Freyung/Vilshofen/Gerstetten. Den Erzählungen der älteren Generationen zufolge war der Zweite Weltkrieg stets weit weg – zumindest bis die Alliierten selbst die kleinsten Dörfer besetzt hatten. Verbindungen zu den Fronten gab es oftmals nur durch Einheimische, die dort kämpften. Genauso war die verabscheuenswürdige NS-Ideologie etwas, das gefühltermaßen eine andere Welt regierte. Doch dem ist bei Weitem nicht so. Auch im Woid gab es ausgesprochene Anhänger des Nazi-Regimes. Historiker Dr. Wolfgang Proske hat im Kugelbergverlag mit dem Buch „Täter, Helfer, Trittbrettfahrer – NS-Belastete aus Niederbayern“ eine Sammlung veröffentlicht, in der Kriegsverbrecher aus der Region näher beleuchtet werden.
In diesem Rahmen hat sich Rudolf Drasch aus Vilshofen, Kreisheimatpfleger des Landkreises Passau, mit Georg Poxleitner beschäftigt. Folgend wird auszugsweise die Geschichte des gebürtigen Freyungers wiedergegeben.
Der politisch interessierte „Kriegsinvalide“
„Georg Poxleitner erblickte als eines von acht Kindern des Oberpostschaffners Mathias Poxleitner und seiner Ehefrau Therese am 31. Juli 1898 in Schneiderwiese bei Freyung das Licht der Welt. (…) Durch seine Einberufung zum Kriegsdienst am 1. Dezember 1916 wurde seine Schullaufbahn jäh unterbrochen (…). Bei einem Gefecht erlitt Poxleitner eine schwere Verwundung am rechten Unterarm, die ihn zeitlebens körperlich beeinträchtigte. Er selbst bezeichnete sich als „Kriegsinvalide“, der gewerbliche Arbeiten nicht verrichten konnte und wohl deshalb den Lehrerberuf einschlug. (…) Seine erste reguläre Lehrerstelle trat Poxleitner als Hilfslehrer zum 1. Januar 1925 in Neureichenau im Bayerischen Wald an.
(…) Bereits als 21-jähriger junger Mann, mit dem Abitur in der Tasche, entwickelte er ein nachhaltiges Interesse für die Politik und begann sich aktiv zu engagieren. (…) Von der Ideologie und den Zielen des Nationalsozialismus überzeugt, soll er bereits als Seminarist 1920 dem Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund Straubing beigetreten sein, was er später dementierte. Fest steht, dass Georg Poxleitner 1921 als NSDAP-Mitglied aufgenommen worden und der paramilitärischen SA beigetreten war. (…)
Politische Stationen in Klafferstraß und Perlesreut
Nach dem kurzzeitigen Verbot der NSDAP trat Poxleitner, nun angestellter Hilfslehrer im Dorf Klafferstraß bei Breitenberg, am 25. August 1926 wieder in die Partei ein und wurde unter der Mitgliedsummer 43.269 geführt (…). Noch im gleichen Jahr übertrug ihm Gregor Straßer (1892-1934), Gauleiter des kurz zuvor installierten Gaues Niederbayern-Oberpfalz, die Funktion des Kreisleiters für den Unteren Bayerischen Wald. Von Oktober 1928 bis 1. Juni 1933 fungierte er als Bezirks- bzw. Kreisleiter vom Kreis Unterwald, später als Kreis „Passau-Land“ bezeichnet. (…)
Poxleitner hatte neben seinen parteipolitischen Ambitionen auch lokalpolitische Interessen im Auge. So sammelte der überzeugte Nationalsozialist von 1929 bis 1931 als Mitglied des Gemeinderates und als stellvertretender Bürgermeister von Klafferstraß, und 1933 kurzzeitig als kommissarisch eingesetzter Bürgermeister der Marktgemeinde Perlesreut, erste kommunalpolitische Erfahrung. Am 4. April 1933 berief Poxleitner den neu gewählten Gemeinderat ein und überzeugte die Mandatsträger, ihn zum „rechtmäßigen ersten Bürgermeister“ von Perlesreut zu wählen. Zudem war er Bezirkstagsmitglied im damaligen Bezirk (später Landkreis) Wolfstein, und von Mai 1933 an Kreistagsabgeordneter von Niederbayern-Oberpfalz, dem heutigen Bezirkstag.
