„Sie ist sehr flexibel und verständnisvoll gegenüber uns Müttern, aber auch hinsichtlich anderen Kollegen und Kolleginnen. Ramona Rodler ist unsere Chefin in der Kreuzberger Lebensbrücke gGmbH und des Kooperationspartners der Blindenwerkstatt Bayerwald e. K. in Hinterschmiding. Die Kreuzberger Lebensbrücke gGmbH ist zwar ein Integrationsunternehmen, aber dennoch ermöglicht uns Ramona Rodler viel mehr.“
Am Reiterberg steht der Mensch im Mittelpunkt – und das nicht nur wegen guter PR
Es ist ja, ehrlich gesagt, keine Seltenheit, dass die Hog’n-Redaktion immer wieder mal Leser-Mails mit Themenvorschlägen wie dem eingangs erwähnten erreicht. Manche dieser Ideen sind – aus Gründen – nichts für uns, andere hingegen greifen wir gerne auf. Diese Ramona Rodler in Kombination mit der Kreuzberger Lebensbrücke und der Blindenwerkstatt Bayerwald haben wir sogleich interessant gefunden. Wer ist diese Frau, die von ihrer Mitarbeiterin Marina Ascher in den höchsten Tönen gelobt wird? Und was genau machen die beiden genannten Unternehmen?
Eine Chance für behinderte und schwervermittelbare Menschen
Ortstermin am Reiterberg, einen auf einer Anhöhe in Richtung Herzogsreut befindlichen Ortsteil der Gemeinde Hinterschmiding. In dem etwas abgelegenen Gebäude, in dem die weitum bekannte Firma von Military-Großhändler Max Fuchs lange Zeit beheimatet war, herrscht reges Alltagstreiben. Im Erdgeschoss, dem Lager, wird verpackt, kommissioniert und versandt. Einen Stock darüber, im Büro, wird telefoniert, getippt und konferiert. Alles in allem: Ein normaler Arbeitstag, wie ihn viele von uns bestens kennen.
Erst auf den zweiten Blick wird deutlich, dass es im Betrieb von Ramona Rodler etwas „anders“ zugeht. Was genau man darunter verstehen darf, erklärt die 28-Jährige selbst: „Die Lebensbrücke kümmert sich um die Integration von behinderten und schwervermittelbaren Menschen in den Arbeitsmarkt. Die Blindenwerkstatt beschäftigt Menschen mit Sehbehinderung.“ Das junge Mädchen beispielsweise, das in einem Waisenhaus aufgewachsen und deshalb aus Sicht vieler stigmatisiert ist, kann am Reiterberg eine Ausbildung absolvieren. Genauso ein vorbestrafter Bursche oder ein älterer Herr, der auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr gefragt ist. Es geht dabei nicht nur um berufliche, sondern oft auch um eine erzieherische (Re-)Sozialisierung.
Ramona Rodler: „Mir ist es ein Anliegen, zurück zu geben“
Gegründet wurden die beiden Firmen von Hans Dieter Kiessling, den Ramona Rodler als „Seele von Mensch“ beschreibt. Die 28-Jährige selbst durchlebte eine Kindheit, die weit außerhalb der Norm rangiert. Menschen wie eben jener Kiessling, bei dem sie ihre Ausbildung machte, sorgten dafür, dass sie trotz aller Hindernisse den richtigen Weg einschlagen konnte. Als der Firmengründer starb, übernahm sie dessen Betriebe, die sie seit 2019 in seinem Sinne weiterführt. „Mir ist es ein Anliegen, zurück zu geben. Mir wurde hier sehr geholfen – und nun helfe ich gerne.“
Natürlich behält die Inhaberin der Lebensbrücke und der Blindenwerkstatt als Geschäftsführerin auch das betriebswirtschaftliche Ergebnis stets im Blick. Wäre das nicht so, hätte das Ganze wenig Zukunft. Und irgendwie ist es genau diese Normalität, die sich viele ihrer Angestellten wünschen. Die Kaufleute für Büro- und Dialogmanagement, die Fachkräfte für Lagerlogistik sowie die Fachlageristen, die in der Gemeinde Hinterschmiding gelernt haben und nun arbeiten, müssen – oder in ihrem Fall: dürfen – sein wie „normale“ Arbeitnehmer. Wobei das nicht ganz richtig ist.
Produkte sind etwa teurer, was aber „gerne akzeptiert wird“
Denn: Einerseits ist die Lebensbrücke eine gemeinnützige GmbH. Das heißt, dass Spendengelder angenommen werden können. Zudem werden die Produkte – es wird allen voran mit Hygiene- und Büroartikeln gehandelt – etwas teurer als üblich zum Kauf angeboten. „Viele unserer Kunden sehen einen Einkauf bei uns auch als Unterstützung unserer Arbeit. Dass es hier etwas mehr kostet, wird gerne akzeptiert.“ Die höhere Gewinnmarge sorgt dafür, dass weniger Druck herrscht im Betrieb. Dies wiederum führt dazu, dass mehr Zeit für die Mitarbeiter bleibt. Denn Ramona Rodler ist nicht nur Chefin, sondern oft auch Erzieherin, Mama oder „Kummerkasten“.
„Es ist doch schön, wenn es nicht nur immer um Gewinn-Optimierung geht. Geld ist nicht alles“, beschreibt die 28-Jährige die Vorzüge ihres Jobs. Doch auch die – wenn man so will – „Schattenseiten“, die die oft sehr nahegehenden und harten Schicksale der beschäftigten Menschen mit sich bringen, nimmt sie gerne mit. „Ich habe auch eine Chance bekommen“, betont sie an dieser Stelle noch einmal. „Es würde unserer Gesellschaft guttun, wenn wir mehr aufeinander achten.“ Probleme, das weiß nicht nur sie, hat jeder. Mal sind es kleine, mal sind es große. Auf mehreren Schultern verteilt, sind sie aber leichter zu (er-)tragen.
Helmut Weigerstorfer