Arnbruck/München. Dieser Mann weiß, wovon er spricht, wenn es um die deutsche Wirtschaft geht. Als ehemaliger Siemens-Chef (Vorstandsvorsitzender 2013-2021) und jetziger Aufsichtsratsvorsitzender von Siemens Energy kann Joe Kaeser auf Fachwissen und eine Expertise zurückgreifen wie nur wenige andere. Genau das wird auch im zweiten Teil des Interviews mit dem gebürtigen Arnbrucker (Landkreis Regen) deutlich.
Die Themen, über die er sich mit den Redakteuren des Onlinemagazins da Hog’n unterhalten hat, sind vielfältig: vom Klimawandel und Klimaaktivisten über die Inflation und den generellen Zustand der deutschen Wirtschaft bis hin zum Ukraine-Krieg. Zudem wird’s persönlich: Denn der Waidler spricht darüber, welche typischen Eigenschaften der in diesem Landstrich lebenden Menschen (noch) in ihm stecken…
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Herr Kaeser, Stichwort Klimawandel: Wohin geht die Reise für die deutsche Wirtschaft? Wie sehr beeinflusst der Klimawandel den Wirtschaftsstandort Deutschland?
Joe Kaeser: Deutschland sorgt weltweit für rund zwei Prozent der CO2-Emissionen. Wenn also die ganze Welt weiter auf Kohlekraftwerke setzt, dann können wir uns anstrengen, wie wir wollen – wir werden die Welt allein nicht retten, indem wir unsere Emissionen halbieren. Aber wir haben natürlich auch eine Vorbildfunktion. Wir sollten weiter an unseren Klimazielen festhalten. Dennoch muss unser Hebel sein: Wir entwickeln hierzulande die weltbesten Umwelttechnologien und exportieren sie dann – und können so am effektivsten auch andernorts den Klimawandel bekämpfen.
Das können Windkraftanlagen sein, effiziente Gasturbinen, die auch mit Wasserstoff betrieben werden können und mit denen man Kohlekraftwerke ersetzen kann, verlustarme Stromübertragungsnetze genauso wie Technologien für den Aufbau einer globalen Wasserstoffwirtschaft oder Elektroautos. Wir haben alle Möglichkeiten, hier weltweit vorn zu sein. Die Ausgangslage ist also gut, wir sollten diese Chance nutzen.
„Das sollten wir nicht beim Blick auf unser Land vergessen“
Als wie flexibel erachten Sie den Wirtschaftsstandort Deutschland, wenn es darum geht, sich auf die Veränderungen des Klimawandels einzustellen?
Joe Kaeser: Es ist ja fast schon eine Mode, über den Wirtschaftsstandort Deutschland zu schimpfen. Und natürlich müssen wir weniger bürokratisch agieren, schneller werden und die Anpassungsfähigkeit unserer Wirtschaft erhöhen. Hier müssen wir besser werden, auch durch eine viel umfangreichere Digitalisierung. Ich möchte dennoch den Menschen in Deutschland Mut machen, weil wir an einem der besten Orte der Welt leben, in einer demokratischen Gesellschaft, in Frieden und Freiheit, in einem Rechtsstaat, mit einer guten medizinischen Versorgung. Wenige Stunden von hier entfernt kämpfen Menschen um ihr Leben und ihre Freiheit – dafür, dass sie nicht mehr bombardiert werden und ihre Kinder in Sicherheit leben. Das sollten wir nicht beim Blick auf unser Land vergessen.
Wir sind insgesamt ein vermögendes Land. Wir haben Ideen, Technologien und ein erfolgreiches Unternehmertum, ein weltweit unerreichtes Netzwerk aus Großunternehmen, Eigentümer-geführten Firmen aus dem Mittelstand, dem Handwerk und Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Aber: Man darf sich natürlich auch nicht auf dem Wohlstand und dem Erreichten ausruhen und darf auch nicht vergessen, dass es zunehmend Menschen gibt, deren Existenzgrundlage gefährdet ist oder die heute bereits in ärmlichen Verhältnissen leben. Das muss in einem Staat wie Deutschland eigentlich nicht sein.
Klimawandel: „Diagnose ist einfacher als die Therapie“
Wie sehen Sie Klimaaktivisten, die sich immer wieder öffentlichkeitswirksam mit diversen Klebeaktionen ins Licht der Öffentlichkeit rücken? Sind das alles „Spinner“? Oder ist deren Protest legitim?
