Und plötzlich ist nichts mehr so, wie es vorher war. Nur noch ein schales, metallenes „Gefühl“ bleibt zurück. Beziehungsweise gar keins. Dort, wo einmal die Geschmacksrichtungen süß, sauer, salzig, bitter und herzhaft-würzig wahrgenommen wurden. Dort, wo einst wohlbekannte Düfte für angenehmes Wohlbefinden sorgten. Der Verlust von Geschmacks- und Geruchssinn in Folge einer SARS-CoV-2-Infektion ist im wahrsten Sinne des Wortes kein Zuckerschlecken, wie Hog’n-Redakteur Stephan Hörhammer nach seiner Covid-Erkrankung am eigenen Leib erfahren musste…

Da steht es vor mir, dieses unsagbar verführerische Werk südeuropäischer Kulinarik, das mir ein aufs andere Mal das Wasser im Munde zusammenlaufen lässt: eine Pizza „Frutti di Mare“. Meeresfrüchte in Tomaten-Sauce, Oliven-Öl, dazu ordentlich Käse und vor allem Knoblauch. Krabben, Muscheln, Sardellen, Tintenfische, Shrimps – der Traum aller Pesketarier und aller sonstigen Verehrer der südländischen Küche. Der Inbegriff des „dolce Vita“. Ein erster, erwartungsfreudiger wie herzhafter Biss – und dann sogleich die große Enttäuschung. Nichts. Man schmeckt einfach nichts. Kein Knoblauch, keine Aromen, kein Geschmack – nichts. Noch ein Bissen. Wieder nichts. Als würde man in ein Stück Papier hineinbeißen – nicht die Konsistenz, sondern eben den Geschmack betreffend.
„Großteil beklagte vollständigen Verlust“
So oder so ähnlich ist es wohl schon vielen ergangen, denen nach einer Corona-Erkrankung der Geschmacks- und Geruchssinn abhanden gekommen ist. Den einen „nur“ für ein paar Tage oder Wochen, den anderen für mehrere Monate. Manche haben ihn bis heute nicht wieder erhalten – und hoffen darauf, dass sie endlich wieder schmecken und riechen können.

Der Wegfall bringt eine erhebliche Einbuße an Lebensqualität mit sich. Das wird einem ganz schnell bewusst. Wer beim Kauen seiner Lieblingsmahlzeit keine positive Rückmeldung mehr dazu bekommt, was man sich gerade einzuverleiben versucht, dem geht ein Stück Freude am Dasein verloren. Der Genuss geht, der Frust kommt. Das stresst, ist lästig. Gar Verzweiflung und Depression machen sich breit. Das Leben ist definitiv weniger schön.
Wie eine internationale Umfrage des zur Helmholtz-Gemeinschaft gehörigen Forschungszentrums Jülich von Ende 2020 zeigt, ging bei den Betroffenen mit positiver COVID-19-Diagnose (rund 4.000 Erwachsene) das Riechvermögen im Mittel um rund 80 Prozent zurück. Beim Geschmack lagen die Einbußen bei rund 70 Prozent. Bei der Irritation durch Brennen, Kälte oder Prickeln bei rund 37 Prozent. „Ein Großteil der Teilnehmer beklagte einen vollständigen Verlust“, teilt die Koordinatorin für die deutschsprachigen Länder, Psychologin Kathrin Ohla, mit. Und weiter:
„Bei einem Grippevirus oder anderen Coronaviren sehen wir: Die Patienten sind erkältet, die Nase ist zugeschwollen und wenn das Fieber weg ist, verlieren einige für eine Zeit ihren Geruchssinn und dann kommt er meist zurück. Bei den COVID-19-Patienten ist das anders: Sie können in der Regel sehr gut durch die Nase atmen, können aber von Anfang an nicht riechen. Viele sagen sogar, dass der Riechverlust vor allen anderen Symptomen eingetreten ist. Das ist sehr ungewöhnlich. Das zeigt, dass das Virus das Geruchssystem direkt befällt. Da auch Geschmack und Irritation betroffen sind, die davon unabhängige Sinnessysteme sind, sehen wir, wie das Virus auf diese Systeme einwirkt.“
Das Geruchssystem sei das einzige System, berichtet die Koordinatorin, bei dem die Sinneszellen Neuronen sind, während das Schmecksystem Hautzellen hat, vor allem auf der Zunge. „Es scheint so zu sein, dass die Nervenzellen im Geruchssystem absterben. Glücklicherweise ist es aber auch das einzige System, bei dem sich Neuronen erneuern können. Das dauert aber durchaus mehrere Monate.“
Zum Lachen war mir nicht zumute
In der Erneuerungsphase des Geruchsystems rieche man „falsch“. Das bedeutet, dass der Kaffee nicht nach Kaffee riecht, sondern nach Ausguss, Brand oder Fäkalien. Dieses Phänomen bezeichne man als Parosmie. Die Hautzellen wiederum erneuern sich im Zwei-Wochen-Rhythmus. Hier sei der Einfluss des Virus weniger problematisch. Die Datenlage sei jedoch insgesamt noch etwas dünn, weitere Forschungen seien von Nöten. Aber: „Die Wahrscheinlichkeit, dass Geruchs- und Geschmackssinn mit der Zeit zurückkehren, ist größer als dass die Sinne dauerhaft betroffen bleiben“, stellt die Psychologin fest.

