Waldkirchen. Die Grundschulen im Stadtgebiet Waldkirchen sind in die Jahre gekommen. Eine Sanierung würde Millionen verschlingen. Ein Thema, das die Gemüter erhitzt, denn: Es geht um die Zukunft der Kinder, um optimale Lernbedingungen und Lernumgebungen. Und es geht um eine Stange Geld. Bürgermeister Heinz Pollak favorisiert eine Lösung, die nicht alle gutheißen, nämlich: die Dorfschulen in Holzfreyung, Böhmzwiesel und Karlsbach zu schließen – und im Gegenzug zentral in Waldkirchen eine große, moderne Grundschule für alle Schüler zu errichten.

In der Dorfschule in Karlsbach werden derzeit weniger als 40 Kinder unterrichtet. Wenn in Waldkirchen eine zentrale Grundschule gebaut wird, muss sie schließen. Foto: Duschl
Die Fakten: Laut Rathauschef Pollak gibt es vor allem in den Grundschulen Böhmzwiesel und Holzfreyung einen erheblichen Investitionsstau – von mindestens acht Millionen Euro ist die Rede. Auch das Gebäude der Maria-Ward-Grundschule in Waldkirchen ist nicht mehr zeitgemäß ausgestattet – auch hier müsste dringend investiert werden.
Etliche Probleme müssen gelöst werden
Hinzu kommt der Lehrermangel, unter dem bayerische Grundschulen derzeit generell leiden: Wenn Lehrkräfte für kleine Klassen in Dorfschulen gebraucht werden, fehlen sie an den größeren Standorten, so das Argument für die Schließung der „Zwerg-Schulen“. Ein weiterer Grund für eine zentrale Grundschule: Ab 2026 muss der jeweilige Träger verpflichtend eine Ganztagesbetreuung anbieten. An den kleineren Standorten ließe sich dafür kaum Personal finden, meint Pollak. Außerdem gäbe es nur in der Waldkirchener Grundschule eine Schulmensa. Weitere Schwierigkeiten wie Parkplatznot oder Probleme aufgrund fehlender oder zu kleiner Turnhallen müssten ebenfalls beseitigt werden.

In Karlsbach gibt es zwar eine Schulküche, aber weder Mensa noch Nachmittagsbetreuung. Foto: Elternbeirat
Pollaks Lösungsidee: Der Neubau eines großen Grundschul-Gebäudes in der Mitte der Stadt. Idealer Standort dafür: Das Gelände, auf dem sich derzeit noch das alte Mittelschulgebäude befindet. Die Finanzierung des Abrisses und die Nachnutzung beschäftigen den Stadtrat schon länger. Nicht nur dieses Problem wäre mit einem Schul-Neubau auf dem Areal gelöst: Gleichzeitig bringt Pollak die Möglichkeit ins Feld, die alten Grundschulbauten als Kindergärten weiter zu nutzen und dadurch das Raumproblem auch hier zu lösen.
„Wir sind keine hysterischen Eltern“
Planen soll den Neubau der zentralen Grundschule die Firma „LernLandSchaft“ rund um Inhaberin Karin Doberer. Sie gestaltet Schulen nach modernem Konzept: Es gibt zwar abgeschlossene Klassenräume, dazu aber auch viele Begegnungsflächen, auf denen sich Schüler unterschiedlicher Jahrgangsstufen treffen, auf denen Lehrer ihren Unterricht freier und flexibler gestalten können.
Was auf den ersten Blick nach zukunftsweisenden Lernbedingungen klingt und was Pollak zufolge den Vorteil hätte, dass alle Grundschüler im Stadtgebiet unter gleichen Voraussetzungen lernen könnten, stößt bei einigen Eltern auf wenig Gegenliebe. Eine Gruppe rund um den Elternbeirat der Grundschule Karlsbach hat beschlossen, für den Erhalt der Dorfschulen im Waldkirchner Stadtgebiet zu kämpfen.

