Grafenau. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Dieser Spruch scheint maßgeschneidert zu sein für den Modellbau. Denn wohl keine Tätigkeit im Hobbykeller ist so diffizil, wie die Realität in Miniaturform abzubilden. Doch auch wenn die kleine Eisenbahn ihre Runden dreht, die Siedlung samt Schrebergärten fertig ist und auch der Hausberg majestätisch die auf wenige Quadratmeter dargestellte Szenerie abrundet, ist die kreative Zeit noch nicht vorbei. Denn mit ein bisschen Vorstellungskraft erwacht die kleine Welt tatsächlich zum Leben…
„Viele haben Angst davor, sich zu outen“
Gerhard Mirwald beherrscht es hervorragend, jemanden mit wenigen Worten in den Bann der Bahn zu ziehen. Und plötzlich haben Menschen in Fingernagelgröße eine Biographie. Man kann geradezu ihre Gedanken lesen. Man spürt ihre Gefühle. Zugegeben, der 64-Jährige hat einige kleine Hilfsmittelchen, die diesen Eindruck verstärken. So bewegen die klitzekleinen Hühner, die auf einer Alm zu Hause sind, auf Knopfdruck tatsächlich ihre Köpfe. Der GLS-Transporter schlängelt sich ferngesteuert durch die engen Straßen. Und die altehrwürdige Eisenbahn raucht tatsächlich aus ihrem Schornstein.
Herzlich Willkommen bei den Eisenbahnfreunden Grafenau! Bei einer Gesellschaft, die in ihrer eigenen Welt lebt, dies ohne Umschweife zugibt – und sich damit sogar brüstet. Das Refugium des 30 Mitglieder starken Vereins befindet sich im Keller des sog. Lindermayer-Hauses am oberen Ende des Stadtplatzes. Seit 1997 gibt es den Zusammenschluss, dessen Gründungsväter Hans-Jürgen Mahlke und Christian Hilpert waren. „Sie hatten den Mut, sich zu outen“, blickt Gerhard Mirwald, seit 2000 Chef der Eisenbahnfreunde, mit einem Augenzwinkern zurück. „Denn viele halten ihr Faible für die Modelleisenbahn eher im Geheimen, weil sie Angst davor haben, belächelt zu werden.“
Nur wenige Details von einer schier unfassbaren Vielzahl an Kleinigkeiten:
In der öffentlichen Wahrnehmung, so ist der 64-jährige Grafenauer überzeugt, gelte der Modellbau noch immer als Kinder-Spielzeug. Also etwas, mit dem sich erwachsene Frauen und Männer nicht zu beschäftigen haben. Auch Mirwalds Ursprünge für diese Leidenschaft liegen in seinen jungen Jahren begründet. „Ich habe mit sechs meine erste Eisenbahn bekommen – eine recht schlichte und einfache“, erinnert er sich. „Aber von da an war mein Interesse geweckt. Das Kreative begeistert mich einfach. Auch die technischen Zusammenhänge.“
Ja, das gibt er offen zu, sein Hobby wecke bei ihm, seinen Mitstreitern und vielen weiteren Hobby-Lokführern in den Kellern und Dachböden der Region das vielzitierte „Kind im Manne.“ Von einem „Spielzeug“ sind die Produkte von Märklin, Fleischmann, Revell & Co. aber inzwischen meilenweit entfernt. „Seitdem es die Nenngröße H0 gibt, also den Maßstab 1:87, fallen die Modelle unglaublich detailliert aus. Das ist nun wirklich nichts mehr für Kinder.“ Die breite Masse davon zu überzeugen, dass die Miniaturwelt nichts ist, wofür man sich schämen müsse, ist eine der Kernaufgaben der Eisenbahnfreunde.
Eine Sonderausstellung zeigt Exponate von Pfarrer Markus Krell (einst Röhrnbach/jetzt Tiefenbach)
Generell hat sich der Verein auf die Fahnen geschrieben, Züge – egal welcher Größe – ins rechte Licht zu rücken. Als wichtiges Fortbewegungsmittel, aber auch als Kulturgut. So verwundert es nicht, dass Mirwald und Kollegen Befürworter des Regelbetriebes der Ilztalbahn sind. Von der Waldbahn sind sie ohnehin große Fans. Regelmäßig führen Ausflüge zu ähnlichen Regionallinien wie beispielsweise der Erzgebirgsbahn. Die große weite Welt – eine angenehme Abwechslung. Die kleine, selbst geschaffene Welt – der Alltag.
„Führerschein“ für Anlage gibt’s nach 14 Fahrstunden
Die Zeit des großen Bauens ist vorbei. Die Grafenauer Großanlage ist mehr oder weniger fertig gestellt. „Und in den Wettlauf mit einer regelmäßigen neuen Attraktion wollen wir nicht einsteigen. Da würde uns der Spaß an der Sache verloren gehen.“ Zu tun gibt es aber dennoch genug für die Eisenbahnfreunde. Denn kleinere Arbeiten wie beispielsweise das Austauschen von Mottobereichen – es gibt u.a. einen Christkindlmarkt – fallen dann doch immer wieder an. Auch technische Feinjustierungen müssen von Zeit zu Zeit vorgenommen werden. Und zu guter Letzt muss die Eisenbahn natürlich ihrer Bestimmung nachgehen – und fahren.
Das klingt einfacher als es tatsächlich ist. Denn gesteuert werden die vielen, vielen Züge nicht, wie man’s vielleicht selber von zuhause kennt, mit einem einzigen An-/Aus-Schalter. Das System ist aufwendig. Es gibt verschiedene Signale, Schaltkreise und Weichen. Alles „Marke Eigenbau“. Hinzu kommen noch digital gelenkte Fahrzeuge. „Das ist alles gar nicht so leicht“, fasst Gerhard Mirwald zusammen. Lokführer kann übrigens jeder spielen – aber nur, wer den dazugehörigen „Führerschein“ vorweisen kann. „Dieser kann auf Nachfrage im Einzelunterricht gemacht werden. Hierfür sind aber 14 Fahrstunden nötig“, macht der Vereinsvorstand deutlich.
Die Großanlage ist der Mittelpunkt, aber: Im Refugium der Eisenbahnfreunde dreht sich alles um den Zug:
Die Eisenbahnfreunde können nicht nur gemeinsam ihrer Leidenschaft nachgehen, was das Hobby noch schöner macht. Der angenehme Nebeneffekt des Miteinanders: Die zweifelsohne hohen Kosten für Modelle aller Art können auf mehrere Schultern verteilt werden. Jede Bahn, jedes Fahrzeug, jede Figur hat einen Besitzer innerhalb der Mitgliedschaft. „Wem genau was gehört, ist genau niedergeschrieben, wird aber nicht verraten“, berichtet Gerhard Mirwald. „Es geht nicht um den Besitz, sondern um die Sache.“ Und ein bisschen auch um die Phantasie…
Helmut Weigerstorfer
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Regelmäßig öffnen die Eisenbahnfreunde Grafenau e.V. ihre Pforten für Besucher. Der nächste Termin: Sonntag, 26. Februar, 14 bis 17 Uhr. Die Adresse: Schusterbeckstraße 17, 94481 Grafenau