Spiegelau. Flaggen von Kuba, Deutschland, Russland, Großbritannien und vielen weiteren Ländern an den Wänden. Dazu Trikots zahlreicher internationaler Fußball-Clubs, eine Reihe von Käppis, eine Ecke mit Brett- und Gesellschaftsspielen, ein Regal mit Büchern, ein Holzofen, der für wohlige Wärme sorgt. Sogar zwei Fahrräder, die von der Decke hängen. Sombrero-Hüte, jede Menge Bilder, Schilder und Poster, dazu Grün-Pflanzen in sämtlichen Varianten. Der Eindruck, sich in einem Gastraum aufzuhalten, würde sich ohne die ebenso vorhandenen Tische, Stühle und die kleine Theke mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit nicht einstellen. Es ist das Reich von Christopher Taylor.
Er hat sich mit seinem Projekt „Kaffeehousekultur“ einen Traum verwirklicht – und mit all den Gegenständen, die sich in dem großen Raum im Obergeschoss des Vereinsheims befinden, in dem der TSV Spiegelau beheimatet ist, seine ganz persönliche Note miteingebracht. Vor etwas mehr als einem Jahr öffneten sich die Pforten des, wie er es nennt, „familienfreundlichen Cafés mit Bar, gutem Essen, Musik, Getränken und Cocktails“ im Trosselweg am Rande des Bayerwaldorts, in unmittelbarer Nähe zum Waldspielplatz.
„Es muss grün sein“
Die Lage ist freilich nicht ganz optimal, das weiß auch der gebürtige Engländer, der mit seiner Frau Victoria und den beiden Kindern seit sieben Jahren in Spiegelau lebt. Dabei ist die Tatsache, dass die Glasmachergemeinde um eine außergewöhnliche gastronomische Einrichtung bereichert wurde, einer Verkettung mehrerer Zufälle zu verdanken. Der erste und wohl alles entscheidende geht zurück auf das Jahr 2015. Aber von vorne…
Das junge Paar aus der 65.000-Einwohner-Stadt Durham in Nord-England hatte gerade seine Jobs verloren – und wollte sich neu orientieren. Auch der Schritt ins Ausland war nicht ausgeschlossen. „Dann kam dieser Abend im Pub“, erinnert sich der 36-Jährige. „Wir hatten einige Bier getrunken und uns Gedanken gemacht, was wir nun als nächstes machen könnten – und wo wir künftig leben wollen.“ Beide verbrachten bereits mehrere Urlaube in Bayern, wo sie sich sehr wohl fühlten. Also nahmen er und Victoria eine Karte des Freistaats zur Hand – und tippten mit dem Finger darauf. „Unsere einzige Bedingung war: Es muss grün sein.“ Und sehr viel Grün war nunmal in der Region Bayerischer Wald eingezeichnet. Der Finger landete zufällig auf Spiegelau. „Und die Sache war geritzt.“
Vier Monate später hatten die Taylors ihr Haus verkauft, all ihr Hab und Gut in Kartons und Container verstaut – und die Reise in die neue Heimat angetreten. Als „ein bisschen peinlich“ betrachtet Christopher die Aktion im Rückblick, wobei er wohl eher „positiv verrückt“ meint – und fügt in ruhiger und gelassener Stimmlage hinzu: „Die Entscheidung war top. Wir haben genau das bekommen, was wir uns vor unserem Aufbruch erhofft hatten.“ Von Reue keine Spur. Ganz im Gegenteil.
Der Corona-Zufall
Neue Arbeitsplätze fanden die beiden schnell. Als gelernter Bankkaufmann und Investment-Manager landete er nach wenigen Monaten beim Regener Kunststoffhersteller „Schock“. Victoria fing beim Tiernahrungshändler „Fleischeslust“ in Spiegelau an. Als englische Muttersprachler konnten sie gut im Export-Bereich Fuß fassen. Beruflich betrachtet ein großer Vorteil – was das Erlangen von Deutschkenntnissen anbelangt, jedoch eher ein Nachteil. „Wir haben die Sprache hier erst in den letzten beiden Jahren besser gelernt, denn zuvor war das eigentlich nicht nötig“, erzählt Christopher, der für das Bayerwald-Unternehmen in der ganzen Welt – von Asien über den Nahen Osten bis Neuseeland – unterwegs war. „Seit das Café geöffnet hat, spreche ich jeden Tag Deutsch“, sagt er, wobei sein Akzent noch hörbar vorhanden ist.
Die Idee mit dem Café, die ihm zufolge immer schon im Hinterkopf schlummerte, war ebenso dem Zufall geschuldet. Dem Zufall namens Corona. „Schock brauchte mich nicht mehr, das Exportgeschäft war von jetzt auf gleich weggebrochen.“ Der Zeitpunkt war gekommen, um seinen Traum vom eigenen „Pub“ zu realisieren. Nach kurzer Suche stießen er und seine Frau auf das Vereinsheim des TSV-Spiegelau, wo im Obergeschoss vor einigen Jahren schon mal ein kleiner Gastro-Betrieb untergebracht war. Zuletzt stand es längere Zeit leer. Die Abfindungszahlung, die er von seinem Arbeitgeber erhielt, investierte er nach Unterzeichnung des Pachtvertrags in sein neues „Kaffeehouse“. Die Eröffnung fand im Juni 2021 statt.