Joe Kaeser: Erst einmal: Ich finde es gut, wenn sich junge Menschen engagieren und ihre Meinung kundtun. Und wenn das auf unkonventionellem Wege geschieht, ist das auch in Ordnung. Protest braucht Aufmerksamkeit, sonst hört niemand hin. Wichtig ist aber, dass keine strafrechtlichen Grenzen überschritten und Menschenleben gefährdet werden.
Viele Anliegen von Organisationen wie ‚Fridays for Future‘ sind richtig: Wir haben die Verpflichtung, den kommenden Generationen den Planeten in einem intakten Zustand zu überantworten – und dieser Verantwortung werden wir noch immer nicht gerecht. Wenn wir so weitermachen, schaffen wir es nicht, auf den 1,5-Grad-Pfad einzubiegen und den Klimawandel noch zu stoppen.
„Land hat soziale, integrative Komponente“
Wahr ist aber auch: Es ist immer einfacher, eine Diagnose zu stellen, als die Therapie durchzuführen. Aber Sie werden von mir nicht hören, dass das alles ‚Spinner‘ und ‚Chaoten‘ sind. Dennoch muss man sagen, dass einige Aktivisten der ‚Letzten Generation‘ dabei sind, mit zweifelhaften und kriminellen Handlungen ihre Glaubwürdigkeit zu verlieren.
Generell: Wie viel „Woid“ steckt heute noch in Joe Kaeser, dem weitgereisten Manager, der mit den Großen und Mächtigen der Welt auf Du und Du ist?
Joe Kaeser: Andere müssen beurteilen, wieviel ‚Woid‘ in mir steckt. Ich bin gerne in meiner Heimat, weil man hier einander respektiert und auch, weil man einander in Ruhe lässt. Man hilft sich gegenseitig. Wenn mal jemand ein paar Tage nicht aus dem Haus geht, dann schaut man nach dem Rechten. Ich möchte nicht wissen, wie viele Leute in der Stadt einsam sind, weil niemand nach ihnen schaut. Deshalb hat das Land auch eine soziale, integrative Komponente, die die Urbanisierung nicht immer bietet. Trotzdem bin ich auch sehr gern in Weltstädten. Ich fühle mich hier wie dort wohl.
Welche „waidlerischen Eigenschaften“ haben Ihnen im global-wirtschaftlichen Haifisch-Becken immer wieder weitergeholfen?
Joe Kaeser: Im global-wirtschaftlichen Haifisch-Becken, wie Sie es nennen, gibt es ja auch nicht nur die Weißen Haie oder Killerwale, sondern viele verschiedene Tierarten. Die einen sind gefährlich, andere eher harmlos. Eine ‚waidlerische‘ Eigenschaft, die einem in diesem Umfeld hilft, ist Bodenständigkeit.
„Putin hat sich verrechnet“
Es hilft, geerdet zu sein, zu wissen, woher man kommt, wie hart man dafür gearbeitet hat – und nicht alles und jeden superwichtig zu nehmen. Respekt ja, aber nicht Ehrfurcht. Eine weitere Eigenschaft ist gesunde Menschenkenntnis. Die hilft ungemein, sein Gegenüber richtig einzuschätzen und die Stärken und Schwächen zu analysieren. Ich bilde mir ein, dass Bodenständigkeit und Menschenkenntnis zwei Eigenschaften sind, die ich mitbekommen habe. Genauso, wie Respekt vor anderen zu haben.
Wie blicken Sie auf den Ukraine-Konflikt? Wie wird dieser Ihrer Meinung nach enden? Wird Putin einlenken?
Joe Kaeser: Einen brutal geführten Angriffskrieg mit den Mitteln des 20. Jahrhunderts zu führen, einen Nachbarn zu überfallen und mehr als 40 Millionen Menschen das Existenzrecht abzusprechen – so etwas konnten oder wollten wir uns nicht vorstellen. Putin hat sich jedoch verrechnet. Er hätte nicht erwartet, dass die Ukraine so mutig ist und durchhält. Er hat nicht damit gerechnet, dass der Westen solidarisch ist und die Ukraine nicht sich selbst überlässt.
„Auswirkungen des Kriegs sind gravierend“
Unsere Solidarität und Unterstützung müssen auch weiterhin den Ukrainerinnen und Ukrainern gelten – und ich bin stolz darauf, wie viele Menschen auch bei uns in Bayern Flüchtlingen helfen oder Hilfsgüter für die Ukraine sammeln. Dieser Krieg wird nicht morgen vorüber sein – und Putin wird auch nicht einfach einlenken. Ich denke, dass dafür leider erst militärische Fakten geschaffen werden müssen. Und erst dann machen Verhandlungen Sinn.
