Grafenau/Zenting. Dass die Nationalsozialisten nach dem Ende der Weimarer Republik, in der es erstmals eine parlamentarische Demokratie in Deutschland gab, auch im Bayerischen Wald Fuß fassten und ihr Unwesen trieben, davon berichtete da Hog’n bereits im Rahmen der Serie „Nazi-Täter ausm Woid„. Mit der Frage, wie sich der Übergang zur NS-Diktatur speziell im Grafenauer Land vollzog, hat sich der Zentinger Landtagsabgeordnete und Historiker Toni Schuberl intensiv befasst:
Vor 90 Jahren endete die Weimarer Republik. Zwar saß die NSDAP Anfang des Jahres 1932 nur mit 18,3 Prozent Stimmanteil im Reichstag, doch ihre private Terrorarmee von SA und SS hatte bereits die Herrschaft über die Straßen errungen. Im April 1932 versuchte die Weimarer Republik noch einmal kurz, die nationalsozialistischen Gruppierungen zu bekämpfen – und verbot endlich SA und SS. In Folge dieses Verbots gab es auch in unserer Region Hausdurchsuchungen bei bekannten Nazis, deren Berichte sich in den Unterlagen des Staatsarchivs Landshut finden lassen.
Hausdurchsuchungen – in die eine, dann in die andere Richtung
Für die SA im Bereich Tittling, Witzmannsberg, Enzersdorf, Rappenhof, Preying, Saldenburg und Thurmansbang, dem SA-Sturm 25/III/16, wurde beim SA-Truppverwalter aus Saldenburg am 15.4.1932 eine Hausdurchsuchung durch die Gendarmerie Thurmansbang durchgeführt, die weder Waffen noch eine Mitgliederliste hervorbrachte. Der Sturm 25 soll damals jedoch bereits eine Stärke von 85 Mann erreicht haben.
Es gab auch bei einem Nazi in Biberbach sowie beim Ortsgruppenführer der NSDAP in Spiegelau und dem Scharführer der Grafenauer Ortsgruppe vom SA-Sturm 77/III/4 Hausdurchsuchungen. Doch dieses letzte zaghafte Aufbäumen hielt dem Druck konservativer und militaristischer Kräfte nicht lange stand. Bereits zwei Monate später wurde das Verbot aufgehoben und die Terroreinheiten der Nazis waren wieder erlaubt. Die Reichstagswahl im Juli 1932 verhalf der NSDAP zu einem Anstieg auf 37,4 Prozent. Am 30.1.1933 wurde Hitler von Reichspräsident Paul von Hindenburg zum Reichskanzler ernannt. Innerhalb weniger Monate wurden nun alle Reste der Demokratie beseitigt.
Doch noch einmal fand eine Reichstagswahl statt, die für den 5.3.1933 angesetzt war. Hitler, der zwar bereits die Regierungsgewalt erhalten hatte, fehlte noch eine Mehrheit im Reichstag. Vor dieser Wahl gab es noch einen Wahlkampf mit unterschiedlichen Wahlversammlungen, etwa in Thurmansbang. Es war die letzte Wahl, bei der noch mehrere Parteien zugelassen waren. Die Vernichtung der anderen Parteien ist jedoch bereits vorbereitet worden. Auch jetzt gab es wieder Hausdurchsuchungen, aber diesmal in die andere Richtung.
Der letzte Tag der Demokratie
Schon am 6.2.1933 wurde durch die Gendarmerie Thurmansbang das Haus des KPD-Ortsgruppenführers in Eggenreut durchsucht. Er ist verdächtigt worden, ein Maschinengewehr zu besitzen. Gefunden wurde stattdessen eine Mitgliederliste der KPD, die für die kommende Verfolgung nützlich war. Am 4.2.1933 war im Gasthaus Wagner in Thannberg eine Wahlversammlung der KPD mit ca. 50 Personen. Der Redner wurde bereits vom Gendarmen gewarnt, sich zurückzuhalten mit der Kritik an der aktuellen Regierung, sonst werde die Versammlung aufgelöst.
