Pfarrkirchen. Vor zehn Jahren haben sich im Landkreis Rottal-Inn einige Kulturschaffende sowie kulturell Neugierige zusammen gefunden, um einen Raum für Kunst und Kreativität zu schaffen. Dabei entstanden ist der „Glasbau“ im Zentrum der Kreisstadt Pfarrkirchen: ein Begegnungsort für eine Vielfalt von kulturellen und künstlerischen Aktivitäten.
Die Fassade des Gebäudes in der Ringstraße mit den großflächigen Fensterscheiben hat dem Kulturort seinen Namen gegeben. Im Untergeschoss ist ein kleines Café untergebracht, in dem neben dem Samstagsimbiss, dem Sonntagscafé und der „Funky Kitchen“ auch gerne mal ein „Kulturfrühstück“ stattfindet. Doch das Herz des Glasbaus sind seine Menschen und Vereinsmitglieder, die zahlreiche Ausstellungen, Kinoabende, Workshops, Konzerte und viele weitere Veranstaltungen organisieren.
„Müssen etwas machen, um dieses Gebäude zu erhalten“
Für die Reihe „Kultur auf dem Lande“ hat sich Hog’n-Autorin Gabriela Haslböck mit drei Gründungsmitgliedern des Glasbau-Vereins getroffen: Susanne Theuerkorn, Franziska Lankes und André Hasberg. Ebenso mit dabei: Stephan Jäger von der Pfarrkirchener „Spielwiese„, einer Gruppe junger und junggebliebener Leute aus der Region, die sich für eine lebendige Stadt auf dem Land einsetzt – und die vor gut einem Jahr in den Glasbau mit eingegliedert wurde.
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Den Glasbau gibt es jetzt seit zehn Jahren. Wie habt ihr damals zueinander gefunden? Und was war die Intention dahinter?
Susanne: Wir haben uns bereits von vorherigen Projekten gekannt und waren alle miteinander befreundet.
Franziska: Die Initiative, einen Kulturverein zu gründen, entstand, weil wir wussten, dass diese Räumlichkeiten frei werden. Die Vormieter hatten hier ein Atelier untergebracht und uns war klar, dass wir hier etwas machen müssen, um dieses Gebäude zu erhalten. Es gab mehrere Parteien, die sich dafür interessiert haben.
Susanne: Ich habe damals gesagt: Wenn niemand mitmacht, mach‘ ich es eben alleine. Es stand zur Debatte, dass das Gebäude ein Malerbetrieb übernimmt und dann als Lager für Leitern und Farbkübel dient. Was für ein schrecklicher Gedanke!
Franziska: Wir haben uns dann ziemlich schnell getroffen. Und auch Leute gefunden, die interessiert daran waren, einen Kulturverein zu gründen.
Glasbau – das Haus mit der großen Transparenz
“Das Gebäude mit der großen Transparenz” – so nennt ihr euer kulturelles Zuhause hier. Man kann aufgrund der großen Glasfenster ja tatsächlich auch die Kunst von außen betrachten. War euch von vornherein klar, dass ihr es „Glasbau“ nennen wollt?
Susanne: Das Gebäude hat eine Schaufensterwirkung. Es waren mehrere Sitzungen nötig, einen Namen zu finden. Es gab eine Liste mit Vorschlägen: Glaskiste, Glashaus…
Franziska: Glasbau war der beste Name.
André: Mir hat er auch gleich ganz gut gefallen, weil er sowas “ostiges” hat. So ein bisschen vom Sozialismus übernommen. Ich dachte mir, das passt für den Laden hier recht gut. Auch die Transparenz ist impliziert. Man hätte es natürlich auch Glaspalast nennen können…
Susanne und Franziska: (unisono) Ja, das stand auch zur Debatte!
Susanne: Da passt Glasbau schon besser. Wir sind ja auch ein Non-Profit-Verein. Wir wollen gerade soviel erwirtschaften, dass wir uns über Wasser halten können.
Seht ihr euch selbst als Vermittler zwischen Kulturschaffenden und Bevölkerung?
Franziska: Ich auf jeden Fall. Das ist mein Hauptanliegen, auch als Künstlerin. Ich mag gerne fremde Sachen. Ich mag sie verstehen und mich damit befassen. Und ich will, dass sich die Leute viele Dinge anschauen, um darüber nachzudenken: Was ist das? Was hat das mit der Welt zu tun? Was hat das mit mir zu tun?
