Salzburg. Rotzig, dreckig und laut – eigentlich fühlt sich Thomas Mulitzer mit seiner Mundart-Band „Glue Crew“ im Punkrock-Genre bestens aufgehoben. Dass er’s auch gerne mal ruhig und etwas nachdenklich mag, beweist „Tom the One“ , wie sich das Solo-Projekt des 35-jährigen Salzburgers nennt, nun mit „Sänger im Roggen“ – einem Album voller großer Emotionen und intensiver Atmosphären.
Den „Fänger im Roggen“ , weltweiter Beststeller des amerikanischen Schriftstellers J. D. Salinger, dürften wohl so einige kennen bzw. gelesen haben. Der Roman um Protagonist Holden Caulfield handelt von der Rebellion Jugendlicher und dem Aufbegehren Heranwachsender gegen die Eltern-Generation. Ums Erwachsen- und Älterwerden geht’s auch in Tom Mulitzers Solo-Album, auf dem sich Titel wie „Mei Vodda hod a Crystal-Meth-Labor“, „Punkrock, Pornos & Poesie“ oder „Die Nocht is no jung“ tummeln. Dabei schafft er „mit seiner verrauchten Stimme und Gespür für eingängige Melodien eine kraftvolle Stimmung, die tief ins Herz trifft“. Wir haben dem Österreicher mit dem markanten Oberlippen-Bart und der Brille mit den schwarzen Rändern ein paar Fragen zu seinem Schaffen gestellt.
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Tom: Du singst über ein Spektrum zwischen Tränen und Rausch, Liebe und Schmerz, Verzweiflung und Euphorie. Wie autobiografisch ist dein Schaffen, sprich: deine Songs?
Meine Songs sind wie mein Tagebuch. Ich singe über die Themen und Geschichten, die mich beschäftigen und in der Nacht wachhalten; erst wenn sie draußen sind, komme ich zur Ruhe. Das Schöne daran ist: Wenn ich einen alten Song von mir höre oder live spiele, ist das wie eine Zeitreise zurück an einen Ort, der ansonsten nur in meiner Erinnerung existieren und langsam verblassen würde. Durch die Musik lebt er weiter.
„Handy weg – und Gefühle an!“
Würdest du dich selbst als Gefühlsmenschen bezeichnen? Und: Glaubst du, dass man als Gefühlsmensch in der heutigen Zeit eher zu einer aussterbenden Gattung gehört?
Als Songwriter ist man im besten Fall sensibel für die Dinge, die um einen herum passieren. Besonders für die kleinen, magischen Momente. Bei all den Ablenkungen durch Smartphones und Social Media ist es allerdings schwierig, sich die Feinfühligkeit und Empathie zu bewahren, die es nicht nur für gutes Songwriting braucht, sondern auch für ein gelingendes Zusammenleben in unserer Gesellschaft. Darum: Handy weg – und Gefühle an!
Dein Album „Der Sänger im Roggen“ behandelt Themen wie tote Katzen, Peter Handke, Fabelwesen und Drogenlabore. Wie bringst du das alles unter einen Hut? Wie kreierst du hierfür den berühmten roten Faden? Oder ist eh einfach alles nur Chaos?
Die Themen haben alle etwas mit mir zu tun: Es geht um meine Katzen, meine literarischen Vorbilder – ich habe übrigens auch zwei Romane geschrieben -, meine Herkunft, meine Gefühle. Klar werden die Geschichten zum Teil zugespitzt und fiktionalisiert, aber auf Der Sänger im Roggen geht es vor allem um meine musikalische Selbstfindung und die Schwierigkeiten, seine Werte und Träume in dieser rauen Welt zu verteidigen. Ein weiterer roter Faden sind natürlich meine Dialekttexte: Irgendwann vor 15 Jahren habe ich gemerkt, dass ich mich am wohlsten fühle, wenn ich so singe, wie ich rede und denke. Seitdem singe ich so, wie mir der Schnabel gewachsen ist.
„Ich musste den Dialekt Stück für Stück zurückerobern“
Stichwort Ambros, Danzer, Fendrich. Stichwort: Austropop: Wie nah bist du dran? Bzw.: Wie weit weg bist du davon?
Ich weiß klassischen Austropop, besonders von Wolfgang Ambros, sehr zu schätzen. Das war aber nie die primäre Inspirationsquelle für meine Musik. Ich komme eher vom Punkrock, wo es darum geht, seinen Frust und seine Wut rauszuschreien und sich auf die Bühne zu stellen, auch wenn man sein Instrument vielleicht nicht so gut beherrscht. Dass man Dinge selbst in die Hand nimmt und einfach macht. Da geht dann natürlich auch einiges schief, aber vom Scheitern lernt man ungemein viel – und auf all diesen Erfahrungen kann man später aufbauen.
