Passau. „Neurechter Professor lehrt an der Uni Passau“ – diese Schlagzeile veröffentlichte das antifaschistische Internetportal „Infoticker Passau“ vor gut zwei Monaten über seinen Twitter-Kanal. Gemeint ist Prof. Dr. Hans-Christof Kraus, seit 2007 Lehrstuhlinhaber für Neuere und Neuste Geschichte. Er soll „seit Jahrzehnten tief in der Neuen Rechten verstrickt“ sein, wie ihm die Macher des Portals aufgrund eigener Nachforschungen vorwerfen. Der Sprecher:innenrat des „Allgemeinen Studierenden-Ausschuss“ (kurz: AStA) hat mit Entsetzen darauf reagiert. Die Uni will sich „mit gebotener Sorgfalt“ damit befassen. Der Professor selbst wittert eine Kampagne gegen ihn.
Die Liste des Twitter-Threads, der nach Recherchen des Infotickers die Kraus’schen Verbindungen in extrem rechte Kreise belegen soll, ist lang und reicht weit zurück bis in die 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Etwa ins Jahr 1984, als er nach seinem Studium in Göttingen „gemeinsam mit u.a. Karlheinz Weißmann, einem der zentralen Akteure der sog. Neuen Rechten“ und langjährigem Kolumnisten der neurechten Wochenzeitung „Junge Freiheit„, die Zeitschrift „Phönix“ herauszugeben begann. Es fällt in genannten Tweets der Name Oswald Spengler, über den Kraus einen Artikel für die rechte Schrift „Fragmente“ beisteuerte. „Spengler ist Teil der konservativen Revolution, einer Theorieströmung, die Ende der 20er dem NS den Weg bereitete, allerdings seit ‘45 von Rechtsradikalen als lediglich konservativ umgedeutet wird, um faschistisches Gedankengut unter diesem Label erneut salonfähig zu machen“, kommentieren die Infoticker-Macher hierzu.
„Warum Kraus dort weiter unkritisiert lehren kann“
Von weiteren Veröffentlichungen in rechten bzw. rechtsradikalen Schriften wie „Etappe„, „Criticón„, den „Blättern der deutschen Gildenschaft“ ist die Rede. 1997 hat er den Recherchen des Infotickers nach an einer Festschrift für den rechtsradikalen Caspar von Schrenck-Notzing mitgewirkt, genauso hat er im Jahr 2000 für dessen Buch „Stand und Probleme der Erforschung des Konservatismus“ ein Kapitel beigesteuert. Kraus soll des Weiteren Verbindungen zum „Institut für Staatspolitik“ (IfS) gepflegt haben, „dem wohl bekanntesten Thinktank der Neuen Rechten“, wie das Passauer Internetportal es bezeichnet.
„Von dieser 30 Jahre andauernden Vernetzung in der Neuen Rechten hat sich Kraus bis heute mitnichten distanziert. Im Gegenteil, er veröffentlicht bis heute weiter in rechten bis radikal rechten Publikationen“, ist auf dem Twitter-Kanal zu lesen. Als Beispiele werden die rechten Zeitschriften „Tumult“ und „Cato“ angeführt. „Er ist offensichtlich nicht nur ein Historiker, dessen Thesen zufällig Anklang in der Neuen Rechten finden, sondern hat sich seine Position aktiv und kontinuierlich erarbeitet und bestätigt“, resümiert der Infoticker unzweideutig. „Er arbeitet weiterhin im wissenschaftlichen Bereich mit führenden Akteuren aus dem Milieu zusammen, wohl wissend, wer sie sind und welche Inhalte sowie Institutionen sie vertreten.“ Und: „Wenn die Uni jedoch demokratischere Ansprüche an ihre Lehre hat, stellt sich die Frage, warum Kraus dort weiter unkritisiert lehren kann, ohne dass seine Positionen Gegenstand einer Debatte sind.“
„Für solches Gedankengut darf es keinen Platz geben“
„Die Verstrickungen von Prof. Dr. Hans-Christof Kraus in die neurechte Szene sind angesichts der erdrückenden Beweislast nur schwerlich zu leugnen. Es scheint sich hierbei weder um Jugendsünden noch um Einzelfälle zu handeln; vielmehr müssen wir anscheinend davon ausgehen, dass er schon seit mehreren Jahrzehnten diese Verbindungen und Ansichten pflegt“, teilt Anna Lambacher, Sprecherin des AStA, mit.
Ein Beitrag der „Stiftung Demokratie Saarland“ über die Alte und Neue Rechte:
„Für solches Gedankengut darf es an unserer Universität keinen Platz geben. Personen, die völkisch-nationalistischen Verbindungen angehören, in einschlägigen Zeitschriften und Verlagen publizieren und mit bekannten, extrem rechten Funktionären zusammenarbeiten, stellen eine Gefahr dar, gerade wenn Lehramtsstudierende mit dem Fach Geschichte um Seminare an seinem Lehrstuhl kaum herumkommen. Auch der gute Ruf Passaus in der Hochschullandschaft leidet darunter – eine ganze Reihe von Studierende aus ganz Deutschland haben sich nach den Veröffentlichungen mit besorgten Nachfragen an den AStA Passau gewandt“, informiert Lambacher. Der AStA hat deshalb die Universitätsleitung dazu aufgefordert, zu den Veröffentlichungen und der Personalie Kraus Stellung zu nehmen und entsprechende Schritte einzuleiten.