Susanne: Mir geht es da genauso. Der Bevölkerung die Angst vor der Kunst zu nehmen, sie damit zu konfrontieren, sie zum Denken anzuregen – das ist mir persönlich wichtig.
Wenn wir die Kultur nicht selber machen, tut es keiner!
Wie ist eure persönliche Einschätzung zum Thema Kultur auf dem Land? Wie ist das Angebot hier generell? Und wie wird es angenommen?
André: Als ich selbst vor etlichen Jahren aus der Stadt aufs Land kam, hatte ich das Gefühl: Wenn man hier Kultur haben will, dann muss man sie selber machen. Denn es ist nicht so, dass das alles schon da ist.
Stephan: Mir geht es da ganz ähnlich. Als ich damals wegen meines Studiums in Wien wohnte, gab es dort ein großes kulturelles Angebot. Außerdem lebte ich in einer Hausgemeinschaft. Dort war immer etwas geboten. Bevor ich wieder ins Rottal zurückkehrte, war mir klar, dass ich hier selbst etwas initiieren muss.
Franziska: Es gibt in der Region so einige gute Plätze. Ich habe allerdings das Gefühl, dass das Angebot nicht sonderlich gut angenommen wird.
André: Ja, es ist schon eine gewisse Szene vorhanden, die zu uns kommt. Oft Leute, die ebenfalls aus dem städtischen Raum zugezogen sind. Das jüngere Publikum sucht sich meist andere Plätze, wie z. B. das frühere Bogaloo.
Susanne: Ich wünsche mir, dass mehr ’normale‘ Leute in den Glasbau kommen und ihre Hemmschwelle abbauen. Ich rede ja öfters mit den Einheimischen – und dabei kommt meistens zutage, dass sie einen Mordsrespekt vor allem haben, was nach Kunst riecht. Die Leute sehen sich aufgefordert zur Kunst Stellung zu beziehen – und fühlen sich damit völlig überfordert. Sie weichen lieber aus und kommen gar nicht rein. Ich finde das sehr bedauerlich.
Franziska: Ich habe das Gefühl, dass hier mittlerweile ein Wandel stattfindet – zumindest bei den Ausstellungen.
Susanne: Auch dadurch, dass die Spielwiese jetzt bei uns aktiv ist, tut sich etwas. Das ist ein Verbindungsglied zur nächsten Generation.
Apropos: Wo sind denn die gemeinsamen Schnittstellen zwischen „Spielwiese“ und „Glasbau“?
Stephan: Eine Gemeinsamkeit ist gewiss der Versuch andere Menschen zu motivieren, neue Sichtweisen einzunehmen, Begegnung und Austausch zu schaffen. Dadurch entstand auch der Kontakt mit dem Glasbau. Es gab dann einige Aktionen in den Räumlichkeiten hier, wie etwa einen Kleidertausch-Basar, einen Kino-Abend, ein Tischtennis-Turnier im Innenhof, Fridays-for-Future-Treffen und so einige Café-Nachmittage. Dadurch sind beide Gruppen nach und nach zusammengewachsen – und tun dies immer noch.
Susanne: Richtig. Eine weitere Gemeinsamkeit ist bestimmt auch der bereits erwähnte Non-Profit-Gedanke.
„Spielwiese zu verschenken“
Stephan: Du hattest ja vor ein paar Jahren die Idee zur „Spielwiese“. Wie bist du darauf gekommen?
Stephan: Das war nicht ganz uneigennützig. Ich hatte damals bereits mit zwei Freunden ein kleines Musikkollektiv gegründet, mit dem wir Veranstaltungen gemacht haben – sowohl in Pfarrkirchen, als auch in Wien. Wir wollten das dann etwas größer werden lassen, derzeit ging es noch ausschließlich um die Musik. Es gab viele Ideen, aber es ist – leider – nichts passiert.
Dann habe ich für ein paar Wochen einen Freund in Australien besucht. Ich musste feststellen, dass es dort so gut wie keinerlei kulturelle Angebote gibt. Das hat mir etwas die Augen geöffnet. Ich habe gelernt wertzuschätzen, was bei uns in Europa kulturell so alles geboten ist – und dass dies nicht selbstverständlich ist. Ich wusste: Wenn ich wieder zurück bin, muss etwas passieren.
