zum Lipno-Stausee, oder beim Einkaufen, wenn uns in Waldkirchen die Tschechin die Wurst verkauft, die in der Nacht vorher vom bosnischen LKW-Fahrer geliefert wurde.
Was denken Sie: Wie wird die EU in Niederbayern generell wahrgenommen?
Ich bin der Meinung, dass ein gar nicht zu geringer Teil unseres Wohlstands auf die EU und ihrer Förderungen zurückzuführen ist. Nur ist dies vielleicht wenigen bekannt, oder es gerät ganz einfach in Vergessenheit. Viele Projekte, die ohne Fördermittel der Europäischen Union gar nicht erst geplant worden wären, beleben unsere Landschaft, unseren Tourismus, unsere Wirtschaft. Arbeitskräfte aus ganz Europa sind bei uns aktiv und halten den Laden am Laufen. Nicht zu vergessen die länderübergreifenden Kooperationen in verschiedensten Bereichen, beispielsweise Rettungsdienste oder Nationalparkverwaltungen.
„Bis 2050 soll Europa zum ersten klimaneutralen Kontinent werden“
„Die europäische Idee ist gescheitert“ – wie stehen Sie zu dieser Aussage?
Ganz im Gegenteil! Gern wird beispielsweise der Kampf Deutschlands gegen den menschgemachten Klimawandel bemüht, um unsinnige Vergleiche zu ziehen, wie zum Beispiel, dass wir Deutsche allein gar nichts gegen den Klimawandel ausrichten könnten. Dabei zeigt uns der „Green Deal“ der EU, dass Deutschland hier alles andere als allein auf weiter Flur steht!
Bis 2050 soll Europa zum ersten klimaneutralen Kontinent werden – die Netto-Emissionen an Treibhausgasen sollen also auf Null sinken. Der „Green Deal“ schützt unsere Lebensgrundlagen und ist der Kompass für die wirtschaftliche Erholung nach der Corona-Pandemie. Der Wiederaufbau bietet die große Chance, die europäische Wirtschaft nachhaltiger und krisenfester zu machen. Nun stehen die EU-Gesetzgeber und die ganze Gesellschaft in der Pflicht, auf EU- und nationaler Ebene zu handeln.
Schleswig-Holstein und das „Landesseilbahngesetz“
„Die Europäische Union ist bekannt für meist unsinnige Vorschriften“ – können Sie dem zustimmen?
Mit einem leichten Schmunzeln muss ich hier mit „Zunächst: teils-teils“ antworten. Wenn zum Beispiel ein vergleichbar flaches Bundesland wie Schleswig-Holstein aufgrund einer EU-Verordnung ein „Landesseilbahngesetz“ haben muss, denkt man natürlich erst an eine Seilbahn, die Personen auf einen Berg befördert – und schüttelt mit dem Kopf. Bei genauerem Hinsehen wird man jedoch feststellen, dass viele Vorschriften tatsächlich der individuellen Sicherheit dienen, auch das Landesseilbahngesetz Schleswig-Holsteins.
„Das Europa-Parlament ist ein riesiger Wasserkopf mit Abgeordneten, die sich dort eine goldene Nase verdienen“ – was halten Sie von dieser Aussage?
In den europäischen Institutionen Parlament, Rat und Kommission arbeiten rund 43.000 Menschen aus den 27 EU-Mitgliedstaaten, davon knapp 32.000 für die EU-Kommission. Das ist gar nicht so viel, wenn man bedenkt, dass das EU-Personal für 450 Millionen Bürgerinnen und Bürger tätig ist.
„Die EU kostet uns Deutschen nur Geld“ ist oft zu hören. Stimmen Sie dem zu?
Nein, denn wir bekommen auch viel zurück. Außerdem täten wir ganz gut daran, in Zeiten globaler wirtschaftlicher, gesellschaftlicher, sicherheitspolitischer und sonstiger Zusammenhänge weniger national, sondern viel mehr transnational zu denken, zu planen und zu handeln.
Abschließend ein kleines Wunschkonzert: Wie sieht das Europa der Zukunft aus?
Stabil, frei, sicher, zufrieden.
Vielen Dank für die Antworten – und alles Gute bei der Wahl!
Die Fragen stellte: Helmut Weigerstorfer