Fürstenhut. „Šumava uzdravuje“ steht in großen Lettern – geformt aus dicken Seilstücken – an der Stirnseite der kleinen Hütte gegenüber der Gastwirtschaft und Pension „Hájenka“ (zu deutsch: Hegerhaus) in Knížecí pláně (zu deutsch: Fürstenhut) geschrieben. Eine Botschaft, die wohl bereits vielen Wanderern und Radfahrern aufgefallen sein dürfte. Eine Botschaft, die übersetzt werden kann mit den Worten: Der Böhmerwald heilt. Oder auf Waidlerisch: Da Woid mocht Di xund!
All diejenigen, die bereits häufiger in der Natur dieses wunderbaren wie überaus geschichtsträchtigen Landstrichs unterwegs gewesen sind, können wohl die heilsame Wirkung des Böhmerwalds auf die ein oder andere Weise bestätigen. Gemächlich dahin mäandernde Bachläufe, weitläufige Lichtungen, beeindruckende Pflanzenformationen, mannshohe, vom Windwurf freigelegte Baumteller – eine Natur, die fast nirgends ursprünglicher, wilder und unberührter vorzufinden ist. Ein Ort, an dem der Mensch zu sich und den eigenen Wurzeln finden, an dem er das Wesentliche erkennen kann.
Fürstenhuts Gründung und Niedergang
Wer von Fürstenhut aus auf den gut ausgeschilderten Wegen Richtung Westen wandert, trifft nach kurzer Zeit auf einen Friedhof, der nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Vertreibung der ehemals deutschen Bevölkerung durch die tschechoslowakische Armee dem Erdboden gleich gemacht wurde. Die gusseisernen Kreuze hatte man gewaltsam entfernt. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs schickten sich die Hinterbliebenen der dort beerdigten Menschen an, den Friedhof zu restaurieren und die teils schwer beschädigten Grabsteine (mehr als 100 Stück) wieder auszugraben und aufzurichten. Bei vielen waren die Inschriften nicht mehr zu lesen. Heute wird der Gottesacker regelmäßig gemeinsam von Deutschen und Tschechen gepflegt und in Schuss gehalten. Seine Würde wurde ihm wieder zurückgegeben.
Das ehemalige Forsthaus und heutige Gasthaus von Fürstenhut, das sich im Kerngebiet des Šumava-Nationalparks befindet, wurde im Jahr 1792 im Namen von Fürst Schwarzenberg erbaut. Er gestattete in der Folge 48 Holzhauer-Familien aus den Herrschaften Zdikau, Winterberg, Stubenbach, dem Gerichtshof Stachau sowie aus dem Bistum Passau sich dort anzusiedeln. Sie mussten die zugewiesenen Waldflächen auf eigene Kosten roden. Im Ort befanden sich ein Sägewerk, eine Mühle und drei Gasthäuser. Eine hölzerne Kirche wurde 1864 durch eine gemauerte ersetzt. In den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts begann dann der endgültige Niedergang der Gemeinde: Auch die dortige Kirche wurde zerstört. Ein Kreuz mit der Inschrift „Hier stand die Kirche der Pfarrgemeinde Fürstenhut“ erinnert an das einstige Bauwerk.
„Into the Wild – mit dem Böhmerwald verschmelzen
Wenn man auf dem ebenfalls markierten Weg weiter Richtung Süden geht, passiert man teils moorähnliche Wald- und Wiesenlandschaften, Marterl auf Steinsockeln sowie eigens angelegte Holzbohlenpfade. Ein wahrer Genuss – auch bei Regen- oder Tauwetter. Auffällig ist, dass bis auf das unregelmäßige Zwitschern der Vögel, das Plätschern kleinerer Rinnsale und das Rauschen des Böhmwinds in den Blättern der Bäume so gut wie nichts zu hören ist. Stille, absolute Stille. Und das Gefühl, sich wie Christopher McCandless alias „Alexander Supertramp“ im Film „Into the Wild“ in den Weiten des Böhmerwaldes zu verlieren und völlig und ganz mit der dortigen Flora zu verschmelzen.
Irgendwann trifft man schließlich auf den Rothbach (auf tschechisch: Červený potok), der sich entlang der bayerisch-tschechischen Grenze dahinschlängelt. Die Ortschaft Finsterau mit der in unmittelbarer Nähe gelegenen Hammerklause befindet sich nur noch einen Steinwurf weit entfernt. Genauso wie die ebenfalls nach Kriegsende zerstörte Siedlung Scheuereck, von der heute nichts mehr zu sehen ist bis auf ein paar erhaltene Steinmauern und Flurbegrenzungen.
Die Tatsache, dass in dem Gebiet, das zwischen 1945 und 1990 als „Todesstreifen“ (heute: „Grünes Band“) bezeichnet wurde, früher einmal Menschen lebten und ihrem Alltag nachgingen, ist heute nur noch schwer nach zu empfinden. Die Natur hat sich den Lebensraum an der Grenze zurückerobert. Und sie macht sich gewiss keine Gedanken darüber, welch schicksalhafte Begebenheiten – von der einen wie von der anderen Seite ausgehend – sich hier einstmals zugetragen haben. Die Natur hat nur eines im Sinn: zu heilen. Auch und vor allem die Bewohner dies- und jenseits der Grenzlinie, die ohnehin nur noch in so manchen Köpfen Bestand hat…
Stephan Hörhammer