Waldkirchen. Claus Jakob, Jahrgang 1968, kennt diese Geschichte aus dem Effeff. Obwohl er nicht dabei war, blickt er auf jene alljährliche Tradition zurück, als würden sie zu seinen persönlichen Erinnerungen gehören. Schier unzählige Male wurde ihm bereits berichtet, wie in den 50er-Jahren, kurz nach der Gründung des familieneigenen Sportgeschäftes, sein Vater Alois vor Wintereinbruch das Wohnzimmer ausgeräumt und zu einem Verkaufsraum umfunktioniert hat. Während der Hauptsaison musste die Familie weichen. Das war einfach so. Ohne Wenn und Aber.
Die Familie Jakob ist gleichbedeutend mit dem Namen „Sport Jakob„. Das war vor 70 Jahren so, als der sportgeschäftliche Einzelhandel aus der Taufe gehoben worden ist. Und das ist auch heute noch der Fall. Noch führt Claus Jakob (54) das Waldkirchener Unternehmen in zweiter Generation. Seine Tochter Magdalena (26) und Elisa (24) stehen allerdings bereits in den Startlöchern bzw. sitzen im Vorzimmer ihres Vaters, wo sie die Materie von der Pike auf erlernen, um langsam aber sicher in die Fußstapfen ihrer Vorgänger hineinzuwachsen. „Ich habe von Kindheit an mitgeholfen“, erzählt Claus Jakob. Worte, die nun genau so von seinen beiden Töchtern stammen könnten.
„Das hat uns den Boden weggezogen“
Klar, gibt Magdalena Jakob zu, sei es manchmal nervig, dass es keine Trennung zwischen Berufs- und Privatleben gebe. Doch genau das ist das Erfolgsgeheimnis des Sportgeschäftes in der Bahnhofstraße, das in seinem sieben Jahrzehnte langem Bestehen so mancher Krise getrotzt hat. Wie zum Beispiel dem Coronavirus. „Das war schon der Hammer. Das hat uns den Boden weggezogen“, blickt Claus Jakob zurück. Während der erste Lockdown glücklicherweise noch in die Übergangszeit von Winter auf Frühling fiel, sprich: in die Nebensaison, schlug die zweite Zusperrphase – praktisch mit Beginn der kalten Jahreszeit, kurz vor Weihnachten – voll durch.
„Mit der Soforthilfe sowie Click & Collect konnten wir die Verluste etwas abfedern“, bilanziert der 54-jährige Chef. Dadurch, dass die Jakobs während der Covid-Beschränkungen nur im Familienkreis arbeiteten, hielten sich ihre Kontakte in Grenzen. Verstöße gegen die Vorgaben sowie eine unkontrollierte Ausbreitung des Virus konnten somit verhindert werden. Die nicht vorhandene Trennung von Privat- und Berufsleben war in jener Zeit ein eindeutiger Vorteil. So wurde der großangelegte Umbau des Geschäftsgebäudes (gleichzeitig das Privat-Domizil) 2019 kein Eigentor, sondern tatsächlich eine Investition in die Zukunft.
Auch wenn der Geldbeutel vieler Kunden kleiner wird…
Denn aus der einst vier Quadratmeter großen Verkaufsfläche ist inzwischen ein zweistöckiges Einkaufsparadies geworden. Es gibt – wie unter Gründer Alois Jakob, einem gelernten Holzschuhmacher – heute freilich keine selbstgeschreinerten Skier mehr zu kaufen. Dafür so gut wie alles, was das moderne Sportlerherz begehrt. Natürlich befinden sich Standard-Produkte wie Fußballschuhe, Kleidung, Tennisschläger und Basketbälle im Sortiment. Vor allem aber im Outdoor-Bereich hat sich das Repertoire in den vergangenen Jahren enorm weiterentwickelt. „Es gibt immer wieder Trends, auf die man Rücksicht nehmen muss“, erklärt Claus Jakob dazu. „Während der Glanzzeiten von Becker, Graf und Stich war Tennis der letzte Schrei – heute ist es das Wandern.“
Nahezu unabdingbar ist, dass man sich als Betreiber eines Sportgeschäftes auch selbst gerne bewegt. Zudem er sich in seiner Freizeit für so gut wie jede Sportart interessiert. Und da sind wir schon wieder bei der nicht vorhandenen Trennung von Privat- und Berufsleben. Die Ideen dürfen einem nämlich nicht ausgehen, wie Claus Jakob unterstreicht. Denn im Gegensatz zu den Zeiten seines Vaters, als es noch Luxus war, überhaupt Ski zu besitzen, sind die Kunden inzwischen anspruchsvoller – und immer auf Neuerungen aus. Und das, obwohl die Geldbeutel zuletzt spürbar kleiner geworden sind. „Doch es ist nach wie vor so, dass man sich in seiner Freizeit etwas leisten will.“
Onlineshop aus „ökologischer Sicht“ bedenklich
Das inzwischen 27 Mitarbeiter zählende Unternehmen ist immer mit der Zeit gegangen. Stillstand bedeutet bekanntlich Rückschritt. Tatsächlich? Nicht ganz! Denn den Digitalisierungszug haben die Jakobs verpasst – und das ganz bewusst. Zwar ist das Waldkirchener Sportgeschäft im World Wide Web, allen voran in den Sozialen Medien, vertreten. Auf einen eigenen Internetshop wird allerdings (noch) ganz entschieden verzichtet. „In unserer Branche ist die individuelle Beratung das A und O. Wir legen großen Wert auf Kundennähe“, betont Claus Jakob und beweist gleichzeitig einen grünen Daumen: „Zudem finde ich Onlineshops aus ökologischer Sicht bedenklich.“
Was nicht ist, kann aber noch werden. Denn was die Zukunft bringt, bleibt offen. Und dann dürfen auch Magdalena und Elisa entscheiden. Die, so der Plan, das Sportgeschäft dann gemeinsam führen sollen. Und wenn die Jakobs etwas auszeichnet, dann ihre Fähigkeit, Fehler im Nachhinein zuzugeben – und diese zu korrigieren. Hinzu kommt eine große Aufgeschlossenheit neuen Dingen gegenüber. Wäre das nicht so, würde wohl zur Hauptsaison noch immer das Wohnzimmer ausgeräumt werden. Doch, halt! Diese Geschichte hat Claus Jakob schon oft genug gehört…
Helmut Weigerstorfer