Vorderfreundorf. Es ist ein „Teufelskreis“. Um dem demographischen Wandel entgegenzuwirken, ist der Zuzug (junger) Bürgerinnen und Bürger ein wichtiges Pfund. Allen voran die vielerorts unberührte Natur des Bayerischen Waldes ist es auch, die zahlreiche Externe lockt. Baugebiet um Baugebiet wird deshalb aus dem Boden gestampft – und so Flora und Fauna immer weiter verdrängt. Dies kritisieren Thomas „Schober“ Mandl und Andreas Binder am Beispiel des Wohnbaugebietes „Vorderfreundorf 2“. Dort sollen 22 Parzellen auf einer Wiese entstehen, auf der den beiden zufolge seltene Insekten und Reptilien heimisch sind.
Es sind Emotionen im Spiel beim Ortstermin auf einer kleinen Verbindungsstraße zwischen Vorderfreundorf und Fürholz. Vor allem Andreas Binder redet sich so richtig in Rage. Er hat aber auch gewichtige Argumente parat. Der Hobby-Entomologe hat sich mit der Tierwelt, die auf der angrenzenden Wiese, wo eine Siedlung entstehen soll, zuletzt intensiv beschäftigt. Er hat dazu verschiedenste Insekten und Reptilien fotografiert und dokumentiert. „Unter anderem habe ich Raubwürger, Glattnattern und Zauneidechsen entdeckt, die bei uns sehr selten sind und deshalb einen hohen Schutzfaktor brauchen.“
Die „Raine“: Der ideale Lebensraum für Vögel, Insekten und Reptilien
Am sonnigen Hang, so berichtet der 47-jährige Vorderfreundorfer, würden sich diese Lebewesen besonders wohl fühlen. Zudem seien die Wiesen, die „Vorderfreundorf 2“ bilden, sehr kleinteilig. In der Folge gäbe es viele unberührte Bereiche („Rain“ genannt) zwischen den bestellten Feldern. Jene steinigen und von Büschen gesäumten Areale seien der ideale Lebensraum für Vögel, Insekten und Reptilien.
Würden dort nun Häuser gebaut werden, wäre dies das Todesurteil für Zauneidechse & Co., ist Binder überzeugt. Zumal eine Umsiedlung so gut wie unmöglich und – falls doch – sehr kostenintensiv wäre. „Und wieder einmal zieht die Natur gegen den Menschen den Kürzeren. Es ist immer von Diversität und Tierschutz die Rede. Aber oft bleiben es nur leere Worte.“
„Ausverkauf der Heimat“
„Über Kontakte“ – man kennt sich eben auf dem Dorf – sei Thomas Mandl auf Andreas Binder und dessen haltung aufmerksam geworden. Man tat sich als lose Interessengemeinschaft zusammen. Denn auch dem „Schober“, wie der Schreinermeister im Graineter Kessel und darüber hinaus genannt wird, liegt seine unmittelbare Umgebung sehr am Herzen. Der langjährige Chef der Säumer am Haidel wirft ähnlich „grüne Argumente“ wie sein Mitstreiter in den Ring.
Der 56-Jährige ist sich zudem sicher: „Dieses Baugebiet ist der Ausverkauf unserer Heimat. Um die nötige Infrastruktur kümmert sich ein Investor. Dieser will logischerweise Geld verdienen, weshalb die Parzellen wohl sehr teuer werden. Und das kann sich dann kein Einheimischer mehr leisten – nur noch geldige Auswärtige.“ Thomas Mandl befürchtet deshalb, dass eine „Rollladen-Siedlung“ entsteht. Also eine Ansammlung von Ferien- und Wochenendhäusern, die eine Art Satellit im Dorf Vorderfreundorf bildet – zumal das neue Baugebiet keine direkte Anbindung an die bestehende Ortschaft hat, sondern etwas außerhalb liegt.