Was den Geruchssinn anbelangt, fiel dieser im Rahmen meiner Corona-Erkrankung zunächst völlig aus. Nach dem Gang zur Toilette etwa konnte ich – mit Verlaub – keine Aussage dazu treffen, wie „intensiv“ der Geruch meiner Hinterlassenschaften ist, da ich schlichtweg nichts gerochen habe. Scherzhaft meinte mein Umfeld, dass das ja gar nicht mal so schlecht, gar ein Vorteil sei. Doch mein erwidertes Lächeln darauf war eher gezwungen als aufrichtig. Zum Lachen war mir nicht zumute. Was, wenn das Essen verdorben ist und ich merke es nicht mehr? Was, wenn es brennt, und ich bekomme es nicht mit?
Beim Geschmackssinn stellte ich fest, dass etwa die Milch plötzlich ganz anders schmeckte. Irgendwie metallen. „Unecht“. Dabei gönne ich mir sehr gerne zwischendrin ein Glas Milch zum Gebäck. Auch das Feierabendbierchen hatte seinen Zauber verloren. Es schmeckte nach nichts. Genauso die Saftschorle, das Schnitzel, die Kekse, Obst, Gemüse, egal. Normalerweise bin ich kein scharfer Esser, Chili und Pfeffer gehören nur in Maßen auf meine bevorzugten Nahrungsmittel. Testweise probierte ich eine auch von etablierten Feinschmeckern als „durchaus scharf“ bezeichnete Schote. Und wieder: nichts. Wo ich normalerweise vor Schärfe an die Decke gehen würde – nichts.
Riechtraining und Plasmatherapie
Wie der SWR jüngst berichtete, hatte einer Studie zufolge nahezu die Hälfte der Covid-Patienten mit Geruchs- und Geschmacksstörungen auch ein Jahr danach noch mit Problemen zu kämpfen. Sieben Prozent konnten sogar überhaupt nichts mehr mit Nase und Zunge wahrnehmen. Wissenschaftler der Columbia-Universität haben entdeckt, dass der Kern der Riech-Neurone nach einer Covid-Infektion beschädigt ist. „Ihr Inneres sieht chaotisch zusammengewürfelt aus – im Gegensatz zu gesunden Sinneszellen.“ Britische Forscher hatten zudem herausgefunden, dass ein Geruchsverlust nach einer Erkrankung zu dauerhaften Veränderungen im Gehirn führen können (Gewebeschäden im Umfeld des Geruchszentrums).

Ein Teil der Betroffenen könne mit regelmäßig durchgeführten Riechtrainings die einstige Funktion der Nase wieder herstellen, heißt es – sofern „wenigstens noch ein bisschen Geruchssinn übrig ist“. Momentan würden Genesungsansätze mit Vitamin A und mit thrombozytenreichem Plasma aus Eigenblut erforscht. Erste Ergebnisse seien vielversprechend.
In meinem Falle kehrte zunächst der Geruchssinn nach und nach wieder zurück – etwa vier bis sechs Wochen dauerte dies. Da war die Erleichterung groß. Der Geschmackssinn – so mein subjektiver Eindruck – ist bis jetzt noch nicht zu einhundert Prozent hergestellt. Zwar schmeckt erfreulicherweise der Knoblauch auf der Frutti-di-Mare-Pizza wieder so wie vor der Infektion – genauso wie alle anderen Lebensmittel, die ich gerne als Getränk oder Speise zu mir nehme. Doch ein leicht metallen anmutendes Empfinden vor allem an den Zungenseiten macht sich von Zeit zu Zeit noch bemerkbar – hoffentlich nicht mehr lange…
Stephan Hörhammer
Sehr geehrter Herr Hörhammer, vielen Dank für ihren Bericht! Können sie mittlerweile wieder normal riechen und schmecken? Vielen Dank und freundliche Grüße Niklas Meyer
Hallo Herr Meyer,
danke der Nachfrage. Und ja, soweit ist alles wieder hergestellt.
MfG Hörhammer