Gumpersdorf. Das Landleben, so hört man oft, bietet einige Vorteile. Saubere Luft, viel Ruhe und ein besseres soziales Miteinander. Als großer Nachteil wird meist der Mangel an kultureller Vielfalt angeführt. Aber wie steht es denn tatsächlich um das kulturelle Leben auf dem Lande? Gibt es ein Angebot jenseits von Feuerwehrfest und Blasmusikverein? Und lebt sie denn noch, die sogenannte Subkultur in Niederbayern? Diesen Fragen möchte Hog’n-Autorin Gabriela Haslböck auf den Grund gehen – und hat dazu den „Workshop Orange“ (kurz: WOS) in Gumpersdorf (Lkr. Rottal-Inn) besucht.
Der Verein existiert mittlerweile seit 27 Jahren und hat sich einst aus einer Gruppe kunst- und kulturbegeisterter junger Leute entwickelt. Anfangs wurde schwerpunktmäßig Theater gespielt. Da sich schnell auch einige Musik-Anhänger engagierten, ergab sich in der Folge so manches Live-Konzert, wodurch die überregional bekannten „Leonberg Open Airs“ entstanden.
„Abseits von dem, was man hier vielleicht so kennt“
Seit 2011 haben die „Orangen“, wie die Kulturschaffenden landläufig genannt werden, das „Gasthaus zur Linde“ in Gumpersdorf als Vereinsheim gepachtet. Mit viel Liebe zum Detail wurde dies über die Jahre hinweg renoviert. Wer auf der B 20 durch den kleinen Ort in der Gemeinde Zeilarn fährt, kann es eigentlich gar nicht übersehen: Die Außenfassade leuchtet mit unzähligen, orangenen Dreiecken – und der blaue Schriftzug „The other side of culture“ lässt erahnen, was einen im Inneren des alten Gasthauses erwartet.
Im Hog’n-Interview mit Kerstin Kaseder, die seit knapp drei Jahren gemeinsam mit ihrem Kollegen Markus Gschwendtner den Vereinsvorsitz innehat, geht es um die Kultur hinter der Kultur, um familiäre Vibes, um Kunst in der niederbayerischen Pampa – und um das große Miteinander.
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Kerstin: Was bedeutet “The other side of culture” für dich persönlich – und für den Workshop Orange?
Der Spruch war ursprünglich als Marketing-Idee gedacht und soll meinen, dass wir die Kultur hinter der Kultur ins Haus bringen – abseits vom Mainstream und abseits von dem, was man hier vielleicht so kennt. Damit sind Bands aus verschiedenen Genres ebenso wie manch eigenwillige Theaterproduktion gemeint.
Wie finden denn die Künstler, die teils aus Wien nach Gumpersdorf gereist kommen, in die Rottaler Provinz?
Das ist ein Prozess, der sich über die Jahre hinweg entwickelt hat. Mittlerweile haben wir gute Kontakte, wodurch wiederum neue Verbindungen entstehen. Man findet Künstler, die zur Nische passen und sich dann hier im Workshop Orange sogleich ganz wohl fühlen. Bei uns schwappt der familiäre Vibe schnell über – deshalb kommen die Künstler auch gerne wieder. Und wenn sie sich wohl und gut aufgehoben fühlen, schickt die Agentur weitere Kolleginnen und Kollegen zu uns.
„Der WOS gilt nach wie vor als Exot auf dem Land“
Sich ein Netzwerk aufzubauen ist das A und O. Zum Teil schreibe ich Agenturen einfach an, wenn ich denke, dass der Künstler zu uns passen könnte. Da werden dann hin und wieder Summen genannt, die wir uns freilich nicht leisten können. Aber manchmal passt es einfach. Ich frage auch häufig nach, ob die Künstler Lust hätten, in die niederbayrische Pampa zu reisen. Außerdem beschreibe ich kurz unseren Kulturverein. Als Rückmeldung kommt dann häufig, dass dies als sehr sympathisch empfunden wird – und die Leute deshalb gerne kommen. Sie werden bekocht und erhalten eine individuelle Betreuung. Diejenigen die das nicht zu schätzen wissen, würden wahrscheinlich auch nicht in einem Wirtshaus auf dem Dorf spielen…
Was war dein bisheriges Highlight?
