Freyung/Straubing/Woid. Sich mit der Vergangenheit auseinander zu setzen, kann häufig schwer, ja unangenehm sein. Doch es geht um die Frage der Verantwortung und vor allem darum, wie man mit der Vergangenheit umgeht. Hans Watzlik, dessen Name insbesondere im Bayerischen Wald auf vielen Straßenschildern bis heute präsent ist, betrachten die einen als Heimatdichter, die anderen als Nazi-Verehrer. Eine längst überfällige Debatte über das Erbe des deutsch-böhmischen Schriftstellers und dessen Rolle in der Zeit des Nazi-Regimes ist – einmal mehr – entfacht (da Hog’n berichtete mehrfach). Darüber reden: Check! Doch ist auch schon etwas Konkretes passiert?
Die Stadt Freyung, in der es eine Hans-Watzlik-Straße gibt, hat sich vor Kurzem entschieden. In der Stadtratssitzung Anfang April stimmte die Mehrheit gegen eine Umbenennung und für das Anbringen eines Zusatzschildes zur Kontextualisierung und Bereitstellung von Hintergründen, was die Person Watzlik betrifft. Stadtrat Sebastian Schlutz befasste sich zuvor gemeinsam mit Kreisheimatpfleger Gerhard Ruhland intensiver mit dem Thema – mit dem Ergebnis, dass es sich bei dem einstigen NSDAP-Mitglied, Angehörigen der Reichsschrifttumskammer und Publizisten im Völkischen Beobachter wohl um mehr als nur einen Nazi-Sympathisanten handelte.
„Den meisten ist es eh egal“
In der Debatte vor der Abstimmung argumentierten diejenigen Gremiumsmitglieder, die sich für das Anbringen einer Infotafel (mit QR-Code) und gegen eine Umbenennung der Straßen aussprachen, etwa, dass man kein Gegner von Geschichtsleugnung sei. Zudem kämen bei einer Adressänderung hohe Kosten auf die jeweiligen Anwohner zu, die man ihnen ersparen möchte.
Die einen wiederum sagten, dass der „Schilderwald“ in Freyung ohnehin schon recht groß sei und man daher von einem Zusatzschild absehen möge. Man habe sich mit der Thematik befasst – und nun solle es auch wieder gut damit sein, meinte ein anderer. Aber auch Stimmen wie „Der Name muss weg“ waren zu vernehmen. Insbesondere bei Auswärtigen könne die Beibehaltung ein schlechtes Licht auf die gesamte Stadt werfen. Und einer fand, dass es den meisten ohnehin egal sei, wie die Straße heißt.
„Verniedlichung der Realität“
Als Experte auf diesem Gebiet möchte er sich selbst nicht bezeichnen. Doch Erhard Grundl hat sich aufgrund seiner langjährigen Tätigkeit als Kommunalpolitiker und Bundestagsabgeordneter immer wieder mit dem Thema – insbesondere mit den Widerständen dagegen – befasst. Im Straubinger Stadtrat hatte er von Anfang an die Diskussion um den Hans-Watzlik-Ring, der nach Meinung der Grünen hätte umbenannt werden sollen, mitverfolgt und auch -geprägt. Das Abstimmungsergebnis im Gremium gestaltete sich Anfang März wie folgt: Die Mehrheit (28 Stimmen) sprach sich (bei neun Gegenstimmen) für eine Kontextualisierung aus. Das heißt: Ein Zusatzschild soll künftig über die Rolle Watzliks im Dritten Reich informieren. Eine Lösung, mit der Grundl, selbst Mitglied im Sudetendeutschen Rat, nicht zufrieden ist.
„Ich denke, dass man einen großen Fehler begeht, wenn man’s an der Frage der Adressänderung festmacht.“ Er könne die Unannehmlichkeiten, die auf die jeweiligen Anlieger im Falle einer Straßen-Umbenennung zukommen, durchaus nachvollziehen – und schlägt sogleich vor, dass die öffentliche Hand die Kosten dafür ja übernehmen könne. „Doch was da inhaltlich dahintersteckt, ist natürlich etwas anderes.“
Es geht Grundl zufolge nicht darum, ob Watzlik Mitglied in der NSDAP gewesen ist. Auch nicht darum, ob er vom Nazi-Regime profitiert hat. „Für mich steht im Mittelpunkt, dass Personen wie Watzlik propagandistisch im Sinne des Nazi-Regimes unterwegs waren, sie Einfluss hatten auf junge Menschen im Sudetenland. Dass diese seit Jahren als Heimatdichter bezeichnet werden, ist ein Euphemismus, der mit der Realität nichts zu tun hat.“ Jene Begrifflichkeit des „Heimatdichters“ betrachtet der Bundestagsabgeordnete gar als „Verniedlichung der Realität“. Und dies sei in seinen Augen „nicht hinnehmbar“.
