Vimperk/ Winterberg. Die Stärkung und Entfaltung der deutsch-tschechischen Nachbarschaft in den Grenzregionen – so lautet das Hauptziel des Programms „Ein Jahr an der Grenze„, das der Deutsch-tschechische Zukunftsfonds vor rund einem Jahr initiiert hat. Ein Projekt, das freilich auch die Beziehungen zwischen dem Bayerischen und dem Böhmischen Wald in den Fokus stellt. „Die Grenzregion bietet den Menschen aus beiden Ländern die Möglichkeit, auf kurzem Wege miteinander in Kontakt zu treten, sich direkt zu begegnen und voneinander zu lernen“, beschreibt Sára Špeciánová, die für die Region Südliches Niederbayern und Südböhmen zuständig ist, die Intention dahinter.
Viel Potenzial für grenzüberschreitende Begegnungen bieten insbesondere historisch bedeutsame Bauwerke, wie etwa das Schloss Vimperk (Schloss Winterberg) in der gleichnamigen Kleinstadt im Böhmerwald. Die Höhenburg ist um das Jahr 1260 entstanden und hat sich im Laufe der Jahrhunderte immer wieder verändert. Wir haben uns mit Kastellan Vojtěch Brož über die bedeutendste Sehenswürdigkeit des Ortes unterhalten.
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Herr Brož: Welche Bedeutung hat das Schloss Vimperk für die Stadt heutzutage? Welche Bedeutung hat es für Südböhmen?
Für die Stadt Vimperk ist das Schloss zweifellos die wichtigste Sehenswürdigkeit und ein Motor des lokalen Tourismus. In der südböhmischen Region ist es jedoch immer noch ein eher unentdecktes Denkmal – schließlich kann es nicht mit dem Massentourismus des Schlosses Hluboká oder dem UNESCO-Denkmal Český Krumlov konkurrieren. Umso mehr würden wir uns freuen, wenn es in der Zukunft zu einem Ort wird, der z. B. von bayerischen Touristen – viele von ihnen auch Nachkommen der in Deutschland lebenden Vimperker/Winterberger – gerne entdeckt wird.
„Alle Epochen haben das Schloss geprägt“
Burgen und Schlösser gibt es viele in Mitteleuropa. Doch: Was macht Schloss Vimperk so einzigartig? Warum sollte jeder Bewohner des Böhmisch-Bayerischen-Waldes einmal dort gewesen sein?
Wir könnten etwa eine Etappe in der Geschichte des Schlosses hervorheben, die außergewöhnliche Periode der Adelsfamilie Novohradsky aus Kolovrat, die in nur zwei Generationen zu Beginn des 17. Jahrhunderts zum wahrscheinlich größten Aus- und Umbau des Schlosses Vimperk beitrug. Oder die Zeit des Hochmittelalters, als die Burg als Mittelpunkt der Herrschaft die treibende Kraft und das Zentrum der Besiedlung der Region in der Nachbarschaft des Bistums Passau war.
Aber diese Sichtweise würde all den anderen Phasen und Stilen, die Schloss Vimperk geprägt haben, nicht gerecht werden. So ist Schloss Vimperk vor allem deshalb von Bedeutung, weil es die kontinuierliche Entwicklung eines Adelssitzes über 750 Jahre hinweg dokumentiert. Alle Epochen – von der frühesten Gotik bis zum reizvollen Jugendstil – haben das Schloss geprägt. Und der neugierige Besucher kann die meisten von ihnen hier in ihren offenen und versteckten Formen gemeinsam mit uns entdecken.
Welche Originalteile sind bis heute vorhanden? In welchem allgemeinen Zustand befindet sich das Bauwerk momentan? Und: Wann wurde es zuletzt renoviert?
Wir betrachten das Schloss als einen komplexen, wachsenden Organismus, der sich im Laufe von 750 Jahren ständig verändert hat. Hier findet man sowohl die ältesten Teile des Schlosses, die an die Zeit vor 750 Jahren erinnern, als auch kürzlich aufgegebene Wohnungen und Büros. Wir betrachten alle Schichten, die sich in den Mauern und Strukturen der Burg eingeprägt haben, als wertvoll und setzen uns für ihren Schutz ein – auch für die jüngsten. Auch sie werden im Laufe der Zeit ihren Wert gewinnen.