Stichwort: Sprache. Funktioniert Tom the One nur im Dialekt? Oder wäre er auch auf Englisch denkbar?
Früher habe ich Songs vor allem auf Englisch geschrieben, ab 2008 auch auf Mundart – aber da hat es noch Jahre gedauert, bis ich mich getraut habe, diese öffentlich zu präsentieren. Meiner Generation wurde der Dialekt in der Schule etwas ausgetrieben und ich musste ihn mir Stück für Stück zurückerobern. Doch ich habe sofort gemerkt, dass die Texte authentischer sind, dass sie viel mehr von mir preisgeben und auch, dass sie besser ankommen. Klar, die meisten verstehen Englisch, aber ich bin viel näher an meinem Publikum dran, wenn ich in unserer gemeinsamen Sprache singe. Zum Beispiel die Zeile Wir hom die gleichen Sorgn, owa die Freid no nid verlorn ist um einiges stärker, als wenn ich dasselbe auf Englisch singen würde. Natürlich schränke ich dadurch meine Zielgruppe ein, aber in Bayern verstehen mich die Leute auch – und da gibt es schon noch etwas Luft nach oben… (lacht)
Dein Albumtitel ist eine Hommage an J.D. Salingers Meisterwerk „Der Fänger im Roggen“. Hast du das Buch gelesen? Und: Was genau davon hat dich für dein Album inspiriert?
Das Buch hab ich mit ungefähr 19 gelesen und als ich fertig war, sind die Tränen aus mir herausgebrochen. Es hat mich sehr berührt und war wahrscheinlich einfach das richtige Buch zur richtigen Zeit. Normalerweise bin ich hauptsächlich mit meiner Band Glue Crew unterwegs, mit der wir eine Mischung aus Punkrock und Austropop spielen, ebenfalls im Dialekt. Für mein Soloalbum, das zwischen zwei Glue-Crew-Alben entstanden ist, hat sich das Wortspiel als Titel angeboten, weil da neben aktuellen Songs auch Lieder enthalten sind, die ich vor über zehn Jahren oder im ersten Lockdown geschrieben habe und diese mein Erwachsen- und Älterwerden repräsentieren – ein Thema, das auch den Fänger im Roggen bestimmt. Auf dem Albumcover stehe ich alleine auf einem Feld und singe – dabei hoffe ich, dass ich mit meiner Musik auch Menschen auffangen kann und auf ihrem Lebensweg begleite.
„Unsere Tränen müssen eine Strömung werden“
Wie schwer ist es heute, als Künstler seine eigenen Werte und Träume in dieser Welt zu verteidigen?
Die Welt kommt gerade recht brutal daher – Pandemie, Krieg und Inflation. Ganz zu schweigen vom Klimawandel oder davon, dass es uns in Mitteleuropa nach wie vor sehr gut geht im Vergleich zum Rest der Welt. Auf der anderen Seite gibt es diese glamouröse Instagram-Scheinwelt, die wenig mit der Realität zu tun hat. In meinem Song Tränen kommt zum Beispiel folgende Zeile vor: Im Fernsehn siegst du Kinder, die verhungern und währenddessen / Wird in ana noblen Kochshow grammweis Blottgoid gfressen. Anstatt über die Ungerechtigkeit zu weinen, empfiehlt es sich, aktiv zu werden. Unsere Tränen müssen eine Strömung werden, denn unsere Träume haben die Macht, Mauern einzureißen und die Welt tatsächlich – wenn auch meistens nur im Kleinen – zu verändern.
Abschließend: Was wünschst du dir für die Zukunft? Und: Gibt’s bereits weitere Pläne?
Ich wünsche mir, weiterhin viele Songs zu schreiben und regelmäßig Alben aufzunehmen. Mich weiterzuentwickeln und meine Musik mehr Menschen zugänglich zu machen. Jetzt stehen einmal weitere Solo-Release-Shows an und im November erscheint das neue Glue-Crew-Album, das wir mit dem Produzenten Oliver Zülch aufgenommen haben, der sonst mit Bands wie Die Ärzte oder Granada arbeitet.
Unser Ziel war es, einmal mehr über uns hinauszuwachsen, darum haben wir unser ganzes Herzblut und auch die eine oder andere Träne in die Songs gesteckt. Von Popsongs mit Synthies und Bläsern bis hin zu Punk-Krachern decken wir eine große Bandbreite ab – und auch hier ist der rote Faden in den Texten zu finden. Das Album erscheint bei Sbäm Records und wird auf Vinyl, CD und digital erhältlich sein. Hoffentlich sind wir damit dann auch vermehrt in Bayern unterwegs…
Ja, hoffentlich. Bis dahin wünschen wir weiterhin alles Gute!
die Fragen stellte: Stephan Hörhammer