Hannover/Herzogsreut. Im hohen Norden kennt sich der Waidler bestens aus. Als Weltklasse-Skifahrer natürlich allen voran in den Wintersport-Zentren Skandinaviens. Seit Ende dieser alpinen Saison aber auch rund um die niedersächsische Landeshauptstadt Hannover. Dort leistet Jonas Stockinger nämlich derzeit seinen Dienst als Sportsoldat der Bundeswehr und absolviert täglich von 7 bis 16.30 Uhr den Feldwebel-Lehrgang. Plötzlich ist der Herzogsreuter, der im Winter noch im Mittelpunkt stand, wieder einer von vielen. Eine Situation, die ihn nicht abschreckt, sondern durchaus begeistert. „Das ist eine coole Abwechslung“, sagt der 24-Jährige in seiner typisch lockeren Art dazu.
„Da Meijna“ (Hochdeutsch: Müller – seine Vorjahren betrieben einst eine Mühle), wie er in seiner Heimat genannt wird, ist keiner, der so schnell die Bodenhaftung verliert. Selbst die ersten Weltcup-Punkte in Adelboden, der Gesamtsieg im Europacup-Riesenslalom und die Verteidigung des Deutschen Meistertitels im Riesentorlauf haben nicht ansatzweise dazu geführt, dass sich Jonas Stockinger als „etwas Besseres“ geriert. Am liebsten ist er nach wie vor der Dorfbua von Herzogsreut, der auf der Straße erkannt und angesprochen wird, weil er er ist – und nicht der kommende Ski-Star. Er mag es sehr, in seinem Heimatort und bei seinen Freunden zu sein. Und fast noch lieber hält er sich in seiner Wohnung in Hutthurm auf, in der er mit seiner Freundin Laura lebt.
„Ich lebe aus dem Koffer“
Doch diese stressfreien Momente sind eher rar. „Ich versuche sooft es geht, heim zu kommen“, bestätigt der junge Mann. „Aber ich lebe praktisch immerzu aus dem Koffer.“ Gefühlt ist er eigenen Angaben zufolge so gut wie nie daheim. Und das obwohl ihm seine Familie und Freunde wichtig sind und er sich mitunter gerne regionale Fußballspiele ansieht. „Gott sei Dank bin ich aber mit dem Alter schon etwas ruhiger geworden“, zeigt er sich geläutert, verbunden mit einem breiten Grinsen ob der ein oder anderen Schandtat in seiner Jugend, und fügt hinzu: „Inzwischen konzentriere ich mich mehr auf den Sport.“
In der Mitte seines dritten Lebensjahrzehnts angekommen, haben ihn die Erfahrungen der Vergangenheit geprägt. Zahlreiche Verletzungen, die dazu geführt haben, dass er zwischenzeitlich aus dem DSV-Kadersystem geschieden war, sind in seiner Krankenakte vermerkt. Vor allem der Rücken machte (und macht) ihm immer wieder Probleme. „Der ist in regelmäßigen Abständen entzündet – was das genau ist, kann mir aber niemand sagen. Vielleicht spielt auch der psychische Faktor eine Rolle.“
„Über den Erwartungen“
In Sepp Maurer von der Sportschule Kinema hat er jedoch einen treuen Begleiter gefunden, der mehr ist als nur sein persönlicher Trainer. Ihm hat er es hauptsächlich zu verdanken, dass er seine körperlichen Beschwerden in den Griff bekommen hat – und somit in der kommenden Saison fix im Weltcup starten kann.