Als Vorbild für Konzept und Einrichtung dienten ihm die sog. Brown-Bars, wie sie vor allem im niederländischen Amsterdam zu finden sind. Sie sind relativ klein, gemütlich eingerichtet und versprühen Wohnzimmer-Atomsphäre. „Ich wollte hier nicht Tisch an Tisch reihen – es sollte anders sein als das, was man so kennt“, beschreibt der Hausherr sein Lokal. Daher auch das bunte Interieur, das seine Hobbys und Leidenschaften widerspiegelt. Ein Schild sowie Trikots seines englischen Lieblingsclubs AFC Sunderland dürfen da freilich nicht fehlen. Genauso wenig wie ein Dress des 1. FC Nürnberg, seinem bayerischen Lieblingsverein, bei dem er Dauerkarteninhaber ist. „Mit dem Rad bin ich gerne in der Gegend unterwegs und mache meine Touren durch den Woid“, erzählt er mit Blick auf die Rennräder an der Decke. „Das alles trägt zum Wohlfühlgefühl von meinen Gästen und von mir selbst bei.“
Die Geschichte hinter dem Namen „Kaffeehousekultur“ ist schnell erklärt: „Ich liebe Kaffee und ich liebe House-Music. Und ich versuche etwas andere Kultureinflüsse hierher zu bringen. Kaffee, Kunst und Kultur – das sind meine drei liebsten Sachen“, sagt Christopher Taylor. Typisch britische Eigenheiten müssen es dabei nicht sein. Es sei vielmehr ein Gemisch aus englisch, bayerisch und international.
Viel mehr Zeit für die Familie – und sein(e) Projekt(e)
„Es könnte nicht besser laufen“, lautet sein bisheriges Fazit. Das Einkommen reiche für ihn und seine Familie aus. Mit der Work-Life-Balance, die er zuvor so sehr vermisst hatte, sei er mehr als zufrieden. „Ich war zu viel unterwegs, zu wenig zuhause – jetzt ist es komplett anders. Jetzt hab ich viel mehr Zeit für die Familie.“ Und dafür, sich intensiv mit seinem gastronomischen Herzensprojekt zu beschäftigen – vor allem mit der Frage, wie er seine Besucher ebenso dafür begeistern kann.
Ein „Autumn-Breakfast“-Frühstücksangebot mit unbegrenztem Kaffee-Refill, Gaming-Nights mit Darts, Schafkopf, Schachspiel und Xbox-Zocken, einen „Big-Sunday-Club“ mit reduziertem Bierpreis, eine Halloween-Party für Kinder aus der Gemeinde, eine „Guy-Fawkes-Night“ mit Feuershow und Perchtenauftritt, Kinoabende mit coolen Blockbustern, gemeinsame TV-Fußball-Abende zur WM, ein kleiner Christkindlmarkt mit diversen Ständen rund ums Gebäude, „Bavarian Christmas“ mit Live-Musik – die Ideen gehen dem umtriebigen Briten so schnell nicht aus. Sehr zum Gefallen seiner Gäste, insbesondere auch der Einheimischen. Unter anderem einige Mitglieder des Spiegelauer Frauenbunds schauen regelmäßig vorbei, erzählt er und schmunzelt wissend…
Die meisten Leute kommen am Dienstag- und Mittwochabend sowie am Wochenende, wenn vor allem Familien, die sich am benachbarten Waldspielplatz aufhalten, auf einen Kaffee, ein Schnitzel, eine Currywurst oder ein Sandwich bei ihm einkehren. Auch über Stammkundschaft aus den Reihen der TSV-Fußballer und anderer Vereine darf er sich mittlerweile freuen. Gerade der Fußball bringe die Menschen zusammen, weiß der 36-Jährige, der selbst gerne kickt, zu berichten. Das Schafkopfen zwar auch – doch das müsse er noch lernen.
Ab sofort: die Skihousekultur am Glasberg
Und damit ihm nicht langweilig wird – denn Langeweile könne er so ganz und gar nicht leiden -, hat er sich jüngst auch noch um die Wiederbelebung des Zwieseler Galsberglifts angenommen, dessen Eröffnung unter dem passenden Label „Skihousekultur“ vor einer Woche stattgefunden hat. Die kleine wie feine Skihütte neben dem Lift haben er und seine Helfer in den vergangenen Wochen auf Vordermann gebracht. Liftbetrieb mit Gastronomie und einigen Events wie Grillpartys und Live-Acts – so lässt sich das Glasberg-Konzept kurz und knapp zusammenfassen. Wobei es sich aufgrund der begrenzten Räumlichkeiten eher um ein „Minicafé“ mit Speisen und Getränken als um ein Wirtshaus handelt, wie er betont.
Taylor betreut beide Projekte mehr oder weniger gleichzeitig und pendelt dazu häufiger zwischen Spiegelau und Zwiesel hin und her. Mit dem Personal hat er eigenen Aussagen zufolge viel Glück gehabt. „Ich habe ein paar gute Leute an der Hand, da muss ich nicht ständig präsent sein.“ Viel Arbeit ist es dennoch, die er im Hintergrund zu erledigen hat. Dass die Doppelbelastung funktionieren wird, davon ist er überzeugt. „Es hat viel Potenzial – und ich brauche eine Beschäftigung.“
Ja, er denkt sogar schon über ein nächstes Projekt nach, denn: Drei Geschäfte möchte er haben, sich breit aufstellen. Ein Naturbad oder eine Berghütte schweben ihm da spontan vor – jedenfalls „irgendetwas komplett anderes“ als die beiden aktuellen Vorhaben. Corona sei eine schwierige Zeit gewesen, doch auch eine Phase, in der er viele Chancen entdeckte. „Ich habe Zeit und gute Mitarbeiter. Es geht darum zu investieren – und zu schauen, wie sich die Dinge entwickeln“, blickt der Zweckoptimist nach vorne. Und wenn’s dann doch einmal nicht so laufen sollte, wie gewünscht, gibt es ja immer noch den Zufall…
Stephan Hörhammer