Wir haben dann überlegt, wie wir das Ganze aufziehen wollen. Der Grundgedanke war, außerhalb des Freundeskreises Leute zu finden, die Lust darauf haben etwas zu gestalten. Wir wollten Menschen ansprechen, die wir nicht kennen, und ihnen klar machen, dass es etwas Neues zu machen gibt, ohne dabei sogleich den Fokus zu definieren. Wir haben dazu eine Online-Ausschreibung erstellt mit dem Titel: ‚Spielwiese zu verschenken.‘
Daraufhin sind so einige Leute eingetrudelt – und innerhalb kürzester Zeit war der Glasbau voll. Wir haben zunächst versucht zu erklären, was wir machen wollen – und auch hier wieder den Fokus offen gelassen. Jeder konnte seine Ideen einbringen. Dazu haben wir Übungen eingebaut, die helfen, sich über solche Themen auszutauschen. Das Treffen ging über Stunden. Es haben sich dann so ein paar Ideen herauskristallisiert – und wir haben uns wieder getroffen.
Jeder bringt sich mit seinen Ideen ein – offene Struktur
Das klingt in der Tat nach einer sehr offenen Struktur. Funktioniert das denn in so einer Gruppe?
Stephan: Wir haben in der Spielwiese immer versucht, es offen zu lassen, ob und wie sich jemand einbringen möchte. Wenn es eine Idee gibt, kann der Initiator versuchen, genügend Gleichinteressierte zu finden, die an dem Projekt mitarbeiten. Es sind nie alle Mitglieder an jeder Aktion gleichzeitig beteiligt. Jeder sucht sich das raus, was ihn interessiert. Es gibt viele Ideen – ein kleiner Teil davon wird dann auch wirklich umgesetzt. Meist ist die Motivation und Begeisterung von ein, zwei Leuten ausschlaggebend, dass etwas angepackt wird. Oft finden sich dann aber doch noch weitere Akteure, die einsteigen wollen.
Susanne: Bei uns läuft es mit der Organisation ähnlich. Jemand hat eine Idee – und wenn der Drive ausreicht, zieht man mehrere mit.
Stephan: Manchmal hat diese fehlende Verbindlichkeit aber auch ihre Nachteile. Es kann ein gewisser Leerlauf entstehen. Vor allem dann, wenn gerade niemand motiviert ist, etwas umzusetzen. Nach dem Lockdown sah es so aus, als hätte sich das ganze Projekt verlaufen. Es ist über längere Zeit gar nichts passiert und wir dachten schon, wir müssten die Spielwiese beerdigen. Mit gewissen Verbindlichkeiten passiert so etwas womöglich nicht so schnell.
Man muss dazu sagen, dass es nicht daran liegt, dass wir generell keine Lust auf Verbindlichkeit haben, sondern an den Umständen, die die jeweilige Lebenssituation oder auch die Altersstruktur der Mitglieder mit sich bringt. Viele sind etwa durch Beruf, Familie und Kinder zeitlich gebunden. Es gibt auch immer mal wieder einen Wechsel bei den Mitgliedern, etwa wenn Leute neu in die Stadt kommen. Diese können bei uns sehr schnell anknüpfen, sind aber vielleicht auch schnell wieder weg.
Wir machen uns die Stadt zu eigen
Was reizt euch an der Arbeit im Kulturverein – und wo nehmt ihr eure Motivation her?
André: Man bringt sich, wenn man eine Idee umsetzt, für die Öffentlichkeit ein und übernimmt die Verantwortung für dieses Projekt. Man kann aus seiner Privatheit heraus kommen und leistet seinen Beitrag für die Allgemeinheit. Es gibt einem die Möglichkeit, etwas zu bewegen und zu bewerkstelligen. Das gefällt mir am Glasbau gut. Diese gewisse Präsenz, die man hat.
Susanne: Wir machen uns die Stadt zu eigen (lacht). Das sieht man zum Beispiel, wenn man durch die Ringallee geht. Die Skulpturen, die dort stehen, waren ein Projekt unserer Kinder-Werkstatt. Diese sind dann zum Teil dauerhaft stehen geblieben. Wir haben schon öfters die Rückmeldung bekommen, dass der Glasbau das Stadtbild mitprägt.
Franziska: Ich mache seit zehn Jahren zweimal im Monat Aktzeichnen – und das nur, weil es mir Spaß macht. Das läuft auch gut. Außerdem liegt meine Motivation darin, Ausstellungen mit Leuten zu machen, die mich interessieren.