Für mich gab es mehrere. Die Musik und die einzelnen Geschichten sind sehr unterschiedlich. Ein Höhepunkt war sicher Alicia Edelweiß. Ich habe sie via FM4-Radio gehört und mich sofort in ihre Stimme verliebt. Daraufhin habe ich spontan die Booking-Agentur rausgesucht und angeschrieben. Ich hätte ehrlich gesagt nie gedacht, dass das klappt. Mittlerweile war die Band bereits zweimal bei uns in Gumpersdorf. Als ich noch nicht Mitglied in der Vorstandschaft war, empfand ich es als sehr aufregend, dass hier Reggae- und Ska-Größen wie Desmond Dekkar auf der Bühne standen. Ich weiß noch, dass ich damals total stolz war, bei so einem Konzert hinter der Bar stehen zu dürfen…
Wie wird euer Kulturangebot auf dem Land denn heutzutage angenommen?
Der WOS gilt nach wie vor als Exot auf dem Land. Wir sind einfach immer noch: „The other side of culture“. Die Künstler sind oft dem breiten Publikum nicht bekannt und kommen aus bestimmten Nischen. Da ist es manchmal nicht so leicht die Veranstaltungen voll zu bekommen – und es braucht ordentlich Werbung. Mittlerweile stellen wir aber fest, dass die Leute, die eben gerade die Subkultur schätzen, auch mal von weiter her anreisen, um sich ein Konzert oder ein Theaterstück anzusehen.
„Ein Hoch auf das Ehrenamt!“
Wer kann denn bei euch Vereinsmitglied werden?
Jeder, der Lust hat sich ehrenamtlich einzubringen. Der WSO ist im Laufe der Jahre gewachsen. Was damals mit einer Handvoll Freunden aus der Gegend begonnen hatte, hat sich zu einer bunten Mischung aus Leuten verschiedenen Alters und aus verschiedenen Ecken entwickelt.
Wie aufwendig ist dein Job als Vorstand im Kulturverein?
Mein Kollege Markus Gschwendtner und ich sind ständig Anlaufstelle für etwaige Rückfragen, für Organisation, Zeitplanung, Vorbereitung der Location, für die Beantragung von Fördergeldern usw. Das nimmt schon viel Zeit in Anspruch. Ohne die Unterstützung der Leute, die im Verein engagiert sind, sich etwa um die Küche, die Technik und den Bühnenbau kümmern, würde es allerdings nicht gehen. Da muss ich schon sagen – ein Hoch auf das Ehrenamt!
Was dient dir als Motivation für diese Arbeit?
Das Miteinander in der Gruppe. Auch wenn es viel Arbeit ist, macht es doch wahnsinnig Spaß gemeinschaftlich etwas auf die Beine zu stellen. Da wird auch nebenbei viel gelacht und gescherzt. Dann interessiert mich natürlich auch die kreative Arbeit. Die Entwicklung eines Theaterstücks ist ein sehr spannender Prozess. Man macht sich Gedanken und entwirft ein Bühnenbild, kreiert eine bestimmte Stimmung usw. Auch das Auswählen der Bands und der Kontakt mit den Künstlern ist etwas, dass ich sehr schätze und das mir Spaß macht.
Von Büchner bis Molière
Was steht als nächstes im Workshop Orange an?
Aktuell arbeiten wir am Herbst/Winter-Programm. Es wird wieder einen bunten Mix aus verschiedenen Bands und DJs geben. Und natürlich darf das Herbst-Theater nicht fehlen. Dieses Jahr hat sich das Regie-Duo Dorfner/Hirmer an den Büchner Klassiker „Leonce und Lena“ gewagt. Außerdem wird es zu Beginn nächsten Jahres ein Gastspiel des Erby-Theaters geben, die Molières „Der Geizige“ bei uns aufführen. Also rundherum ein volles Programm. Wir freuen uns schon wieder darauf.
Vielen Dank für das Gespräch. Bei so viel Orangen-Power wird der Winter wohl alles andere als Trist ausfallen.
Interview: Gabriela Haselböck
Terminhinweis: Am Samstag, 19. November 2022 (20 Uhr), findet die Premiere des Büchner-Stücks „Leonce und Lena – Die Welt ist doch ein ungeheuer weitläufiges Gebäude“ statt (weitere Termine: Donnerstag, 24.11., Samstag, 26.11., Donnerstag, 1.12., Samstag, 3.12.)