Straßburg/Garmisch-Partenkirchen. Die Freien Wähler, bereits Teil des EU-Parlaments, setzen nicht auf lokale Gesichter, sondern auf ein bayernweites Gesicht: Christine Singer aus Garmisch-Partenkirchen. Die 58-Jährige ist zudem bekannt als Landesbäuerin im Bayerischen Bauernverband. Schafft es die Landwirtin, die mehr Praktiker im kontinentalen Gremium fordert, Europa näher an den Woid heranzurücken? Die Oberbayerin im Hog’n-Interview…
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Soll Nachfolger von Ulrike Müller, die in den Landtag zurückgekehrt ist, in der europäischen Vertretung in Straßburg werden: Christine Singer. Foto: Freie Wähler
Bitte stellen Sie sich zunächst einmal unseren Lesern vor.
Mein Name ist Christine Singer, Spitzenkandidatin der Freien Wähler für die Europawahl am 9. Juni 2024. Ich bin 58 Jahre alt, verheiratet und habe zwei erwachsene Kinder. Ich bin gelernte Hauswirtschaftsmeisterin, meine Familie bewirtschaftet in der Nähe von Garmisch-Partenkirchen einen Milchviehbetrieb.
Warum wollen Sie in das Europa-Parlament einziehen?
In 25 Jahren ehrenamtlicher Arbeit in unterschiedlichen Organisationen, aktuell als Landesbäuerin im Bayerischen Bauernverband, sehe ich täglich, dass gesetzliche Vorgaben aus Brüssel für die Betriebe nur schwer umsetzbar sind. Deshalb braucht es schon bei der Entscheidungsfindung deutlich mehr Praktiker im EU-Parlament!
„Alltagstauglichkeit vermisse ich in Berlin und Brüssel“
Mein Vor-Ort-Wissen möchte ich in die Europapolitik einbringen, ich weiß, wo der Schuh wirklich drückt: Entscheidungen müssen wieder mehr im Sinne der Regionen getroffen werden. Gesetze müssen wieder alltagstauglich gestaltet werden und den Betroffenen nicht mehr Probleme bereiten, als für Entlastung zu sorgen. Diese Alltagstauglichkeit vermisse ich in Berlin und Brüssel.
Wie hoch schätzen Sie Ihre Chancen für einen Einzug ein?
Da wir bereits im Europaparlament vertreten sind und seit jeher Politik für die Bürger machen, bin ich überzeugt, dass wir auch in der kommenden Legislatur auf europäischer Ebene für eine sachorientierte, bürgerbezogene Politik eintreten dürfen.
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Landwirtin aus Überzeugung: Die 58-Jährige bewirtschaftet in der Nähe von Garmisch-Partenkirchen einen Milchviehbetrieb. Foto: Hog’n-Archiv
Welche politischen Ideen und Ziele wollen Sie während einer möglichen Amtszeit umsetzen?
Wir wollen ein Europa der Bürger und starken Regionen. Zu viele Zentralisten und Bürokraten haben die Entwicklung Europas in den vergangenen Jahren blockiert. Dazu fordern wir u.a. mehr Mitbestimmung durch Bürgerentscheide. Für uns ist klar: Lokale Besonderheiten benötigen angepasste Politik. Es braucht wieder Alltagstauglichkeit bei europäischen Gesetzen und ideologiefreie Entscheidungen im Sinne der Regionen – und nicht gegen sie.
Noch konkreter: Welche Ideen wollen Sie im fernen Brüssel explizit für Niederbayern, den Bayerischer Wald, den ländlichen Raum umsetzen?
An dieser Stelle ist es schwer, eine kurze Antwort zu geben. Zuallererst gilt es, Unabhängigkeiten zu schaffen. Die eigene Versorgung mit Lebensmitteln ist ein hohes Gut, das unbedingt sichergestellt werden muss.
„Bürokratisches, bauernfeindliches Ungetüm entstanden“
Wir sprechen uns im Europawahlprogramm dafür aus, den European Green Deal grundlegend zu überarbeiten. Unter der Leitung von Frau von der Leyen ist ein bürokratisches, bauernfeindliches Ungetüm entstanden. Nicht klimaneutral und technologieoffen, sondern im Sinne der CO2-Einsparungen kontraproduktiv.