Und es gibt weitere wichtige Personen in seinem Leben – zuvorderst Vater Andreas und Mama Petra -, die ihm vor allem in schwierigen Zeiten zur Seite gestanden sind. Das weiß Jonas Stockinger zu schätzen. Und auch deshalb hat er sich geschworen, nicht so einfach aufzugeben. Die Erfolge der vergangenen Wintersaison hat er deshalb auch für seine Unterstützerinnen und Unterstützer eingefahren. „Vergangenen Herbst war mein grobes Ziel, im Europacup in die Top fünf zu fahren. Im Weltcup wollte ich erste Einsätze absolvieren und die Strecken kennenlernen.“ Diese Vorgaben hat er, wie inzwischen hinlänglich bekannt, deutlich übertroffen. „Ja, der Winter war über den Erwartungen“, gibt auch er gerne zu.
„Bin nach wie vor da Maijna von Herzogsreut“
Ganz nebenbei ist der junge Waidler inzwischen zu einem bekannten Gesicht avanciert. Zahlreiche Medien haben über ihn berichtet. Alpin-Legende Felix Neureuther erwähnte ihn sogar lobend während einer TV-Live-Übertragung. Wie geht Jonas Stockinger nun mit der gesteigerten Popularität um? „Ja, ich bin jetzt Vorbild“, weiß er Bescheid. Beim Domlauf in Passau, an dem er Mitte April teilgenommen hat, wurde ihm das so richtig bewusst, als ihn viele Kinder regelrecht anhimmelten. „In diese Rolle wächst man hinein. Freilich, ich werde nun anders betrachtet. Aber ich bin nach wie vor da Meijna aus Herzogsreut. Ich bin kein anderer Mensch, nur weil ich schneller den Berg hinunter rutschte.“
Im Gegensatz zur mehr und mehr realitätsfremden Fußball-Welt stellt der 24-Jährige im Ski-Zirkus mit dieser Sichtweise keinen Einzelfall dar. Der Umgang untereinander verläuft auf Augenhöhe. Selbst Ausnahme-Erscheinungen wie Seriensieger Marco Odermatt („Man sieht sich, grüßt sich und tauscht sich aus„) verhalten sich wie alle anderen auch. „Da gibt es keine Berührungsängste. Vor dem Start sitzt man beieinander und redet ganz ungezwungen.“ Solche Gespräche wird Jonas Stockinger künftig auch mit Marcel Hirscher führen, der bekanntlich sein Comeback feiern wird. „Das wird richtig interessant“, freut sich der Bayerwäldler auf die Rückkehr des mehrfachen Weltmeisters und Olympiasiegers.
„In den Weltcup-TOP 30 stabilisieren“
Aktuell ist dies jedoch alles noch weit weg. Kurzfristig möchte Jonas Stockinger die berufliche Hannover-Phase abschließen und dann vielleicht endlich einmal Urlaub machen. „Es ist geplant. Aber ich weiß noch nicht genau, wann. Da muss ich erst einmal die Trainingspläne des DSV abwarten.“ Genauso unkonkret sind auch noch seine Ziel für die nächste Saison, die in einem halben Jahr wieder beginnt. „Sich in den Top 30 des Weltcups zu stabilisieren, das wäre schon cool.“ Nicht nur sein Heimatdorf Herzogsreut wird ihm dabei die Daumen drücken…
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Stimmen zu Jonas Stockingers zurückliegender Wintersaison:
Sepp Maurer (Jonas‘ „Seelenverwandter“ von der Sportschule Kinema): „Jonas Stockinger hat es als einer von sehr wenigen Athleten geschafft, trotz enormer Rückschläge nicht nur am Ball zu bleiben, sondern sein Ziel weiterzuverfolgen. Er hat bei mir dreimal pro Tag trainiert – und das über Wochen und Monate hinweg. Wir mussten nicht nur die Rückenverletzung in den Griff bekommen, sondern auch Kraft, Kondition, Schnelligkeit und Reflexe auf das nächste Level bringen.
