Waldkirchen. Der Salat ist knackig und grün. Der Käse noch zwei Tage haltbar. Die Bananen haben nur leicht braune Punkte. Aber all das würde heute wohl im Müllcontainer landen, wenn Corinna Kulzer und Katrin Reischl es nicht retten würden. Es ist Samstag – und am Montag könnte Aldi die Sachen nicht mehr verkaufen, die die Lebensmittelretterinnen heute abholen und weiterverteilen. Hog’n-Autorin Sabine Simon war mit dabei beim Retten der Nahrungsgüter.
„Wir sind keine Konkurrenz zur Tafel“, betont Corinna gleich zu Beginn unseres Gespräches. „Wir kommen nur an den Tagen, an denen die Tafel nicht abholt. Denn Lebensmittel, die weggeworfen werden würden, gibt es auch an diesen.“
Nicht mehr einwandfrei, aber viel zu schade für den Müll
Mit einem geübten Blick schaut sie auf den Stapel Kisten, den eine Mitarbeiterin der Waldkirchner Aldi-Filiale für die Lebensmittelretter bereitgestellt hat. „Machen wir zwölf Abholer?“, fragt Corinna ihre Mitstreiterin. Katrin Reischl nickt.
Zwölf Abholer. Das bedeutet, dass die beiden nun die Lebensmittel, die sie vom Discounter abholen können, auf zwölf Kisten verteilen. Diese wiederum dürfen später zwölf Personen entgegen nehmen, die sich über die Internetseite der Lebensmittelretter registriert haben und sich heute für die Abholung anmelden. Corinna stellt mit wenigen Klicks die Kisten ein. Es dauert keine fünf Minuten, dann haben sich zwölf Interessenten gemeldet, um die Sachen später auf einem nahegelegenen Parkplatz zu empfangen.
„In der Kühlung ist auch noch was für euch“, ruft die Aldi-Mitarbeiterin aus dem Lager den beiden Abholerinnen zu. Die beiden Frauen öffnen die Kühltür und finden einen Karton Milch, ein Duzend Packungen Käse, Wurstsalat und andere Lebensmittel, deren Mindesthaltbarkeitsdatum bereits überschritten oder deren Verfallsdatum nahe ist. All das wird nun gerecht auf Kühltaschen verteilt. Das Obst und Gemüse auf Kisten. „Das ist dann eine Art Überraschungskiste für die Abholer“, sagt Corinna und schmunzelt. „Man kocht dann einfach spontan mit dem, was man kriegt.“ Da waren etwa mal jede Menge Tomaten dabei: „Dann haben die Leute Soße draus gemacht und sie eingefroren“, weiß die Retterin zu berichten.
Retten nach strengem Hygienekonzept
Beim Sortieren der Nahrungsmittel überprüft sie, ob sie noch essbar sind. Es gibt zum Beispiel jede Menge Bio-Zucchini – mit einem Klebestreifen jeweils drei zusammengeheftet. Meist ist eine Zucchini davon nicht mehr in einwandfreiem Zustand. Corinna wirft sie in die Abfallkiste, die restlichen landen in den Behältern für die Abholer.
Gleiches passiert bei Bananen, Gurken, Radieschen, Äpfeln, Aprikosen. „Nur bei den Erdbeeren und anderen Beerenfrüchten dürfen wir das nicht machen“, erklärt sie. Denn die Beerenfrüchte haben eine zu weiche Oberfläche – daher dürfen einzelne Früchte nicht angefasst werden. Sprich: Ist nur eine Erdbeere in einer Schale bereits schimmelig, landet der gesamte Inhalt im Müll – und darf nicht gerettet werden.
Das Retten der Lebensmittel läuft nämlich nach einem strengen Hygienekonzept ab: Das Gesundheitsamt hat offiziell bewilligt, was Corinna und Katrin hier machen. Die beiden prüfen die Temperatur der gekühlten Güter und achten darauf, dass zwischen Abholung im Lager des Discounters und der Weitergabe an die Abholer nur wenige Minuten vergehen. Die Temperatur in den Kühltaschen darf nicht zu sehr ansteigen. „Es steckt ein klares Konzept hinter dem, was wir hier machen“, betont Corinna Kulzer.
Idee entstand im Münchner Umland
Fünf Euro Jahresbeitrag zahlt jeder Abholer. Zweimal pro Woche darf man sich für eine Kiste anmelden. Mittlerweile haben sich 54 Leute auf der Webseite der Lebensmittelretter registriert. Acht ehrenamtliche Helfer sorgen dafür, dass regelmäßig Boxen mit Obst und Gemüse für sie bereitstehen.
