Bayern. Es ist heiß, es ist Sommer, die Leute haben Durst. Das Coronavirus hat sie ohnehin viel zu lange vom Feiern abgehalten. Daher sind die Volksfeste bestens besucht und die Bierzelte voll. Und auch bei denjenigen, die sich darin dem Nationalgetränk der Bayern in großen Mengen hingeben, nimmt das Rauschgefühl von Maß zu Maß zu. Der „Normalzustand“ scheint wieder hergestellt. Doch: Warum ist es eigentlich „normal“, wenn sich Menschen massenhaft versammeln, um dem kollektiven Alkoholkonsum in aller Öffentlichkeit zu frönen? Und: Was wäre eigentlich, wenn selbige Festivitäten mit z.B. Cannabis zelebriert würden? Ein Streitgespräch unter Hog’n-Redakteuren.
Hörhammer: Ich habe mal kurz gegoogelt, wann das mit dem Bier-Konsum alles angefangen hat. Wikipedia sagt, dass der älteste bis dato bekannte Braubetrieb in der Rakefet-Höhle vor etwa 13.000 Jahren im heutigen Israel entstanden ist. Das älteste überlieferte Bierrezept soll um die 5.000 Jahre alt sein und aus China stammen. Und die Kelten kannten bereits mehrere Biersorten. Der Gerstensaft scheint also eine ziemlich lange Geschichte zu haben. Was vermutlich erklärt, warum das Hantieren mit vollen Bierkrügen in vollen Bierzelten so voll normal geworden ist. Doch es ändert meiner Meinung nach nichts daran, dass es sich beim Inhalt der Krüge schlichtweg um eine Droge handelt. Alkohol ist eine Droge. Und diese wird gerade zur Volksfestzeit mehr denn je verharmlost…
Bayerische Soziologie und DNA
Weigerstorfer: Höha! Langsam reiten, Kutscher! Bier ist zunächst einmal bayerisches Kulturgut, das – wie du schon richtig erkannt hast – zum bayerischen Lebensgefühl und zur Tradition dieses Landstrichs schon immer mit dazu gehört. Es ist Teil der „Liberalitas Bavariae“, der bayerischen Soziologie und DNA. Bier ist hierzulande vergleichbar mit der Friedenspfeife bei den Indianern. Es hat einen großen gesellschaftlichen Stellenwert, bringt die Menschen zusammen, animiert sie zum gemütlichen Beisammensein, hat eine beruhigende Wirkung, lässt einen die Sorgen des Alltags vergessen. Bier als Droge zu bezeichnen – das ist doch lächerlich, Hörhammer! Drogen sind Crystal, Kokain, Heroin und all das Zeugs. Aber Bier doch nicht!
Hörhammer: Dann lies dir doch einfach mal die täglichen Polizeimeldungen durch – vielleicht überdenkst du dann ja nochmal deine soeben verlautbarte Einschätzung. Die Leute schlagen sich gegenseitig den Schädel ein, sobald sie ihr verträgliches Maß an Alkohol überschritten haben. Sie werden zu Tieren, springen sich an die Gurgel und vergessen jegliche Kinderstube. Die Dosis macht das Gift, das ist bei allem so. Doch beim Alkohol werden grundsätzlich jegliche Grenzen überschritten bzw. gerne „vergessen“.
Ist ja auch an jeder Straßenecke verfügbar, der Stoff. Im Kiosk, im Supermarkt, beim Metzger, im Freibad, im Kino, an der Tankstelle – und in den Wirtshäusern und Festzelten sowieso. Und was machen die Politiker? Die grinsen noch recht geschäftig von der Bierbank weg in die Kameras der Presseleute und prosten mit vollen Maßkrügen wie selbstverständlich „dem Volk“ stimmenfangträchtig zu. Nennst du das etwa vorbildlich? Für unsere Kinder und Jugendlichen?