„Schutzhaft“: Inhaftierung von Gegnern
In seiner Perlesreuter Zeit fiel er bereits mit seinem deutschtümelnden, völkischen Ton auf. (…) Um sich in der Stadt Passau nachhaltiger politisch profilieren zu können, setzte Lehrer Poxleitner zum 1. Juni 1933 mit tatkräftiger Hilfe des dortigen Kreisleiters Max Moosbauer (1892-1962) seine Versetzung im Tausch gegen einen Kollegen durch. Am 3. Februar 1934 meldete er seine Familie in Vilshofen mit Wohnsitz Rathaus an. (…) Am 23. November 1933 avancierte Georg Poxleitner zum Nachfolger von Ernst Klee (1886-1952), [dem Kreisleiter des Kreises Vilshofen-Osterhofen].
(…) Wie andere Kreisleiter auch nutzte Poxleitner seine Machtstellung für seine persönliche Profilierung. (…) Gerüchte und Kritiken wurden von ihm unter Androhung von empfindlichen Sanktionen im Keim erstickt. Gegen die Verbreiter unwahrer Behauptungen und Verleumdungen werde ohne Ansehen der Person eingeschritten, warnte Poxleitner in einem öffentlichen Aufruf. (…) Die ersten Inhaftierungen von Gegnern und unbequemen Kritikern des Nationalsozialismus, verbrämt als „Schutzhaft“ tituliert, erfolgten mit dem Einverständnis des Kreisleiters.
Fast durchgehend Reichtagsmitglied für die NSDAP
Anlässlich seiner Ernennung zum Ehrenbürger von Windorf im Januar 1934, wo er früher als Aushilfslehrer tätig gewesen war, offenbarte Poxleitner „seine frühzeitige Begeisterung für Adolf Hitler, die er so ganz im stillen (sic!) schon vor 10 Jahren auch den Schulbuben und den jungen Männern, ja sogar auch alten Weiblein“ beigebracht hatte. (…)
Georg Poxleitner löste bereits am 19. Dezember 1933 den in Ungnade gefallenen und von der Partei abgesetzten bisherigen Vilshofener Bürgermeister Georg Unterholzner ab. Die Doppelfunktion als Bürgermeister und Kreisleiter war kein Einzelfall von Mandatshäufung (…). Zum 5. Februar 1935 wurde [er] noch unter Gauleiter Hans Schemm (…) überraschend (…) von seinem Posten als NSDAP-Kreisleiter entbunden.
(…) [Er] strebte erkennbar nach höheren politischen Weihen. Er schaffte, wenn auch nur knapp (…) den Einzug in den 661 Mitglieder starken Reichstag. Von November 1933 bis Mai 1938 und erneut von September 1938 bis zum Ende der NS-Diktatur saß Poxleitner dann im Reichstag. (…) Der Bedeutungslosigkeit des Parlaments stand das Privileg der Abgeordneten gegenüber, dass das Mandat mit Prestige und guter finanzieller Dotierung verbunden war.
Freiwilliges SS-Mitglied ab 1938
Fernab von heimatlichen Gefilden und von Berlin (…) setzte die Partei den gebürtigen Bayerwaldler bereits ab 15. Januar 1936 als Kreisleiter der Kreises Stolp und Bezirksobmann der NSKOV (Nationalsozialistische Kriegsopferversorgung) ein. Stolp, heute Slupsk, ist eine Stadt in der polnischen Woiwodschaft Pommern. (…) Poxleitner war also als Propagandasprachrohr der NSDAP nach wie vor als „Alter Kämpfer“ ein gefragter Parteistratege. (…)
Bereits am 9. Oktober 1938 [trat er] freiwillig in die allgemeine SS (Nr. 310.399) ein (…). Ein Jahr später wurde er zum SS-Ehrenführer ernannt – und am 9. November 1940 erfolgte die Beförderung zum SS-Obersturmbannführer. Über seine Beweggründe, in die SS einzutreten, konnte er im Rahmen des Entnazifizierungsverfahrens keine schlüssige Begründung abgeben. Seinen eidesstattlichen Erklärungen zufolge verweigerte er eine aktive Mitarbeit bei der SS und soll in der Prager Zeit nur zwei oder drei Mal in der SS-Uniform gesehen worden sein.