Elternbeiratsvorsitzende Heidi Brunner (rechts) und ihre Vorgängerin Yvonne Hobelsberger (links) wollen für die Dorfschulen kämpfen. Foto: Elternbeirat
Jene modernen Lernbedingungen habe man in der kleinen Einrichtung im Waldkirchener Norden längst geschaffen, betont Heidi Brunner, Elternbeiratsvorsitzende in Karlsbach: „Wir haben ein Außenklassenzimmer, eine Schulgarten-AG, eine Bücherei, fördern die musische Entwicklung der Kinder im Schulchor und durch Flötenunterricht“, zählt sie auf. All dies sei vor allem das Ergebnis des ehrenamtlichen Engagements der Eltern. Zudem sei die Dorfschule barrierefrei und in einem vergleichbar guten baulichen Zustand.
All diese Argumente bringt Brunner in erster Linie deshalb vor, um die Stadträte zum Nachdenken anzuregen – hinsichtlich der Frage, ob mehrere dezentrale Schulstandorte tatsächlich nur Nachteile für Waldkirchen haben und ob eine große Grundschule wirklich die einzige Lösung ist. „Wir sind keine hysterischen Eltern, die auf Biegen und Brechen ihre Schule erhalten wollen“, sagt Brunner. „Aber wir möchten, dass auch die Vorteile unserer kleinen Einrichtung betrachtet und nicht nur Nachteile aufgezeigt werden.“ Yvonne Hobelsberger, die den Elternbeirat in den vergangenen Jahren geführt hatte, ergänzt: „Wir wollen auf Augenhöhe betrachtet werden.“ Was sie nicht wollen: eine Spaltung in Dörfler gegen Städter.
In Neureichenau durften alle mitreden
Ähnliche Planungen wie in Waldkirchen sind in der Gemeinde Neureichenau bereits vor Jahren angelaufen: Hier wartet man aktuell auf den Bescheid vom Freistaat Bayern, dass mit dem Bau der neuen Grund- und Mittelschule im Hauptort Neureichenau begonnen werden kann, teilt Bürgermeisterin Kristina Urmann auf Hog’n-Nachfrage mit. Auch hier sollen die bisherigen Grundschulstandorte in Altreichenau und Lackenhäuser geschlossen werden. Auch hier ist der Neubau nach dem Konzept der „LernLandSchaft“ geplant.
In Neureichenau scheint Widerstand gegen die Maßnahme allerdings nicht vorhanden zu sein. Grund dafür ist, dass alle Beteiligten in sämtliche Überlegungen und Planungen mit einbezogen wurden, wie die Rathaus-Chefin betont. „Von Anfang an waren alle beteiligt: Bürgermeister, Gemeinderäte, Schulleitung, Lehrer, Elternbeiräte und auch die Schülersprecher“, erinnert sich auch die Neureichenauer Schulleiterin Andrea Stockbauer-Gibis. „Alle wurden ernstgenommen – und am Ende ist keiner böse rausgegangen.“ Selbst die Kindergarten-Leitung sei mit einbezogen worden, da der Neureichenauer Kindergarten mit der sogenannten Reggio-Pädagogik ein ganz ähnliches Konzept verfolgt wie die „LernLandSchaft“.

Neureichenaus Bürgermeisterin Kristina Urmann betont: „Wir haben von Anfang an alle eingebunden.“ Foto: Hog’n-Archiv
Der Prozess zur Umbildung der hiesigen Schullandschaft habe 2017 begonnen. Damals habe man sich über anstehende Renovierungsarbeiten unterhalten – und es sei zum ersten Mal die Idee eines zentralen Schul-Neubaus nach modernen Kriterien ins Gespräch gebracht worden. 2018 habe es dann eine große gemeinsame Veranstaltung gegeben, bei der erste Gedanken vorgestellt wurden und sich Lehrer, Eltern und Gemeinderäte einbringen konnten. Danach folgte eine gemeinsame Exkursion nach Dinkelsbühl, wo man bei Workshops und Schulbesichtigungen gemeinsam das Konzept „LernLandSchaft“ kennenlernen durfte. „Das hat auch die Kritiker überzeugt“, erinnert sich Schulleiterin Stockbauer-Gibis. Erst danach begannen die konkreten Planungen zusammen mit der Firma „LernLandSchaft“ und einem Planungsbüro vor Ort.
Ganz andere Dimensionen in Waldkirchen
In Waldkirchen lief die Anfangsphase anders ab: Hier gab es kein gemeinsames Treffen. Bürgermeister Pollak informierte zunächst in einer nicht-öffentlichen Sitzung den Stadtrat über seine bereits zu diesem Zeitpunkt recht konkreten Ideen. Danach die Lehrer.