Weigerstorfer: Geh Kollege, jetzt lass doch mal die Kirche im Dorf. Klar lassen sich die Politiker bei den Volksfesten sehen – weil, wie du richtig sagst, da das Volk vertreten ist, das sie in Berlin und München vertreten sollen. Und das Volk trinkt nunmal gerne Bier. Das kannst du drehen und wenden wie du willst. Außerdem wissen die meisten, wann sie genug haben. Vor allem die Autofahrer, die ja schließlich ihren Führerschein behalten wollen. So viel Eigenverantwortung kann man den Leuten schon zutrauen. Außerdem hat der Bierkonsum in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich nachgelassen. 1970 waren’s in Deutschland noch 151 Liter pro Kopf und Jahr. Heute sind es weniger als 95 Liter. Im Freistaat ist im vergangenen Jahr erfreulicherweise der Absatz im Vergleich zu den anderen Bundesländern zumindest wieder um zwei Prozent gestiegen. Das hebt die Stimmung, erhält Arbeitsplätze und steigert das Bruttosozialprodukt!
Opium fürs Volk
Hörhammer: Quatsch mit Soße! Das lässt die Leute immer mehr verblöden und sich ihrem Schicksal ergeben. Brot – in dem Fall Bier – und Spiele nach dem Vorbild altrömischer Cäsaren sollen die Gesellschaft betäuben und sie gefügig machen. Alkohol ist nichts anderes als Opium fürs Volk, um die Menschen nicht erkennen zu lassen, in welchem Film sie da eigentlich tagtäglich mitspielen und das Hamsterrad zum Wohle weniger drehen. Die Wirkung ist ähnlich wie beim schier unerträglich gewordenen Fernsehprogramm. Hauptsache Berieselung, Zudröhnung, Zerstreuung – Konsum! Und das alles unter dem Deckmantel der „Bierkultur“. Wenn Cannabis denselben Stellenwert hätte wie Alkohol und sich die Massen in Zelten treffen würden, um dort gemeinsam einen Joint zu rauchen – was wäre dann? Aber nein, das ginge ja so ganz und gar nicht! Die Politik würde ausrasten und nach dem Eingreifen der Drogenpolizei schreien, sie würde die Gefahren von Marihuana heraufbeschwören und ein Ende dieser „Drogenfeste“ fordern. Merkst was, Weigerstorfer?

Abhängigkeiten, körperlich wie geistig, können durch den Konsum von Cannabis entstehen. Symbolfoto: pixabay.com
Weigerstorfer: Du sprichst von Doppelmoral, wo keine ist. Cannabis mit Alkohol zu vergleichen, das schlägt ja wohl dem Fass den Boden aus. Das sind zwei völlig unterschiedliche Paar Schuhe. Regelmäßiger Konsum von Cannabis beeinträchtigt Konzentration, Aufmerksamkeit und Lernfähigkeit sowie die Lungenfunktion. Zudem wird das Risiko für Lungenkrebs erhöht. Dauerhafter Konsum verursacht Desinteresse und Antriebslosigkeit gegenüber dem alltäglichen Leben. Man isoliert sich zunehmend. Die Lebenszufriedenheit lässt nach. Psychosen können entstehen. Und vor allem Abhängigkeiten, körperlich wie geistig. Diese Gefahren sehe ich bei ein, zwei oder auch mal drei Bierchen nicht als gegeben. Bier ist ein Genussmittel, das gar gesundheitsfördernd ist!
Hörhammer: Die Folgen, die du da gerade so schön aufgezählt hast, sind bei Alkoholmissbrauch ebenso vorhanden – und noch viele mehr. Wie gesagt: Ich finde, dass Alkohol genauso eine Droge ist wie alle anderen Rauschmittel. Sie hat nur den Vorteil, gesellschaftlich anerkannter und etablierter zu sein – weil sie eben in Form des allseits beliebten Nationalgetränks Bier daherkommt. Aber die Leglasierung von Cannabis schreitet ja bereits voran, wie wir wissen. Und vielleicht sitzt ja schon beim nächsten Volksfest der Kiffer neben dem Biertrinker im Festzelt. Mal schauen, wie sich die beiden dann im direkten (Langzeit-)Vergleich so machen…
Frage an die Leserschaft: Was denkt ihr? Ist Alkohol im Allgemeinen und Bier im Speziellen als Droge anzusehen oder nicht? Wir sind gespannt auf Eure Kommentare direkt unter diesem Artikel bzw. auf unserer Hog’n-Facebook-Seite.
da Hog’n