Bei Wahlversammlungen der Parteien in der Weimarer Republik durften auch sogenannte Diskussionsredner einer anderen Partei reden, um widersprechen zu können. Gegen die KPD traten zwei Nazis, der Lehrer von Thannberg und ein Mann aus Eging auf. Da Letzterer mit einem kommunistischen Bauern aus Schlinding zu streiten anfing, ließ der Gendarm das Lokal räumen. Am nächsten Tag, am 5.2., hatte die KPD erneut eine Versammlung, diesmal im Gasthaus Meier in Thurmansbang mit ebenfalls ca. 50 Anwesenden. Es ist erstaunlich, dass diese Versammlungen zu diesem Zeitpunkt noch soviel Zulauf erhielten.
Noch am 26.2.1933 gab es in Thurmansbang und Thannberg vier Wahlkampfveranstaltungen. Die KPD war in der Gastwirtschaft Meier, die NSDAP zur selben Zeit im Gasthaus Müller in Thurmansbang – und die SPD im Gasthaus Wagner in Thannberg. Nach der SPD gab es an diesem Tag noch eine weitere Veranstaltung der KPD in Thannberg. Es gab weder Zusammenstöße noch Zwischenfälle. Dies war der letzte Tag der Demokratie. Einen Tag später, in der Nacht vom 27. auf den 28.2. brannte der Reichstag und mit der Reichstagsbrandverordnung vom 28.2. wurden die Grundrechte außer Kraft gesetzt und die Jagd auf die Anhänger der anderen Parteien durch die Nazis begann. Am 8.3. gab es beispielsweise Hausdurchsuchungen bei Kommunisten im Bereich von Thurmansbang.
Einschüchterung, noch nicht Vernichtung
Die Wahl am 5.3.1933 brachte den Nazis deutschlandweit mit 43,9 Prozent zwar nicht die erhoffte absolute Mehrheit, aber in einer Koalition mit den Konservativen der „Kampffront Schwarz-Weiß-Rot“, geführt von der DNVP, eine Mehrheit. Im Bezirksamt Grafenau wählten 3.803 Personen die NSDAP, 2.078 die Bayerische Volkspartei, 1.565 den Bayerischen Bauern- und Mittelstandsbund, 1.407 die SPD, 899 die KPD und 170 die Kampffront Schwarz-Weiß-Rot. Durch die sofortige Annullierung der Mandate der KPD hatte die NSDAP sogar noch vor der ersten Sitzung des neuen Reichstags rechnerisch eine eigene absolute Mehrheit erlangt. Am 23.3.1933 entmachtete sich der Reichstag gegen die Stimmen der SPD selbst. Im Juli 1933 wurden alle Parteien außer der NSDAP verboten, so dass die Reichstagswahl im November 1933 nur noch eine Liste aufwies.
Zwischen dem 15.3. und dem 9.12.1933 wurden im Bezirksamt Grafenau 104 Personen in „Schutzhaft“ genommen und in ein Konzentrationslager gesperrt, darunter auch zwei Kommunisten aus Thurmansbang. Die Gefangenen dieser ersten Verhaftungswelle wurden nach einiger Zeit meist wieder entlassen. Die Inhaftierung in einem KZ diente zu diesem Zeitpunkt der Einschüchterung der politischen Gegner, um die weitere Zerschlagung der Demokratie zu ermöglichen, und noch nicht der Vernichtung. Als in den folgenden Monaten die Vermögen von SPD, KPD, dem Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold und anderen verbotenen Organisationen eingezogen werden sollten, waren im Bezirksamt Grafenau von diesen Verbänden keinerlei Überreste mehr vorhanden.
Toni Schuberl
Alle weiteren Informationen sowie Quellenangaben finden sich in der Zentinger Dorfchronik, die von Toni Schuberl und Rudolf Himpsl verfasst wurde (ab Seite 284).