Ebenfalls Teil der Diskussion: Die Nachnutzung der Turnhallen. Foto: Duschl
Vor wenigen Tagen fand ein Informationsabend für die Elternbeiräte der vier Grundschulen statt. Die von Seiten der Stadt priorisierte Variante des Neubaus einer zentralen Grundschule wurde dabei vorgestellt. Bereits im Vorfeld des Informationsabends waren allerdings Informationen durchgesickert – und es regte sich unter den Eltern Widerstand gegen die Vorstellung, alle Dorfschulen zu schließen. Einige fühlten sich nicht einbezogen, nicht ernstgenommen, nicht gehört. „Pollak argumentiert nur in eine Richtung“, kritisiert auch CSU-Stadträtin Sonja Kozeny. Die Karlsbacherin ist eine derjenigen, die sich im Stadtrat für die Dörfer einsetzen will.

Die Vorzüge des Schulgartens in Karlsbach können weniger als 40 Kinder genießen. Foto: Elternbeirat
Der zweite Unterschied zwischen Neureichenau und Waldkirchen betrifft die Schülerzahlen: Während in der Dreisessel-Gemeinde insgesamt rund 130 Grundschüler künftig zusammen in einem Gebäude gleich neben der Mittelschule unterrichtet werden sollen, sind es in der größten Stadt des Landkreises insgesamt mindestens 350 Buben und Mädchen.
Derzeit sind die Waldkirchner Schüler nicht gerade gleichmäßig auf die vier Standorte verteilt: Während in der Maria-Ward-Grundschule aktuell 248 Schüler unterrichtet werden, sind es in Holzfreyung und in Karlsbach jeweils nur rund 40. Genau diese Unterschiede will Pollak beseitigen: Alle Grundschüler sollen unter gleichen Bedingungen lernen, sprich: nicht die einen in großen Klassen und die anderen in Kombiklassen, die gerade so die Mindestschülerzahl erreichen.
Dorfschulen als unrentables Modell ohne Zukunft?
Geht das nur in einer großen, zentralen Grundschule? Könnte man die Schüler nicht auch gleichmäßiger auf mehrere Standorte verteilen? Busverbindungen sind ein Problem. Die Eltern aus Karlsbach fragen sich allerdings, ob man dieses nicht lösen könnte. Übrigens wären sie durchaus dafür offen, wenn ihre Kinder zum Beispiel in Böhmzwiesel in die Grundschule gehen würden. Wichtig ist ihnen einzig und allein: statt möglichst schnell eine Entscheidung zu treffen, solle der Stadtrat sich tiefgehend darüber Gedanken machen, ob Dorfschulen tatsächlich ein unrentables Modell ohne Zukunft sind.
Jedenfalls: Noch ist in Waldkirchen nichts entschieden. „Generell ist alles denkbar“, sagt Heinz Pollak. „Aber ich bezweifle, ob auch alles umsetzbar wäre.“ Dass genau darüber in den nächsten Wochen diskutiert wird – im Optimalfall mit allen Beteiligten –, wünschen sich viele Waldkirchner. Diejenigen, die im Stadtgebiet wohnen genauso wie diejenigen, die außenrum leben.
Sabine Simon
- Dazu ein Kommentar: Des Bürgermeisters missliche Kommunikationsstrategie