Mauth. In schwierigen Zeiten erfährt man meist, wer wirklich zu einem hält. Auf wen man sich verlassen kann. Häufig sind es die engsten Vertrauten – oder die besten Freunde. So auch im Falle von Christa Habelsberger, die zuletzt den überraschenden Tod ihres Mannes Hermann verkraften musste. Freilich fand die 76-Jährige bei ihren beiden Kindern eine starke Schulter zum Anlehnen. Aber auch „ihrane Buam“ waren da. Dabei handelt es sich allerdings nicht um leibliche Söhne, sondern um Geflüchtete aus Syrien, Afghanistan, Iran, Irak, Eritrea oder Pakistan. Also um Mitglieder einer Gruppe, deren Ruf in den Augen vieler eher negativ behaftet ist – die hier aber bewies, dass sie mitfühlen kann, dankbar ist, sich anpassen kann.

„De ganz Kiacha hod blead“, blickt Christa Habelsberger auf den Trauer-Gottesdienst zu Ehren ihres verstorbenen Ehegatten zurück. Die Emotionen brachen sich Bahn, weil ein geliebter Mensch verabschiedet werden musste. „Mir geht’s ned so guad desweng“, findet die Witwe Worte, die in ihrer puren Schlichtheit den großen Schmerz deutlich machen. Gerade, wenn man die rüstige Seniorin, die eher für Taten als Worte bekannt ist, näher kennt. Die Sentimentalitäten lagen aber auch darin begründet, dass Millad eine Ansprache hielt, die mehr ausdrückte als nur das Gesprochene. Stellvertretend für mehr als einhundert Asylbewerber sagte er während der Beerdigung:
„Bitte pass auf Mama auf. Wir brauchen sie so dringend“
„Lieber Papa, so durften wir Dich nennen und so warst Du auch für uns Flüchtlinge. Obwohl wir unsere Heimat verlassen mussten, wussten wir vom ersten Tag an, dass wir eine zweite Heimat gefunden haben. Du hast ein großes Herz besessen und Du hast immer ein offenes Ohr für unsere Sorgen und Probleme gehabt.
Wir alle, die wir bei Euch, lieber Papa und Mama, Zuflucht gefunden haben, wissen: Ihr seid ein Geschenk des Himmels.
Nun, da wir von Dir, Papa, Abschied nehmen müssen, bleibt uns nur noch einmal „Danke“ zu sagen. Danke für all die kleinen und großen Dinge, die Du für uns getan hast – und Danke für Deine Liebe.
Eine letzte Bitte haben wir noch an Dich, Papa: Bitte pass dort oben, wo Du jetzt bist, gut auf Mama auf. Wir brauchen sie so dringend.
Lieber Papa, Ruhe in Frieden. Danke. Deine Buam!“
Zeilen, die mit viel Wucht und noch mehr Gefühl daher kommen. Die Vorgeschichte soll an dieser Stelle noch einmal erwähnt werden. Seit 2014 hat Familie Habelsberger in ihrem Wohnhaus in Mauth, das mehrere Etagen umfasst, bis zu 15 Flüchtlinge gleichzeitig untergebracht. Weit über hundert waren es über die Jahre hinweg verteilt. Den finanziellen Aspekt will und kann die Hausherrin nicht verleugnen. Die „Gegenleistung“ ihrer Schützlinge kann sich aber sehen lassen: In Form der Dankbarkeit für das Dach über dem Kopf, in Form von mitmenschlicher Wärme und Zuneigung.
Wachsames, aber auch sorgsames Auge
Mama Christa, Papa Hermann – diese Bezeichnungen haben sich bei den heimatlosen Gästen des Hauses eingeprägt. Sie wurde von Bewohner-Generation zu -Generation weitergegeben und sind keine leeren Floskeln, sondern Ausdruck von Respekt und Wertschätzung. Allen voran führt Christa Habelsberger nämlich ein streng-mütterliches Regiment. Sie beschützt ihre Buam, schafft es, ihnen eine Art Heimatgefühl zu vermitteln. Sie ist nicht nur Herbergsmutter, sondern auch Seelsorgerin. Arztfahrten etwa übernimmt sie selber. Bei Alltagsfragen aller Art hat sie nicht nur schnell eine Antwort parat, sondern hilft auch bei deren Umsetzung. Die 76-Jährige tadelt aber auch, wenn nötig – und erzieht auf ihre Weise. Sie lebt ihre Rolle als „Mutter“ mit Haut und Haar.

Einige Beispiele dazu: „I mog des iwahaupt ned, wenn s’Liachd eig’schallt is, owa man braucht’s ned. Seg i des, gibt’s an Anpfiff“, berichtet die 76-Jährige. Und weiter: „I vasteh des: Wahrscheinle gibt’s in Syrien koan Liachd-Schalter. Iagendwann miasn’s ehs owa kapiert hom.“ Genau so verhält es sich mit dem Wäsche waschen oder dem Putzen. Christa Habelsbergers wachsames Auge ist überall, aber auch ihr sorgsames. Sie hört zu – nach dem Motto: Geteiltes Leid ist halbes Leid. Sie tätschelt „ihrane Buam“, macht mütterliche Wärme somit sichtbar. Nicht, weil sie muss. Sondern weil sie einfach so ist, wie sie ist.
Schwarze Schafe – aber nur sehr wenige…
Versäumt einer der Flüchtlinge einen Termin beispielsweise beim Jobcenter, gibt’s erst einmal eine Rüge. Dann aber versucht man gemeinsam, das Problem zu lösen. Es gibt allerdings auch Grenzen. Werden diese überschritten, ist Christa Habelsberger konsequent. Der ein oder andere Asylbewerber musste ihr Haus bereits verlassen. Aus unterschiedlichen Gründen, auf die die 76-Jährige nicht weiter eingehen will. Es soll nach Vorstellung der Mautherin ein Geben und Nehmen sein zwischen ihr, ihrer Familie und den heimatlosen Gästen. Sie lebt das vor – und fordert es ein.

Ihr Mann Hermann agierte dabei eher im Hintergrund. Er war da, wenn er gebraucht wurde. Zeigte sich aber nicht so resolut wie seine Frau, weshalb sie oftmals schimpfte – und die Buam ihn deshalb noch mehr vergötterten. „Wenn oana fia d’Schui a Entschuldigung braucht hod, hamds owei g’woat, bis i weg bin – und hamd dann in Hermann g’frogt. Dea hod ea glei oane g’schriem“, erzählt sie. Erst mit leicht grimmigem Unterton, dann mit einem Anflug eines wohlwollenden Lächelns. „Midgriang ha i des ned deafa.“
Inzwischen sind solche Anekdoten nur noch schöne Erinnerungen. An eine Familie, die diesen Namen auch verdient hat. Und das, obwohl die Kinder – genauer gesagt „d’Buam“ – sich oft nur via Zeichensprache mit den Eltern unterhalten konnten. Hermann Habelsberger hatte Probleme mit der Gallenblase, was u.a. in einer Blutvergiftung gipfelte. Am 22. August verstarb er überraschend – und hinterließ eine große Lücke. Als Ehemann, Vater seiner leiblichen Kinder – und als „Papa Hermann“. Er vermittelte Werte und urteilte nicht nach Hautfarbe, Aussehen oder Herkunft. Seine Buam werden es ihm ewig danken…
Helmut Weigerstorfer
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