In Sachen Zusatzschild-Lösung stellt Grundl obendrein fest: „Bei Google Maps, im Telefonbuch oder auf sämtlichen Straßenkarten bleibt der Name Hans Watzlik weiterhin eingetragen – da wird es keine Zusatzerklärung geben.“
„Hier kann man sich nicht wegducken“
Er betont mehrmals, dass es ihm nicht darum gehe, sich moralisch über diejenigen Menschen zu erheben, „die in dieser Nazi-Zeit leben mussten“. Denn heute könne wohl keiner die Frage beantworten: „Was wäre, wenn ich in dieser Zeit gelebt hätte?“ Bei Charakteren wie Hans Watzlik, die mit einschlägigen Zeilen dem Führer huldigten, sei die Sache seiner Meinung nach jedoch klar: „Das war keine Jugendsünde. Das war durchaus beabsichtigt und ganz bewusst – da steckte eine gewisse Systematik dahinter.“
Man dürfe generell vor derlei Themen nicht zurückschrecken, „nur weil sie zu viel Arbeit verursachen könnten“, unterstreicht Erhard Grundl. Denn Erinnerungskultur habe nun mal mit „Arbeit“ zu tun – „und die ist oftmals schmerzhaft“. Es habe Täter und Opfer gegeben, auch in unserer Region, auch in unseren Familien. „Dem muss man sich stellen“, sagt der Grünen-Politiker. „Das verlange ich auf Bundesebene von den Hohenzollern, aber gleichzeitig auch von mir selbst. Hier kann man sich nicht wegducken mit Aussagen wie: Den Watzlik, den kennt eh keiner. Oder: Das hat eh keiner gewusst. Das hat einen unguten Ton.“
Grundls Meinung über den Schriftsteller aus Böhmen steht daher fest: „Er war ein aktiver Propagandist, der eine entscheidende Rolle bei der Hitler-Verehrung gespielt hat. Leute wie er haben den Katechismus des Nazitums aufgestellt – das kann man nicht einfach so abtun. Wenn man wirklich liest, was er geschrieben hat, war das schlichtweg demaskierend.“
Der Stand der Dinge in den Bayerwald-Gemeinden
Wie berichtet, gibt es auch in den Bayerwald-Gemeinden Zwiesel, Regen, St. Oswald-Riedlhütte, Bayerisch Eisenstein und Frauenau Straßen, die einst zu Ehren Hans Watzliks nach ihm benannt wurden. „Wir werden diesbezüglich in einer der nächsten Sitzungen darüber sprechen“, kündigte etwa Andreas Waiblinger, Bürgermeister von St. Oswald-Riedlhütte, vor rund vier Wochen an. Auf Hog’n-Nachfrage teilt dieser mit, dass man sich im Gemeinderat bislang noch nicht mit der Thematik beschäftigt habe, das Gremium aber darüber bereits informiert worden sei. Wann der Punkt auf die Tagesordnung komme, könne Waiblinger noch nicht sagen, „da aktuell andere wichtige Themen zu beraten sind“.
Michael Herzog, Rathaus-Chef in Bayerisch Eisenstein, informiert, dass die Angelegenheit im Gemeinderat in nichtöffentlicher Sitzung zwar diskutiert, bislang dazu jedoch noch keine Entscheidung herbeigeführt worden sei. Ähnlich gestaltet sich die Situation in Frauenau: Bürgermeister Fritz Schreder wolle Auskunft erteilen, sobald man das weitere Vorgehen im Gremium besprochen habe. „Die letzten Wochen haben wir für ein andres kommunales Thema sehr viel Zeit investieren müssen – und deswegen das Thema Hans Watzlik zurückgestellt.“
„Bisher hat sich in der Sache noch nichts getan“, vermeldet Karl-Heinz Eppinger, Bürgermeister von Zwiesel. „Wir werden das Thema erst noch mit unserem Stadtratsgremium besprechen und dann das weitere Vorgehen festlegen.“ Auch sein Regener Amtskollege Andreas Kroner bzw. dessen Geschäftsleiter Martin Wisbauer teilt ähnliches mit: „Nach Archivrecherche konnten wir nicht nachvollziehen, aus welchen Gründen die Straßenbenennung erfolgte. Wir werden das Thema in einer der nächsten Stadtratssitzungen aber thematisieren.“ Geplant ist, die Sache Hans Watzlik in der Sitzung Mitte Mai auf die Tagesordnung zu setzen.
Auch im Nationalpark noch nichts Neues
Wie berichtet, ist auch der Nationalpark Bayerischer Wald mit Hans Watzliks Erbe konfrontiert – in Form des sog. Hans-Watzlik-Hains, einem 38 Hektar großen, urwaldartigen Waldbestand, westlich von Zwieslerwaldhaus gelegen. Auf Nachfrage teilt man mit, dass sich nach ersten Überlegungen bzgl. einer Umbenennung der Örtlichkeit bzw. über das Anbringen eines Zusatzschildes bis dato noch nichts Neues getan habe.
„Die Zusatzbeschilderung wurde bislang noch nicht angebracht“, heißt es von Seiten der Stadt Freyung. Derzeit würden Textentwürfe für das eigentliche Taferl sowie den dazugehörigen QR-Code mit dem Kreisheimatpfleger abgestimmt, teilt Geschäftsleiter Michael Pradl mit.
Stephan Hörhammer