Die Gruppe in Waldkirchen hat sich auf Initiative von Corinna Kulzer gegründet. Sie kennt die Lebensmittelretter durch ihre Tante, die in Fürstenfeldbruck aktiv mithilft. Im Münchner Umland gibt es mittlerweile über hundert Helfer, die Lebensmittel vor dem Müllcontainer bewahren. Corinna war einmal mit dabei, als ihre Tante die Esswaren abholte und verteilte – und war begeistert. Danach stand fest: Das möchte sie daheim in Waldkirchen auch organisieren.
Mittlerweile wächst auch in der größten Stadt des Landkreises Freyung-Grafenau die Gruppe der Retter. Allerdings bleibt Discounter Aldi bislang das einzige Unternehmen, das dort Lebensmittel retten lässt. Bei allen anderen Supermärkten sind Corinna und Katrin – zu ihrem Leidwesen – bisher abgeblitzt.
Kein Müll allein durch Tafel-Abholungen?
Das Onlinemagazin da Hog’n hat bei den Pressestellen von Rewe und Edeka nachgehakt: Warum dürfen die Lebensmittelretter hier nicht tätig werden?
Die Nachfrage seitens der Tafel sei derzeit sehr hoch – mit ihr arbeite man sehr eng zusammen, antwortet Edeka. Auch die Rewe-Pressestelle gibt an, dass der örtliche Rewe-Markt „alle unverkäuflichen, aber unbedenklich verzehrbaren Lebensmittel“ an die Tafeln weitergebe.
Corinna und Katrin können zwar nicht so ganz glauben, dass tatsächlich alles von der Tafel abgenommen wird, was die Supermärkte nicht mehr verbrauchen können. Aber sie wollen sich auch nicht weiter aufdrängen. Sie hoffen darauf, dass die Marktleiter sich tatsächlich – wie versprochen – bei ihnen melden werden, wenn sie neben den Tafellieferungen weitere Lebensmittel retten lassen möchten. „Letztendlich verringern wir ja den Müll der Supermärkte“, erklärt Corinna Kulzer. „Für die Betreiber bedeutet es also im Endeffekt Kosten- und Arbeitsersparnis, wenn sie Lebensmittel von uns abholen lassen.“
Lob für das ehrenamtliche Engagement
Für die Abholer wäre es eine große Freude, wenn noch mehr Geschäfte mitmachen würden. Nicht, weil sie sich die Lebensmittel sonst nicht leisten könnten. Sondern weil sie vermeiden möchten, dass genießbare Esswaren im Müll landen. Einer, der diesmal eine gerettete Kiste voller Obst und Gemüse samt Kühltasche voll Käse, Wurstsalat und Milch abholt, ist Günter Maier.
Der Familienvater engagiert sich schon lange für nachhaltige Lebensentwürfe in Waldkirchen, veranstaltet unter anderem den Onlinebasar „Kibaza“ für Kindersachen. „Ich bin über Facebook auf die Lebensmittelretter gestoßen“, berichtet er. Dort hatte jemand ein Gericht gepostet, das er aus den geretteten Nahrungsmitteln hergestellt hat. „Meine Arbeitskollegen in Passau sind total neidisch, weil es hier bei uns eine Lebensmittelretter-Gruppe gibt – und bei ihnen nicht.“
Jede Packung Käse, jede Banane und jede Gurke, die er vor dem Wegwerfen bewahren könne, sei es wert. Maier lobt das Engagement von Corinna und ihren Mitstreitern: „Sie investieren hier mehrere Stunden pro Woche für die gute Sache.“ Und das für einen recht kleinen Jahresbeitrag seitens der Abholer: „Ich persönlich habe zusätzlich zu den fünf Euro Jahresgebühr auch schon an die Lebensmittelretter gespendet.“
Nach fünf Minuten sind alle Kisten weg
Heute dauert es keine fünf Minuten, dann sind alle zwölf Kisten verteilt, die Abholer fahren zufrieden nach Hause. Für die Übergabe mussten sie lediglich ihren digitalen Mitgliedsausweis mitbringen, den jeder erhält, der sich auf der Internetseite registriert und den Jahresbeitrag gezahlt hat. Damit kaufen Corinna und die anderen Kühltaschen und -boxen, finanzieren die Versicherung, die sie abschließen mussten, und vieles weitere mehr. Sie selbst bekommen kein Gehalt oder Ähnliches für ihr Engagement. Es geht ihnen allein um die Sache. Um ein Zeichen gegen die nach wie vor kursierende Wegwerf-Mentalität.
Sabine Simon