In vielen Wohnungen in Nepal sind Fotos von Familienmitgliedern zu sehen, die als Gastarbeiter in Katar ihr Leben ließen. Fotos: NGLOW Film and New Media

Die Kritik an der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar, die am 20. November beginnt, ist inzwischen allgegenwärtig. Aber irgendwie immer noch weit weg. Doch spätestens, wenn die Partien des kontinentalen Wettbewerbes über die Bildschirme flimmern, sind alle Zuschauer Teil dieser fragwürdigen Sportveranstaltung. Auch Filmemacher Robert Grantner sorgt dafür, dass die Missstände im Emirat in Vorderasien offensichtlich werden. Der gebürtige Zentinger hat in Zusammenarbeit mit Nick Golüke einen Film mit dem Titel Katar, warum nur? (Erstausstrahlung: Montag, 14.11, 20.15 Uhr, ARD) gedreht, über den er im Interview mit dem Hog’n spricht…

„Ganz sicher kein WM-Fieber“

Robert, an den ehemaligen Amateurfußballer in Dir gerichtet: Schaust Du die Fußball-WM 2022?

Wahrscheinlich schon. Zumindest die Highlights. Aber ein WM-Fieber wird mich ganz sicher nicht packen…

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Und an den Macher des Filmes „Katar, warum nur?“ gerichtet: Schaust Du die Fußball-WM 2022?

Ja, der wird auch schauen. Aber mit ganz anderen Augen. Wenn man mal vor Ort war, die Hitze gespürt hat und die Leute schuften gesehen hat, dann vergeht es einem schon. Aber am Ende sind die Sportler nicht die Schuldigen, sondern wohl eher die Instrumentalisierten.

„Er wurde nur 40 Jahre alt und hinterließ zwei Söhne“

Erzähl doch bitte mal kurz zusammengefasst, um was es in Deinem neuesten Werk geht?

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Der ehemalige Nationalspieler Thomas Hitzlsperger geht der Frage nach, warum ausgerechnet Katar diese WM ausrichten darf. Und was das für Folgen hatte – und bis heute hat. Er trifft Gastarbeiter, die in Katar an den Stadien gebaut haben. Und auch eine Frau, die dort ihren Mann verloren hat. Er wurde nur 40 Jahre alt und hinterließ ihr zwei Söhne. Sie lebt jetzt im Süden Nepals, hat nie eine Entschädigung bekommen – und wenn sie mal Arbeit findet, dann für zwei Euro am Tag.

Die Gesichter des Filmes: (v.l.) Nick Golüke, Robert Grantner und Ex-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger.

Vorwurf: Fake News

Außerdem trifft er auf die deutschen Nationalspieler Manuel Neuer und Ilkay Gündogan, eine Researcherin von Human Rights Watch und eine FIFA-Whistleblowerin. Auch die Misshandlung und Verfolgung von Menschen aus der LGBTQ-Community wird ein Thema des Films sein. Da werden unfassbare Dinge an Thomas herangetragen…

Böse Zungen könnten behaupten, Du seist nur ein Gegner der Winter-WM und hättest deshalb die negativen Seiten herausgefiltert…

Wir waren fünf Tage vor Ort, haben auch mit einer katarischen Frau gesprochen, die uns zu sich eingeladen hat. Mittlerweile hat die katarische Regierung Dreharbeiten in Privaträumen von Katarern sogar verboten. Wir sind da tatsächlich unvoreingenommen rangegangen, haben offen gefragt und zugehört. Aber als wir beispielsweise auf die tausenden toten Gastarbeiter zu sprechen kamen, warf die Frau uns ‚fake news‘ vor. Dabei steht Katar in Sachen Pressefreiheit auf Rang 119 von 180 Staaten…

„Es sind wohl Tausende gestorben“

Beschreib doch mal die Zustände in Katar, was die Unterdrückung von Minderheiten, die Situationen auf den Baustellen und das sog. Sportwashing betrifft.

Was uns die Arbeiter in Nepal geschildert haben, deckt sich mit den Informationen von Menschenrechts-Organisationen. Den Arbeitern werden bei Einreise die Reisepässe abgenommen, die behält der Arbeitgeber ein. Damit sind sie diesem faktisch ausgeliefert. Sie können weder den Job wechseln noch ausreisen. Wir zeigen im Film auch heimlich gedrehte Arbeiterunterkünfte – da sieht es furchtbar aus. 15 bis 20 Leute in einem Zimmer, eine Stunde anstehen für den Toilettengang – und am Ende berichten alle von ausbleibenden Lohnzahlungen.

Eindrücke von den Dreharbeiten:

Sie haben alle unter der extremen Hitze gelitten, sind zum Teil eingeschlafen und im Schlaf gestorben, weil der Körper nicht mehr mitgemacht hat. Junge, offenkundig gesunde Männer zwischen 20 und 40 Jahren. Es sind wohl Tausende gestorben. Wie viel genau, das gibt die katarische Regierung nicht heraus, obwohl sie diese Zahlen mit Sicherheit hat.

Diese Frau heißt Saraswoti Devi Chaudhari. Ihr verstorbener Mann Shambu wurde 40 Jahre alt. Verschüttet und erstickt unter einem Zementhaufen auf einer Baustelle in Katar.

Vergaberichtlinien als Problem

Wie gefährlich waren die Dreharbeiten für Dich? Immerhin sprichst Du Dinge aus, die den Machthabern alles andere als gefallen dürften…

Wir haben uns nie unsicher gefühlt. Auch Thomas nicht, obwohl Homosexualität vor Ort verboten ist und dafür Gefängnis droht. Bei der Einreise mussten wir alle sofort eine App installieren. Offiziell wegen Corona, doch diese App überwacht dich dann auf Schritt und Tritt, kann sogar den Schlafmodus ausschalten. Also das war schon sehr seltsam. Am Ende sichert der Prominentenstatus dann aber doch eine gewisse Sicherheit zu, nehme ich an.

Glaubst Du, dass wegen der Kritik an Katar künftig große Sportereignisse wieder an „herkömmliche“ Sportnationen vergeben werden?

Ganz prinzipiell hat jedes Land das Recht, sich um solche Veranstaltungen zu bewerben. Warum sollten nicht auch andere Länder und Kontinente mal diese Ereignisse hosten?! Das Problem sind nur die Vergaberichtlinien. Und die geben halt nun mal die FIFA oder das IOC vor. Und da sehe ich keinerlei ernstgemeinte Einsicht. Da geht es um sehr viel Geld – und am Ende auch um Macht. Ich hatte jetzt mit beiden Institutionen zu tun und eines haben sie gemein: Die Meinung der kritischen Europäer ist diesen Institutionen längst nicht mehr so wichtig, wie wir meinen. Wählerstimmen gibt es auch auf anderen Kontinenten zur Genüge – ohne nervige Fragen…

Vielen Dank für das Gespräch und diese Einblicke. Wir sind gespannt auf den Filmbeitrag.

die Fragen stellte: Helmut Weigerstorfer

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Zu sehen ist Katar, warum nur? am Montag, 14. November, 20.15 Uhr in der ARD.


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