Die erste Phase der umfassenden Restaurierung des Schlosses wurde 2021 abgeschlossen – einschließlich eines neuen Rundgangs und einer Museumsausstellung. Dies war die umfangreichste Renovierung des Schlosses seit 160 Jahren. Dennoch sind inzwischen etwa 30 Prozent des weitläufigen Geländes restauriert worden. Der Vorteil für unsere Besucher ist, dass sie die Restaurierung und die fortschreitende Umgestaltung gemeinsam mit uns verfolgen können, denn es ist nicht geplant, das Denkmal während der weiteren Bauarbeiten für die Öffentlichkeit zu schließen.
Der Geschmack und die Macht der Adelsfamilie
Zu welchem Zwecke hatte das Schloss im Laufe der Jahrhunderte gedient? Fanden dort auch kriegerische Auseinandersetzungen statt?
Jede Burg und jedes Schloss hat eine Reihe wichtiger Funktionen. Erstens ist es das Zentrum der Verwaltung des gesamten Anwesens. Es ist der Ort, von dem aus die Gründung von Dörfern oder – viel später – die industrielle Wirtschaft und – in unserem Fall – der Holzeinschlag in den Wäldern des Böhmerwaldes gesteuert wird. Zweitens repräsentiert es den Geschmack und die Macht der Adelsfamilie, der es gehört.
Die wenigsten Burgen haben die Funktion einer echten militärischen Festung, die meisten sind eher befestigte Zentren von Landgütern. Dennoch waren sie oft direkt von den Kriegsereignissen betroffen. Das vielleicht am besten dokumentierte Ereignis ist die Einnahme eines Renaissance-Schlosses zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges. Von diesem Ereignis aus dem Jahr 1619 erzählen wir unseren Besuchern auf unserer Hauptroute.
Was können Besucher heute dort genau besichtigen?
Unsere Besucher können sogar drei Besichtigungsrouten auf dem nach und nach renovierten Denkmal besichtigen. In diesem Jahr planen wir, eine davon in deutscher Sprache anzubieten. Zum Betrieb des Schlosses gehört auch unser Regionalmuseum Vimperk mit brandneuen Ausstellungen, die die Geschichte der Stadt und der umliegenden Region in 18 Themenbereichen abbilden. Die meisten Texte im Museum sind auch in deutscher und englischer Sprache verfasst.
„Behutsame Restaurierung des Schlosses“
Gibt es außer der Tatsache, dass in beiden Gebäuden heute ein Museum untergebracht ist, eigentlich weitere Parallelen zu dem in Vimperks bayerischer Partnerstadt Freyung ansässigen Schloss Wolfstein?
Die Burg Vimperk und die Burg Wolfstein sind vor allem dadurch miteinander verbunden, dass sie beide an einer sehr einträglichen Handelsroute entstanden sind – dem Vimperker Zweig des Goldenen Steiges, der Böhmen mit Passau verband. Im Mittelalter begab sich ein böhmischer Säumer mit Waren auf einen zweitägigen Marsch durch die unwirtliche und unbewohnte Wildnis in Vimperk. Der erste Blick auf die Zivilisation war nach zwei Tagen die Burg Wolfstein, von wo aus er über die Burg Kaltenstein nach Passau weiterzog. Von dort kehrte er mit einer Ladung Salz zurück, dem Hauptgut des Marsches, das auf dem Wasserweg nach Passau gebracht wurde, und reiste dann nach Norden nach Böhmen.
Wohin führt der künftige Weg des Schlosses? Gibt es Veranstaltungen oder besondere Ereignisse, auf die man schon jetzt einen Blick vorauswerfen kann?
Wir würden uns freuen, wenn die behutsame Restaurierung des Schlosses Vimperk in den nächsten Jahren ohne nennenswerte Einschränkungen für den Besucherverkehr fortgesetzt werden könnte und Vimperk wieder ein bekanntes touristisches Ziel im Reiseplan der bayerischen Böhmerwaldbesucher wird.
Für diese Saison bereiten wir außerdem eine Ausstellung mit Landschaftsbildern aus dem Böhmerwald der zwei Maler Věra Kubík Kdolská und Václav Martínek vor. Ihre Ölbilder, Pastelle und Aquarelle werden vom 4. Juni bis 29. Oktober 2023 in der Schlossgalerie zu sehen sein.
Vielen Dank für die interessanten Ausführungen und weiterhin alles Gute.
die Fragen stellte: Stephan Hörhammer
(Übersetzung: Eva Reitspiesová)