„Verstehe mich als demokratischer Konservativer“
„Der Universität Passau sind die Vorwürfe, die in Tweets des Accounts Infoticker Passau gegen einen ihrer Professoren erhoben und in einer Pressemitteilung des AStA/Sprecher:innenrats zitiert werden, bekannt“, teilt Uni-Sprecherin Katrina Jordan von der Abteilung Kommunikation und Marketing auf Hog’n-Nachfrage mit. „Wir werden uns mit der gebotenen Sorgfalt und mit voller Unterstützung des Betroffenen mit diesen Behauptungen befassen. Zu diesem internen Prozess gehören dabei sowohl die Einbindung der Fakultät, der zuständigen Gremien und Stellen als auch der transparente Austausch mit allen Beteiligten, einschließlich der Studierendenvertretung.“
Gegen die seitens AStA und Infoticker aufgestellte Behauptung, er bewege sich im „Netzwerk der extremen Rechten“ und arbeite mit „extrem rechten Funktionären zusammen“, wehrt sich Prof. Dr. Hans-Christof Kraus, wie der gemeinsamen Stellungnahme von Universität und seiner Person zu entnehmen ist. „Diese Behauptung ist unzutreffend. Ich verstehe mich – und daraus habe ich auch niemals ein Hehl gemacht – als demokratischer Konservativer.“ Als Historiker, der sich intensiv mit den radikalen und totalitären Bewegungen des 20. Jahrhunderts beschäftigt habe, stellen Kraus zufolge die Gewaltenteilung, die Rechtsstaatlichkeit und die Ordnung des Grundgesetzes seit jeher „absolute und unverzichtbare Voraussetzungen unserer heutigen politischen Ordnung dar“. Dies seien Errungenschaften, „für die ich stets eingetreten bin und die ich mit aller Entschiedenheit verteidige“.
Als demokratischer Konservativer publiziere er gelegentlich in konservativen – und nicht, wie er betont, „extrem rechten“ – Zeitschriften, darunter auch in „Cato“, „Tumult“ und anderen. „Meine dort veröffentlichten Beiträge sind jedermann zugänglich und enthalten nichts, was in irgendeiner Weise demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien widersprechen würde.“ Im persönlichen Gespräch mit der Hog’n-Redaktion unterstreicht Kraus nochmals, dass die Vorwürfe haltlos seien – und vermutet eine Kampagne gegen ihn. „Beabsichtigt ist offenbar eine öffentliche Denunziation, deren Widerlegung später nicht mehr zur Kenntnis genommen wird – sozusagen nach dem Motto: Irgendetwas wird schon hängenbleiben.“ Rechtliche Schritte zieht er nicht in Erwägung, „weil das nichts bringen würde“.
„Milieu ist klar der Neuen Rechten zuzuordnen“
Überrascht auf die Vorwürfe gegen Kraus reagiert Grünen-Landtagsabgeordneter Toni Schuberl, der sich seit vielen Jahren gegen rechtsextreme Strukturen in Niederbayern engagiert und von 2014 bis 2018 Mitarbeiter im Rechtsreferat der Uni Passau war. Zum konkreten Fall könne er inhaltlich nichts beitragen, stellt aber grundsätzlich fest: „Unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung bietet einen sehr weiten Raum für Ansichten und Einstellungen von sehr weit links bis sehr weit rechts, die alle legitim sind, auch wenn man sie selbst ablehnt oder auch politisch bekämpft.“ So sei es juristisch gesehen völlig in Ordnung, wenn Menschen eine sehr rechtskonservative Einstellung vertreten, solange diese nicht die Grenze zum Rechtsextremen überschreitet. „Und so muss man auch im Hochschulbereich ein weites Spektrum an Überzeugungen akzeptieren, zumal hier zusätzlich auch die Wissenschaftsfreiheit greift.“
„Eine Überprüfung aller vom Monitoring-Projekt Infoticker Passau aufgeführten Fundstellen ist uns ad hoc nicht möglich, nach Überprüfung einiger Stichproben scheinen diese jedoch gut recherchiert und authentisch zu sein“, teilt Rechtsextremismus-Experte Jan Nowak auf Hog’n-Nachfrage mit – und fügt hinzu: „Das publizistische Milieu, in dem sich Prof. Dr. Hans-Christof Kraus augenscheinlich seit Jahrzehnten bewegt, ist klar der Neuen Rechten zuzuordnen. Diese Strömung der extremen Rechten versucht spätestens seit Ende der Sechzigerjahre die Grenze zwischen rechtskonservativen und extrem rechten Positionen zu verwischen. Kurz- und mittelfristig will die Neue Rechte so als Stichwortgeber für konservative Politik und Medien agieren. Langfristig soll die liberale, pluralistische und menschenrechtsorientierte Demokratie zugunsten einer illiberalen Demokratie bzw. Formen autoritärer Staatlichkeit abgewickelt werden.“
„Das dürfte kein Zufall sein“
In den vergangen gut zehn Jahren hat sich Nowak zufolge das politische Lager der Neuen Rechten ausdifferenziert: Ein stärker jüngerer, aktionistisch bis militanter Flügel rund um Götz Kubitschek auf der einen Seite und ein eher intellektueller, strategisch agierender rund um Karlheinz Weißman auf der anderen. Hinsichtlich der Ziele würden sich beide Flügel kaum unterscheiden, nur über den Weg dorthin seien sie sich nicht immer einig. Weißmann sei dabei der eigentliche Spiritus Rector der Neuen Rechten in Deutschland. Nowak: „Dass sich Kraus immer wieder an dessen Seite findet, dürfte kein Zufall sein. Zu seinem Status und Habitus als Hochschullehrer passt der Stil dieses Flügels sicherlich besser als die krawallige und häufig offen neofaschistische Alternative.“
Stephan Hörhammer