André: Wenn es gut geht, hält es sich die Waage zwischen dem, was man hineingibt und dem, was man zurückbekommt. Man kann dann nicht von Arbeit sprechen, weil Geben und Nehmen auf einer Ebene stattfindet. Ich würde nicht sagen, dass ich mich bisher hier überarbeitet hätte… (lacht)
Susanne: Eine wichtige Motivation ist für mich das Gefühl, das durch gemeinsame Aktionen entsteht. Das beflügelt meinen Alltag enorm. Aktionen wie die Museumsnacht verbinden uns – und dann schwebt man eine Zeit lang über den Boden. Das ist ein wichtiger Teil meines Lebens. Die Beteiligung der Bevölkerung interessiert mich ebenso. Da kommt die Lehrerin in mir durch. Das reizt mich auch am Café. Gemeinsam essen, zusammen kommen und sich austauschen. Auch, wenn ich manchmal das Gefühl habe, es wächst mir ein bisschen über den Kopf – wenn es darauf ankommt, sind dann ganz viele Leute da, die mithelfen. Das ist ein schönes Gefühl.
Stephan: Bei mir ist das ähnlich. Man steckt zuerst Energie rein und bekommt dann einiges wieder zurück. Bei der Spielwiese ist mir wichtig, dass die Leute sich dann einbringen können, wenn sie wirklich Lust auf eine Aktion haben. Unser Angebot ist divers und offen. Das macht den Unterschied zu anderen Vereinen, bei denen es ein bestimmtes Thema gibt, aus.
Verschiedene Generationen wachsen zusammen
Wo seht ihr Herausforderungen und Chancen für die Zukunft?
André: Wir sind altersmäßig eine Veranstaltung jenseits der 60 Jahre – und irgendwann wird es aufgrund dessen auch aufhören. Perspektivisch gesehen wäre es schön, wenn junge Leute wie die von der Spielwiese zu uns kommen und das ein Stück weit mit übernehmen.
Stephan: Auf einen Impuls des Glasbaus hin haben sich unsere beiden Gruppen mittlerweile genähert – und man fühlt man sich schon etwas mehr verbunden. Für uns ist das gut, weil wir so Stück für Stück hineinwachsen können. Die Glasbau-Mitglieder wollen ja auch nicht, dass sie die Aufgaben von heute auf morgen übergeben. Das Schöne ist, dass wir hier die Möglichkeit haben miteinander zu wachsen. Die Herausforderung für die Spielwiese wird sein, dass wir Stück für Stück gewisse Verbindlichkeiten übernehmen, wenn wir den Glasbau weiterführen wollen. Da sehe ich eine große Herausforderung.
Susanne: Im Gegenzug bedeutet dies für uns nach und nach gewisse Aufgaben abzugeben. Das fängt schon bei Kleinigkeiten an – und ich merke, dass ich an bestimmten Dingen festhalte und mir Veränderung schwerfällt. Da gehört für mich auch ein gewisser Prozess der Selbsterziehung dazu. Zu Beginn der Vereinsgründung hatte ich immer das Gefühl, dass alles genau so laufen muss, wie ich mir das vorstelle. Der André meinte dazu mal: Die wird sich nie ändern. Ich bilde mir ein, ich habe mich schon geändert. Das finde ich interessant, dass man im hohen Alter noch Gruppenerfahrungen machen und etwas dazulernen kann.
Franziska: Ich glaube, dass mir das mit dem Abgeben nicht schwer fallen wird.
Susanne: Du wirst sehen!!! (lacht)
Wieder mehr Diskurs erwünscht
Franziska: Ich merke jedenfalls, dass ich nicht mehr so streng bin, wie ich mal war. Wenn ich das Gefühl habe, dass ich etwas machen möchte, dann kann ich das machen. Ansonsten muss ich nicht. Was ich mir für die Zukunft noch wünschen würde, wäre wieder mehr Auseinandersetzung und Diskurs. Früher haben wir mit den Künstlern eine Fragerunde gemacht bzw. bei Lesungen auch mal Diskussionen losgetreten. Das machen wir kaum noch. Ich finde, dass es gerade in der heutigen Zeit sehr wichtig ist, immer wieder in den Austausch zu gehen.
Zum Abschluss würde mich noch interessieren, welche Aktionen für die nächste Zeit geplant sind?
Susanne: Aktuell findet eine Solidaritätsbekundung für die Frauen im Iran statt. Dabei arbeiten wir mit einer Studentin vom European Campus zusammen. Außerdem wollen wir im nächsten Jahr unseren elften Geburtstag groß feiern – und natürlich gibt es weiterhin unsere Ausstellungen in der Galerie mit wechselnden Künstlern zu bewundern.
Interview: Gabriela Haslböck