„Wenn nötig nehmen wir eine Petition in Angriff“
Laut Graineter Gemeindeblatt (Februar-Ausgabe) hat der Gemeinderat am 23. März 2022 beschlossen, den Bebauungsplan „WA Vorderfreundorf“ aufzustellen. „Der vom Architekturbüro Pichlmeier, Schönberg, erstellte Planentwurf einschließlich
Begründung und Umweltbericht wurde vom Gemeinderat in der Sitzung 23.11.2022 gebilligt.“ Die Unterlagen können von 9. Februar bis 10. März im Rathaus eingesehen werden. Zudem ist am 2. März (16 Uhr, im Rathaus) eine öffentliche Versammlung zu diesem Thema geplant. Thomas Mandl und Andreas Binder kennen all diese Fristen und Termine. „Wir haben bereits Widerspruch eingelegt. Und wenn nötig nehmen wir eine Petition in Angriff.“
Argumentativ wissen die beiden den in Hohenau lebenden Biologen Karel Kleijn auf ihrer Seite. Der 69-Jährige hat die Kartierung von Andreas Binder begleitet.“Vorderfreundorf 2 ist seit Jahrzehnten als wichtiges Gebiet für Vögel bekannt – sowohl im Winter als auch im Sommer. Das Areal ist sehr stark strukturiert, weshalb nicht alle Flächen bewirtschaftet werden können. Ein Riesenvorteil für die Tiere. Insekten finden dort Nektar. Raupen werden nicht weggemäht, weshalb es ein wahres Paradies für Schmetterlinge darstellt.“
Genaue Zahlen, was die Populationen betrifft, kann Kleijn nicht liefern. Das liege daran, dass viele Insekten und Reptilien nur in einem gewissen, sehr kleinen Zeitfenster sichtbar seien. Auch das Wetter spiele dabei eine gewisse Rolle. Aufgrund der begrenzten Mittel für derlei Kartierungen würden sie überwiegend von Freiwilligen vorgenommen werden. „Im Falle dieser Fläche war ich aber regelmäßig dabei“, betont Kleijn.
Bürgermeister Jürgen Schano hält dagegen
Er ist überzeugt: „Ein Baugebiet würde den Tod vieler dieser schützenswerter Tiere bedeuten. Einen neuen Platz für sie zu finden, ist schwierig. Einerseits ist die Verdichtung dort sehr, sehr selten. Andererseits ist es nicht leicht, überhaupt noch solche Gebiete zu finden. Und so etwas künstlich zu schaffen, ist kurzfristig fast nicht möglich.“
Dem Graineter Bürgermeister Jürgen Schano ist, wie er gegenüber dem Hog’n deutlich macht, bekannt, dass sich allen voran in Person von Thomas Mandl Widerstand gegen das geplante Baugebiet in Vorderfreundorf gebildet hat. Deren Argumente, was den Tierschutz auf diesem Areal betrifft, sind ihm jedoch neu. „Mir ist diesbezüglich nichts bekannt. Die Fläche wird seit Jahren intensiv landwirtschaftlich bewirtschaftet und auch gedüngt – wie viele andere Flächen bei uns in der Region auch.“
Einen „Ausverkauf der Heimat“, weil sich Einheimische diese Parzellen nicht leisten könnten, befürchtet er ebenfalls nicht. „Zusammen mit meiner Frau und mit Hilfe unserer Verwandten und Freunde haben wir 1998 mit viel Eigenleistung ein eigenes Haus gebaut. Diejenigen, die das heute auch tun, können sich immer noch ein Eigenheim leisten“, ist das Gemeinde-Oberhaupt überzeugt.
Erinnerungen an das Baugebiet „Erlwies“ werden wach
Er betrachtet es als eine seiner Kernaufgaben, Flächen für den Bau von Einfamilienhäusern zu schaffen, wenn die Nachfrage – was in Grainet der Fall sei – vorhanden ist. Über eigene Areale verfüge die Gemeinde nicht, weshalb ein entsprechender Aufruf gestartet wurde – worauf sich die Grundstückseigentümer von „Vorderfreundorf 2“ meldeten. „Die nötigen Anschlüsse sind problemlos verfügbar und waren Grundlage für den Flächennutzungsplan. Die Kommune schafft Baurecht und ein einheimischer Erschließungsträger die Erschließung.“
Schano rechnet noch im Laufe dieses Jahres mit der Umsetzung und dem Baubeginn erster Häuser. „Der Flächennutzungsplan ist abgeschlossen und rechtskräftig. Aktuell werden die Fachstellen für den Bebauungsplan beteiligt.“
Gegenüber Thomas Mandl habe er bereits versucht, den Standpunkt der Gemeinde zu erläutern. „Von Herrn Binder ist mir bis dato nichts bekannt.“ Natürlich versucht Jürgen Schano, alle Bewohner der Kommune bei Entscheidungen mit ins Boot zu holen. Gleichwohl sei ihm bewusst, dass dies nicht möglich ist – bereits bei der Ausweisung des Baugebietes „Erlwies“ unter seinem Vorgänger hätte es ähnliche kritische Stimmen gegeben. „Wir dürfen aber nicht vergessen, dass der Gemeinderat sehr sorgfältig abwägen muss – und dass das Gemeinwohl und die Entwicklung einer Gemeinde eindeutig Vorrang vor Einzelinteressen haben müssen.“
Helmut Weigerstorfer