Regen. Aristoteles, Leonardo da Vinci, Joseph Nicéphore Niépce – obwohl sie in unterschiedlichen Jahrhunderten gelebt und gewirkt haben, verbindet sie eine Gemeinsamkeit: Ihre Begeisterung für das Prinzip der sogenannten Camera obscura. Ein Begriff, den viele gewiss schon einmal gehört haben, sich vielleicht aber nur wenig darunter vorstellen können. Dabei ist sie die wohl einfachste Art der Fotografie.
„Eine Camera obscura (lat. camera „Kammer“; obscura „dunkel“) ist ein dunkler Raum mit einem Loch in der Wand, die als Metapher für die menschliche Wahrnehmung und für die Herstellung von Bildern verwendet wird. Der Aufbau ähnelt einer Lochkamera, jedoch verfügt die Camera obscura über kein photographisches Medium und kann statt einem einfachen Loch auch über eine Linse oder ein einfaches Objektiv zur Erhöhung der Lichtintensität verfügen. Die Camera obscura gilt als Vorläufer und ist Grundlage moderner Fotoapparate.“ (Quelle: Wikipedia)
Kurz gefasst: Für eine Camera obscura benötigt man lediglich einen Kasten mit einem winzigen Loch, durch das Licht dringen kann und auf der gegenüberliegenden Seite der Kastenwand ein seitenverkehrtes, auf dem Kopf stehendes Bild erzeugt. Von der Dimension her kann die Camera obscura sehr große Ausmaße annehmen, sie kann aber auch sehr klein und handlich, etwa in Form einer sogenannten Pinhole-Kamera realisiert werden. Darin befindet sich lichtempfindliches Fotopapier, das über die sehr kleine Öffnung, dem sogenannten Pinhole, belichtet wird. Die einfache Technik erlaubt teils sehr lange Belichtungszeiten.
Sekunden, Minuten, Wochen, Monate – und Jahre
Einer, der sich mit der „Camera Obscura“ bereits sehr lange beschäftigt, ist Friedrich Saller. Der Regener Fotokünstler hat in diesem sowie im vergangenen Jahr zwei Ausstellungen initiiert und kuratiert. Für die erste, die den Titel „Camera Obscura- die Welt durch ein Loch gesehen“ trug und von Mai bis September 2023 im Niederbayerischen Landwirtschaftsmuseum zu sehen war, konnte Saller acht Fotografen von teils internationalem Format gewinnen, die sich mit der sog. Pinhole-Fotografie, also dem Fotografieren mit einer Lochkamera, beschäftigen. Auf diese Weise wurden den Besucherinnen und Besuchern insgesamt 160 Bilder präsentiert – mit Belichtungszeiten von Sekunden, Minuten, Wochen, Monaten bis hin zu sieben Jahren.
„Die Ausstellung begann bereits im Eingangsbereich des Museums mit dem Bild ‚Das Falkenstein Schutzhaus‚ mit einer Belichtung von 136 Tagen, was auch für das Buch ‚Das Falkenstein Schutzhaus – Ein Jahrhundertprojekt im Bayerischen Wald‚ als Cover benutzt wurde“, erinnert sich Friedrich Saller, der sich auf Landschaftsfotografie im Mittel- und Großformat spezialisiert hat. Im Foyer erwarteten das Publikum Bilder vom Geburtshaus des Bayerwald-Dichters Paul Friedl („Baumsteftenlenz„), das im Freilichtmuseum Finsterau wieder aufgebaut worden ist. Diese Bilder wurden mit einer Belichtungszeit von 190 Tagen belichtet, wie Saller informiert.
„Auch in der Touristinfo wurden Bilder gezeigt mit dem Schwerpunkt München, wo ich im Jahre 2007 am Worldwide Pinhole Photography Day mit dieser Art der Fotografie begonnen hatte“, fährt der 66-Jährige fort. Dort wurden auch die „kleinen roten Schachteln“ für eine gemeinschaftliche Aktion der Besucher ausgelegt: Diese durften sich die Mini-Pinhole-Kameras mit nach Hause nehmen – und aus den Ergebnissen wurde dann die zweite Ausstellung im März dieses Jahres unter dem Titel ‚Camera obscura – die Ergebnisse der kleinen roten Schachteln‚ konzipiert. „Diese war sicher die umfangreichste Ausstellung, die jemals im Niederbayerischen Landwirtschaftsmuseum gezeigt wurde“, berichtet Saller begeistert.
„Geister, die sie in ihrem Schlafgemach aufgesucht haben“
Von den 200 zuvor ausgegebenen Kleinst-Lochkameras wurden 113 an die Aussender zurückgereicht – 93 davon waren erfolgreich belichtet worden und in der Ausstellung zu sehen. Friedrich Saller hatte dabei so einige Führungen veranstaltet und die einzelnen Techniken für die präsentierten Pinhole-Fotos den Besuchern erläutert. Besonders die „begehbare Camera obscura“, die am Regener Stadtplatz errichtet wurde, hatte es dem Fotografen angetan. Dort konnten Interessierte selbst hautnah erleben, was in einem solchen „dunklen Raum“ passiert und wie ein Bild entsteht. Saller berichtete dabei u.a. von der Geschichte der „Camera obscura“ und darüber, dass Maler die ersten Nutznießer dieser Technik waren – bis sie auch in der Fotografie Einzug hielt.
„Viele hat erstaunt, dass es tatsächlich im Tierreich eine Spezies gibt, die keine Linse zum Sehen besitzt, sondern nur ein Loch, mit dem die Umwelt wahrgenommen wird“, erinnert sich der Regener und fügt hinzu: „Die ersten Nautiliden aus der Familie der Perlboote tauchten gegen Ende des Kambriums auf, also vor etwa 500 Millionen Jahren. Somit ist diese Technik, mit einem Loch zu sehen, schon sehr alt – und diese Tiere gibt es noch heute.“
Eine weitere Anekdote, die Friedrich Saller im Gedächtnis geblieben ist, handelt von Personen, die von Geistern in ihrem Schlafzimmer berichteten. „Sie haben Pferde und Menschen kopfstehend an der Zimmerdecke und an den Wänden gesehen – das waren sicher Geister, die Sie in ihrem Schlafgemach aufgesucht haben“, erzählt der Lochkamera-Experte und lacht. Nach seiner Erklärung, dass es sich nur um ein Astloch gehandelt hat, das in einem der Fensterläden die Funktion einer Camera obscura erfüllte, war so mancher Besucher erleichtert. „Eine ältere Frau meinte nur: Oh mein Gott, wenn ich das schon früher gewusst hätte, dann hätte ich mein ganzes Leben nicht so viel Angst vor Geistern gehabt…“ Klingt irgendwie – obskur…
Stephan Hörhammer