Er flüchtete Hals über Kopf aus Prag
Nach seinem erzwungenen Weggang aus Stolp ließ er sich als Frühpensionär und Reichstagsabgeordneter ab Juli 1937 in Berlin nieder (…). Seine letzte Dienststelle war die Leitung der Abteilung Truppenbetreuung im Schulungsamt des SS-Hauptamtes bis zum Februar 1941. Zuletzt war er dort im Bücherei- und Zeitschriftenwesen eingesetzt und mit dem Verkauf von Kinokarten befasst. Noch in Berlin wohnend, schied Poxleitner im November 1941 als Verantwortlicher für die Truppenbetreuung aus dem militärischen Dienst wegen schwerer Herzanfälle aus.
Bereits im Frühjahr 1940 absolvierte Georg Poxleitner angesichts ungewisser beruflicher Perspektiven, seiner angeschlagenen Gesundheit und mit einer bescheidenen Frühpension ausgestattet die Filmakademie in Babelsberg. Anschließend bewarb er sich in der Böhmisch-Mährischen Filmzentrale, deren Vizepräsident er war, als Pächter eines Kinos. Dazu musste er im November 1941 seinen Wohnsitz von Berlin nach Prag verlegen (…) Als am 5. Mai 1945 der Prager Aufstand begann und der Einmarsch der Roten Armee kurz bevorstand, flüchtete Georg Poxleitner tags darauf Hals über Kopf aus Prag in den Westen. (…)
1. Entnazifizierungsverfahren am 4. August 1949
Er wurde schließlich in Bayern verhaftet, am 8. Juni 1945 im Internierungslager Moosburg bei Landshut inhaftiert und unter der Nr. 6.382.589 geführt. Sein Gesundheitszustand verschlechterte sich derart, dass er nach Untersuchungen durch die Kreisärztin und durch die amerikanische Ärztekommission im März 1947 zu 70 Prozent als erwerbsbehindert eingestuft und zur Entlassung vorgeschlagen wurde. (…) Die erste öffentliche Sitzung zum Entnazifizierungsverfahren von Georg Poxleitner fand am 4. August 1949 in Düsseldorf statt. Der Belastete wurde vom Entnazifizierungshauptausschuss in die Kategorie III der Minderbelasteten eingestuft.
Dieses milde Urteil wurde ein Jahr später aufgehoben, weil Düsseldorf weder örtlich noch sachlich für das Verfahren zuständig gewesen war, da Poxleitner seinen Hauptwohnsitz während der NS-Zeit hauptsächlich in Bayern gehabt habe. Die Akte wurde deshalb an den Generalankläger beim Kassationshof im Bayerischen Staatsministerium weitergegeben. (…)
Unstetes Leben bis zum Tod im Jahr 1964
Am 5. März 1951 fand in einer weiteren Sitzung das Verfahren endlich seinen Abschluss. Poxleitner nutzte die Gelegenheit zu einer ausführlichen Darstellung zur Sache und seiner Person: „Ich gebe zu, dass ich an die Ideale der NSDAP geglaubt habe und mich auch dafür einsetzte. Ich sah meine Aufgabe darin, dem stark vernachlässigten Bayerischen Wald die notwendige finanzielle Unterstützung der Behörden zu verschaffen, was mir leider nicht gelang.“ Nach der Zeugenvernehmung und Vorlage verschiedener eidesstattlicher Entlastungserklärungen verkündete der Vorsitzende Krause nach geheimer Beratung folgenden Spruch:
- „Das Verfahren wurde gemäß § 1 des Gesetzes zum Abschluss der politischen Befreiung vom 27.7.1950 eingestellt, da der Betroffene nicht in die Gruppe der Belasteten oder Hauptschuldigen einzureihen war.
- Die Kosten des Verfahrens gehen zu Lasten der Staatskasse.
- Streitwert: DM 12.000.“
(…) Anders als andere exponierte NSDAP-Funktionäre fand Georg Poxleitner allerdings keine Fürsprecher, die ihn, noch keine 50 Jahre alt, wieder in geordnete berufliche Bahnen verhelfen konnten. (…) Es folgte ein unstetes Leben mit wiederholten Wohnsitzwechseln und zweimaliger Wiederverheiratung. Sein letztes Zuhause war das österreichische Reifnitz am Wörthersee, wo er am 20. Mai 1964 im Alter von 66 Jahren „schnell und unerwartet“ verstarb. Seine letzte Ruhestätte fand Poxleitner in der Familiengrabstätte im Passauer Innstadtfriedhof, die 2020 aufgelöst wurde.“
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„Täter, Helfer, Trittbrettfahrer – NS-Belastete aus Niederbayern“ – dieses von Dr. Wolfgang Proske herausgegebene Buch ist im Kugelbergverlag erschienen und kann hier bestellt werden.