Es muss dringend die landwirtschaftliche Perspektive stärker eingebracht werden. Klar zu betonen ist auch: Die Freien Wähler lehnen alle Regelungen der EU ab, die dazu führen, dass Produktion in außereuropäische Länder verlagert wird. Denn die Annahme, durch Gängelung der heimischen Landwirte das Klima zu schützen, ist Unsinn. Im Gegenteil: Die Produktion von Lebensmitteln ins Ausland zu verlegen, bedeutet, dass Lebensmittel dort mit viel geringeren Standards erzeugt werden. Geringere Standards beim Klimaschutz wie auch beim Tierwohl.
Was entgegnen Sie denjenigen, die behaupten, das EU-Parlament sei ein Gremium ohne größeren Nutzen und ohne größere Bedeutung?
Die EU ist ein großartiges Friedensprojekt, dafür lohnt sich ein hoher Einsatz. Klar ist aber auch: Die EU darf sich nicht weiter im Klein-Klein verlieren. Sie muss sich auf die drängendsten Probleme wie die Migrations- und Sicherheitspolitik und die Förderung des Binnenmarktes – Stichwort: Wettbewerbsfähigkeit – konzentrieren und darf sich nicht in die Politik vor Ort einmischen und den Dorfmetzgereien in Bayern eine Hygienerichtlinie aufzwängen, die diese oftmals nicht umsetzen können und sie zur Aufgabe zwingt.
„Das Schengener Abkommen funktioniert nicht mehr“
Was denken Sie: Wie wird die EU in Niederbayern generell wahrgenommen?
Für ganz Bayern, wo ich als Spitzenkandidatin seit Monaten unterwegs bin, kann ich sagen: Unsere Freie-Wähler-Politik mit gesundem Menschenverstand kommt an. Die Menschen kommen zu unseren Veranstaltungen, stellen Fragen, sprechen ihre Probleme an und sehnen sich nach Lösungen.
„Die europäische Idee ist gescheitert“ – wie stehen Sie zu dieser Aussage?
An einigen Stellen ist das der Fall. Zum Beispiel bei der Migration: Das Schengener Abkommen funktioniert nicht richtig. Der Großteil der Migranten in die Sozialsysteme kommt unkontrolliert und unregistriert an den deutschen Grenzen an. Die EU muss auf die drängendsten Probleme Antworten liefern. Wenn das der Fall ist, fassen die Bürger auch wieder mehr Vertrauen in Europa und die europäische Idee.
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„Auf die Größe der EU gesehen ist das Parlament mit künftig 720 Abgeordneten nicht zu groß.“ Symbolbild: Ralphs_Fotos/pixabay.com
„Die Europäische Union ist bekannt für meist unsinnige Vorschriften“ – können Sie dem zustimmen?
Ein aktuelles Beispiel für unsinnige EU-Vorschriften ist die Regelung für entwaldungsfreie Lieferketten – das ist für Deutschland nur ein sinnloses Bürokratiemonster, da durch das Waldgesetz der Wald bewiesenermaßen bereits sehr gut geschützt ist. Die EU muss bei ihrer Gesetzgebung die Möglichkeit schaffen, dass Mitgliedsländer solche Verordnungen nicht umsetzen müssen, wenn sie keinen Mehrwert beinhalten.
„Auf den Prüfstand, was europäische Ebene wirklich braucht“
„Das Europa-Parlament ist ein riesiger Wasserkopf mit Abgeordneten, die sich dort eine goldene Nase verdienen“ – was halten Sie von dieser Aussage?
Es entspricht dem demokratischen Grundsatz, dass die Bürgerinnen und Bürger Abgeordnete ihrer Wahl entsenden dürfen. Auf die Größe der EU gesehen ist das Parlament mit künftig 720 Abgeordneten nicht zu groß.
„Die EU kostet uns Deutschen nur Geld“ ist oft zu hören. Stimmen Sie dem zu?
Wir stellen deshalb auf den Prüfstand, was es auf europäischer Ebene wirklich braucht und wobei es sich um unnötige Prestigeprojekte handelt. Das Geld Millionen deutscher Steuerzahler muss sinnvoll und zielführend ausgegeben werden und jede nicht essenzielle Ausgabe überdacht werden. Das sind wir der arbeitenden Bevölkerung schlicht und einfach schuldig.
Abschließend ein kleines Wunschkonzert: Wie sieht das Europa der Zukunft aus?
Orangener (schmunzelt).
Vielen Dank für die Antworten – und alles Gute bei der Wahl!
Die Fragen stellte: Helmut Weigerstorfer