Straßburg/Stephansposching. Neue Besen kehren gut. Trifft diese Redewendung auf die erst im Januar dieses Jahres aus der Taufe gehobene Partei „Bündnis Sahra Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit“ (BSW) zu? Bei den Europawahlen 2024 am 9. Juni tritt der politische Zusammenschluss erstmals flächendeckend in Erscheinung – mit konkreten Antworten auf Fragen, die unseren Alltag bestimmen? Der niederbayerische Europa-Kandidat Patrick Rostek im Hog’n-Interview:
Bitte stellen Sie sich zunächst einmal unseren Lesern vor.
Mein Name ist Patrick Rostek. Ich bin 31 Jahre alt und wohne mit meiner Frau und drei Kindern in Stephansposching. Beruflich bin ich als Gewerkschaftssekretär der GUV/FAKULTA tätig. Die GUV/FAKULTA ist eine solidarische Kasse für DGB-Gewerkschaftsmitglieder. Wir unterstützen Gewerkschaftsmitglieder zum Beispiel bei Arbeitsunfällen. Ich bin Mitglied der Gewerkschaft ver.di. Freizeit ist momentan rar gesät – wenn ich nicht Zeit mit meinen Kindern oder Hühnern verbringe, bin ich mit dem Aufbau unserer neuen Partei in Bayern beschäftigt.
„Jedes Ergebnis, das wir erreichen, wäre ein Erfolg“
Warum wollen Sie in das Europa-Parlament einziehen?
Wir brauchen Frieden in Europa. Auch, um unsere eigenen Interessen in der Welt zu fördern, um unseren Wohlstand und unsere sozialen Errungenschaften zu schützen, um unsere Demokratie und unser rechtsstaatliches System zu verteidigen. Es braucht eine vernünftige und gerechte Politik, die durch ein klares soziales Programm definiert ist. Daher ist es gerade in diesen schwierigen Zeiten wichtig, dass die neue Partei Bündnis Sahra Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit mit einer starken Stimme in das Europäische Parlament einzieht.
Wie hoch schätzen Sie Ihre Chancen für einen Einzug ein?
Meine persönlichen Chancen sind eher gering zu bewerten. Ich kandidiere auf Listenplatz 20. Allerdings bleibe ich immer positiv – noch ist ja nicht Wahltag! Jedes Ergebnis, das wir erreichen können, wäre ein großer Erfolg. Wir haben uns ja erst im Januar gegründet.
Warum kandidieren Sie dann überhaupt?
Ich möchte mich am Aufbau unserer neu gegründeten Partei aktiv beteiligen. Zudem finde ich, dass die Europawahl leider von vielen gar nicht wahrgenommen wird, obwohl die EU mittlerweile einen großen Einfluss auf unser Leben hat.
„Versprechen des sozialen Aufstiegs nicht mehr eingelöst“
Welche politischen Ideen und Ziele wollen Sie während einer möglichen Amtszeit umsetzen?
Das Versprechen des sozialen Aufstiegs wird nicht mehr eingelöst. Während in der EU heute jedes vierte Kind in Armut aufwächst und immer mehr Beschäftigte trotz Vollzeitjob keinen soliden Wohlstand mehr erreichen, steigt der Reichtum einer schmalen Oberschicht. Es braucht eine leistungsfähige, öffentliche Daseinsvorsorge und damit verbunden deutlich mehr Investitionen in Bildung, Gesundheit und bezahlbares Wohnen. Dafür möchte ich mich einsetzen.
Noch konkreter: Welche Ideen wollen Sie im fernen Brüssel explizit für Niederbayern, den Bayerischer Wald, den ländlicher Raum umsetzen?
Energieversorgung und Strompreise werden immer mehr zum Standortfaktor. Gerade bei uns in Niederbayern bzw. im Bayerischen Wald haben wir energieintensive Produktionsbetriebe. Wir müssen uns für einen Brückenstrompreis für Unternehmen einsetzen, damit wir gut bezahlte Arbeitsplätze erhalten können. Die Umsetzung der europäischen Mindestlohnrichtlinie (14 Euro Mindestlohn in Deutschland) würde zudem dazu führen, dass Arbeitnehmer in Grenzregionen nicht nur wegen billigerer Löhne im EU-Ausland um ihre Arbeitsplätze bangen müssen.