Wir sind das Formel-1-Team – Jonas ist unser Fahrer! Seit drei Jahren sind wir nun ein Team und ich traue ihm noch sehr viel zu. Ich bin mir sicher, dass er sich nächstes Jahr fest im Weltcup etablieren kann. Er ist auf jeden Fall einer meiner Top-Athleten. Neben Robin Krasniqi, Jorge Navarro, Walter Röhrl oder Marcel Brandt ist er ein Mensch geblieben, der in unserer Sportschule Fußspuren hinterlassen hat.“
Roland Duschl (erster Vorsitzender SC Herzogsreut): „Wir freuen uns sehr über den Erfolg von Jonas und sind ungemein stolz, dass es ein Sportler aus einem kleinen Verein im Bayerwald bis in den Weltcup geschafft hat. Dank seiner Hartnäckigkeit und harter Arbeit hat er sich das absolut verdient. Das ganze Dorf steht hinter Jonas und hofft auf viele weitere erfolgreiche Rennen im Weltcup – und vielleicht auch bei den Olympischen Spielen 2026 in Cortina d’Ampezzo – angefeuert von hoffentlich vielen Herzogsreutern vor Ort.“
„Harter Weg, den nur sehr wenige schaffen“
Max Gibis (Präsident Skiverband Bayerwald): „Natürlich habe ich die Saison von Jonas intensiv verfolgt. Es kommt ja nicht alle Jahre vor, dass ein Nachwuchstalent des Skiverbands Bayerwald im Weltcup startet und den Europacup gewinnt. Ich bin ja doch ziemlich viel unterwegs und kann feststellen, dass es – vor allem in der alpinen Skifamilie – großes Interesse an der Entwicklung von Jonas gibt. Vor allem im Landkreis Freyung-Grafenau ist das Interesse groß!
Da es im Leistungssport ein langer, harter Weg ist, bis man in der Weltelite mitfahren darf und das nur sehr wenige schaffen, sind wir natürlich auf das, was Jonas in den vergangenen Jahren geleistet hat, sehr stolz. Er hatte ja keinen einfachen Weg zu beschreiten, hat sich aber mit seinem Ehrgeiz durchgebissen. Und darauf kann er sehr stolz sein. Natürlich ist er für unseren Skiverband ein toller Werbeträger. Wir werden ihn von Seiten des Skiverbandes auch weiterhin, wo es uns möglich ist, unterstützen!“
„DSV unterstützt ihn“
Wolfgang Maier (DSV-Alpindirektor): „Jonas Stockinger ist ein wirklich talentierter Skifahrer, der seinen Sport immer professioneller betreibt. Er hat in der vergangenen Saison die Europacup-Gesamtwertung im Riesenslalom für sich entschieden und damit einen Fixplatz für den kommenden Weltcup-Winter eingefahren. Ein toller Erfolg, zu dem wir Jonas herzlich gratulieren! Wir hoffen, dass er diese Chance nutzt, um zu den besten Riesentorläufern im Weltcup aufzuschließen. Das Potenzial dazu hat er sicher. Jetzt gilt es für Jonas hart zu arbeiten, um dieses anspruchsvolle Unterfangen zu verwirklichen. Wie gesagt, er hat die Möglichkeiten dazu – und der DSV unterstützt ihn dabei.“
Sebastian Gruber (Landrat Freyung-Grafenau): „Wie so viele in der Region habe auch ich die Wintersaison von Jonas Stockinger intensiv verfolgt, die Daumen gedrückt und mitgefiebert. Seine bisherige Karriere zeugt – neben seinem Können – von einem ausgeprägten Willen und einer Kämpfernatur. Es verdient höchsten Respekt und Anerkennung, dass sich Jonas Stockinger auf diesem Niveau etabliert. Neben seinen sportlichen Leistungen tritt er aber überaus sympathisch und bodenständig auf. Er ist ein sehr guter Botschafter für die Region. Ich wünsche ihm allen voran Verletzungsfreiheit sowie weiterhin alles Gute und viel Erfolg.“
Hinterschmidings Bürgermeister Fritz Raab wollte sich gegenüber dem Onlinemagazin da Hog’n nicht zum alpinen Aushängeschild seiner Gemeinde äußern.
Helmut Weigerstorfer