Welche künftigen Auswirkungen wird dieser Krieg auf die deutsche Wirtschaft haben?
Joe Kaeser: Die Auswirkungen des Kriegs auf die deutsche Wirtschaft sind weiterhin gravierend: Das geht bei Rohstoffen und Lieferketten los und reicht bis zu hoher Inflation und hohen Energiepreisen. Wenn man etwas Positives sehen will: Der Krieg zwingt uns, unser Wirtschaftssystem anpassungsfähiger zu machen – etwa in der Energiepolitik – und Dinge schneller zu entscheiden.
Eine der großen Fragen wird – jenseits des aktuellen Kriegsgeschehens – sein, wie die neue Weltordnung aussehen wird, die sich gerade herausbildet. Also wie die USA und China miteinander klarkommen – und auch, welche Rolle Europa und Deutschland in dieser neuen Weltordnung spielen. Das ist die eigentliche Zeitenwende – geopolitisch, geoökonomisch, technologisch.
Die Grundzüge dieser neuen Weltordnung kommen langsam zum Vorschein. Und was wir da schon jetzt sehen, ist ein erbitterter Konkurrenzkampf von Systemen. Und dennoch bleiben Menschheitsaufgaben wie der Kampf gegen den Klimawandel, die die Weltgemeinschaft jenseits aller Systemkonkurrenz nur zusammen lösen kann.
„2022 war ein Notfalljahr“
Der Blick auf die aktuelle politische Landschaft in Deutschland. Ministerpräsident Markus Söder sagte zuletzt, dass hierzulande die schlechteste Regierung herrsche, die Deutschland je hatte. Stimmen Sie dem zu? Bzw.: Was entgegnen Sie ihm?
Joe Kaeser: Auch hier gilt: Es ist immer einfacher, eine Diagnose zu stellen, als die Therapie durchzuführen. Aber das hat Herr Söder in einer Aschermittwochsrede gesagt, das muss man nicht alles so ernst nehmen. Wir haben außerdem Wahlkampf in Bayern, da geht es nicht zwingend differenziert zu.
Ich sehe das anders. Die Bundesregierung hatte und hat in sehr kurzer Zeit Entscheidungen von enormer Tragweite zu treffen: Nehmen Sie die Zeitenwende in der Energiepolitik oder der Verteidigungspolitik. Hier musste man über Nacht wegweisende Veränderungen anstoßen. 2022 war ein Notfalljahr mit Fragestellungen wie, ob wir den Winter ohne Stromsperren überstehen, ob die Wohnungen warm bleiben und die Industrie weiter funktionieren kann. Das ist weitgehend gelungen. Im Übrigen sind etliche der heutigen Herausforderungen und Problematiken in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten erst entstanden. Mit denen hat die heutige Regierung eher weniger zu tun.
„Energie-Masterplan muss jetzt erstellt werden“
Nun geht es darum, dass wir dieses Jahr und die folgenden Jahre dazu nutzen, angestoßene Veränderungen auch konsequent umzusetzen und unser Land resilienter und wettbewerbsfähiger zugleich machen. Dazu gehört beispielsweise, dass wir einen Energie-Masterplan erstellen, in dem wir festlegen, wie unser Energiesystem in zehn oder 20 Jahren aussehen wird, von wem wir Energieträger beziehen, welchen Energiemix wir wollen usw. Das muss jetzt geschehen.
Dasselbe gilt auch für die Verteidigungspolitik: Die 100 Milliarden Euro sind eine Ansage – nun gilt es, das Geld intelligent in unsere Verteidigungsfähigkeit zu investieren. Die Deutschland-Geschwindigkeit, von der Herr Scholz gesprochen hat und die wir beim Bau der Flüssiggas-Terminals im Norden Deutschlands gesehen haben, muss zur Durchschnittsgeschwindigkeit werden. Da sind wir noch nicht, da müssen wir aber hin.
Herzlichen Dank dafür, dass Sie sich die Zeit zur Beantwortung unserer Fragen genommen haben. Wir wünschen Ihnen und Ihrer Familie weiterhin alles Gute.
Interview: Stephan Hörhammer und Helmut Weigerstorfer