„Es braucht weiterhin einen starken souveränen Sozialstaat“
Was entgegnen Sie denjenigen, die behaupten, das EU-Parlament sei ein Gremium ohne größeren Nutzen und ohne größere Bedeutung?
Es ist gut, wenn Themen wie eine Finanztransaktionssteuer europaweit geregelt werden. Europa sollte aber nicht mitsprechen dürfen, wenn es um Themen wie Existenzsicherung oder armutsfeste Renten geht. Hier braucht es weiterhin einen starken souveränen Sozialstaat. Wir setzten uns für ein friedliches Europa souveräner Demokratien ein.
Was denken Sie: Wie wird die EU in Niederbayern generell wahrgenommen?
Ich befürchte, Europa wird nur als „weit weg“ angesehen. Jedoch nehme ich immer mehr wahr, dass Europa zunehmend mehr Einfluss auf unser direktes Leben nimmt.
„Die europäische Idee ist gescheitert“ – wie stehen Sie zu dieser Aussage?
Europa muss sich neu erfinden. Denn die jetzigen europäischen Institutionen gefährden die europäische Idee und europäische Gemeinschaft. Europa darf nicht durch einen undurchsichtigen und ausufernden Lobbyismus von großen multinationalen Konzernen, z.B. der Pharma-, Technologie- oder Finanzindustrie gesteuert werden. Dafür setzen wir uns als Bündnis Sahra Wagenknecht ein.
„Die Europäische Union ist bekannt für meist unsinnige Vorschriften“ – können Sie dem zustimmen?
Hier setzen wir uns für die kleinen und mittelständischen Unternehmen ein. Neben einer wirklich einheitlichen Unternehmensbesteuerung ist es für uns auch wichtig, dass die Regelungen für die Ausschreibung von öffentlichen Aufträgen neu gedacht werden: Wieso muss beim Bau eines Schulhauses oder Krankenhauses europaweit ausgeschrieben werden? Wir wollen das hier klar der Fokus auf regionale, soziale und tariftreue Anbieter gesetzt wird. Nur so können unserer regionalen Unternehmen in Niederbayern auch am Wettbewerb teilnehmen.
„Überzeugt, dass unser demokratisches Prinzip das richtige ist“
„Das Europa-Parlament ist ein riesiger Wasserkopf mit Abgeordneten, die sich dort eine goldene Nase verdienen“ – was halten Sie von dieser Aussage?
Ich finde die Aussage zu einseitig. Sicherlich gibt es Abgeordnete, die nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind. Aber ich glaube fest daran, dass es sich hier nur um Ausnahmen handelt. Ich hoffe und bin überzeugt davon, dass unser demokratisches Prinzip das richtige ist und sich unsere Politikerinnen und Politiker für unsere Interessen einsetzen. Als Bündnis Sahra Wagenknecht setzen wir uns jedoch auch für eine stärkere Kontrolle, z.B. beim Thema Lobbyismus, ein.
„Die EU kostet uns Deutschen nur Geld“ ist oft zu hören. Stimmen Sie dem zu?
Wir sollten uns dafür einsetzten, dass Europa das macht, was es gut kann: Wie bereits genannt z.B. eine Finanztransaktionssteuer. Wichtig ist aber, dass wir auch weiterhin als souveräner Nationalstaat eigenständig Entscheidungen treffen können. Der kleinste gemeinsame Nenner ist oftmals nicht die beste Lösung.
Abschließend ein kleines Wunschkonzert: Wie sieht das Europa der Zukunft aus?
Ich wünsche mir ein Europa, in dem meine Kinder und irgendwann auch meine Enkelkinder weiterhin in Frieden aufwachsen, und dabei mit einer Politik leben, die sich für den Menschen einsetzt und nicht nur für Konzerne. Ich finde es wichtig, dass auch in Zukunft in Bildung, Gesundheit, Infrastruktur und Daseinsvorsorge investiert wird!
Vielen Dank für die Antworten – und alles Gute bei der Wahl!
Die Fragen stellte: Helmut Weigerstorfer