Passau. Zuallererst ist festzuhalten: Es gilt die Unschuldsvermutung – und zwar solange, bis die Schuld tatsächlich nachgewiesen ist. Dies gilt freilich auch im Falle von Matthias Weigl. Gegen den Jungpolitiker der Grünen, der (nun fraktionsloses) Mitglied im Passauer Stadtrat ist, hat die Staatsanwaltschaft Passau ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts einer Sexualstraftat eingeleitet, wie Oberstaatsanwalt Walter Feiler auf Nachfrage bestätigt. Der 23-Jährige sieht sich zu unrecht beschuldigt. Der Grünen-Kreisverband hat mittlerweile Konsequenzen gezogen. Genauso das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung Passau.

Dieses Bild postete der Stadtverband der Passauer Grünen im Oktober 2020 auf seiner Facebook-Seite. Darauf zu sehen sind (neben den Grünen-Mitgliedern Diana Niebrügge (2.v.r.) und (2.v.l.) Véronique Coiffet): Matthias Weigl (links) und Susanna Lindlein (rechts), Sprecherin der BfsS-Petition „Passau for choice“ und Mitglied im Vorstand der Grünen Passau-Stadt. Damals schien die Welt noch in Ordnung. Foto: Grüne Passau-Stadt/Facebook
Das BfsS (medial bekannt durch die Petition „Passau for choice – Schwangerschaftsabbrüche am städtischen Klinikum ermöglichen“) hat den Kreisverband der Grünen Passau nach den Missbrauchsvorwürfen gegen Weigl ausgeschlossen. Grund dafür sind unterschiedliche Vorstellungen über einen feministischen Umgang mit einer solchen Situation, wie einer Pressemitteilung zu entnehmen ist.
„In fundamentalem Widerspruch zu unserem Selbstverständnis“
„Der Vorfall zeigt, ebenso wie die kürzlich aufgekommene #metoo-Debatte in der Linken, dass die Gesellschaft noch weit entfernt von tatsächlicher Gleichberechtigung ist. Männer gelten als glaubwürdiger als Frauen. Als Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung stehen wir klar auf der Seite von Betroffenen und fordern Aufarbeitung sowie die Etablierung von Strukturen, die in Zukunft zu zeitnahen Konsequenzen führen und Betroffene ernst nehmen. Diese dürfen keine Angst mehr davor haben, über das zu reden, was ihnen widerfahren ist“, sagt Klara Meyer, Sprecherin des Bündnisses.

Galt als großer Hoffnungsträger der Passauer Grünen: Matthias Weigl, vor vier Jahren jüngster Direktkandidat der bayerischen Grünen bei der Landtagswahl. Mit mehr als 17 Prozent der Erststimmen landete er im Wahlkreis Passau am Ende auf Platz zwei. Foto: Hog’n-Archiv
Im Verlauf der Aufarbeitung und in der Kommunikation mit dem Bündnis, dem die Grünen Passau seit 2019 angehörten, seien Aussagen gefallen, die „in unseren Augen die Würde von Betroffenen sexualisierter Gewalt verletzen und in fundamentalem Widerspruch zu unserem Selbstverständnis stehen“, teilt Klara Meyer weiter mit. Eine Basis für weitere Zusammenarbeit sei erst dann wieder gegeben, wenn sich im Kreisverband Kräfte durchsetzen, die Feminismus auch in die Praxis umsetzen.
„Als Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung ist es unser Ziel, dass Betroffene von sexualisierter Gewalt offen über ihre Erfahrungen sprechen können, ohne dass diese ihnen abgesprochen werden oder sie gar selber beschuldigt werden. Die selbstverständlich vor Gericht geltende Unschuldsvermutung darf nicht dazu missbraucht werden, Betroffene von sexualisierter Gewalt und Feminist*innen außerhalb des Gerichtsgebäudes mundtot zu machen“, erklärt Meyer.
„Ein vollständiger Rücktritt bleibt notwendig“
„Vorstand und Fraktion der Grünen Passau haben den genannten Fall mit großer Betroffenheit zur Kenntnis genommen und haben umgehend eine parteiinterne umfassende und gründliche Aufklärung und Suche nach Lösungswegen im Sinne der Betroffenen unter Einbezug von Fachexpertise eingeleitet“, teilt der Kreisverband auf Hog’n-Nachfrage mit und ergänzt: „Mit der Betroffenen sind wir über unsere 2015 gegründete Ombudsstelle des Landesverbands der bayerischen Grünen im Austausch, die Betroffenen sexualisierter Gewalt Hilfe anbietet.“
Matthias Weigl wurde in einem ersten Schritt dazu aufgefordert und hat akzeptiert, alle Parteiämter und sein Stadtratsmandat mit sofortiger Wirkung und bis auf Weiteres ruhen zu lassen. „Dieser Schritt war notwendig für die gründliche und umfassende Bearbeitung des Verdachtsfalls.“ Aufgrund des laufenden Ermittlungsverfahrens und der Schwere des Vorwurfs sei eine Zusammenarbeit nicht mehr möglich. „Auch um Schaden vom Stadtratsamt abzuwenden, wurde Weigl aufgefordert, sein Stadtratsmandat niederzulegen. Weigl teilte der Fraktion daraufhin seinen Austritt aus der Fraktion mit. Ein vollständiger Rücktritt bleibt notwendig.“

Die Vorstandschaft des Passauer Grünen-Kreisverbands: (v.l.) Schatzmeisterin Petra Schwarzkopf, Vorstandssprecher Andreas Auer, Beisitzer Norbert Entfellner, Vorstandssprecherin Monika Solomon, Beisitzer Christopher Zehetbauer und Beisitzerin Diana Niebrügge. Foto: gruene-passau.de
Weiters teilt der Kreisverband mit: „Klar ist: Die Partei stellt sich geschlossen und mit aller Schärfe jeder sexualisierten Gewalt entgegen. Gewalt und Missbrauch sind Straftaten und nicht zu entschuldigen oder zu verharmlosen. Gleichzeitig gilt auch in diesem Fall die Unschuldsvermutung. Wir empfehlen allen Beteiligten, mit den Behörden zusammenzuarbeiten, damit umfassend und rasch aufgeklärt werden kann.“
Die Grünen, so betont der Kreisverband, würden entschlossen eine Politik vertreten, die die Opfer von Gewalt besser schützt und Täter und Täterinnen konsequent verfolgt – das gilt auch dann, wenn sie aus den eigenen Reihen sind. Wir appellieren an alle Betroffenen sexualisierter und körperlicher Gewalt, eine qualifizierte Beratung aufzusuchen und sich mitzuteilen. Wir wissen, dass dies sehr viel Mut und Überwindung kosten kann.“
Auf Anzeige folgte die Gegenanzeige
Die Ermittlungen gegen Weigl sind indes noch nicht abgeschlossen, wie die Staatsanwaltschaft Passau informiert. „Der Ausgang des Ermittlungsverfahrens ist offen. Weitere Auskünfte können aufgrund des Persönlichkeitsschutzes der Beteiligten derzeit nicht erteilt werden“, lässt Oberstaatsanwalt Walter Feiler wissen. Die Anzeige gegen Weigl sei im Januar dieses Jahres eingegangen, wie die Lokalzeitung berichtete. Im Februar habe der Jungpolitiker Gegenanzeige erstattet, die u.a. den Bereich Verleumdung und Vortäuschen einer Straftat betreffe.
„Ich bitte um Verständnis, dass ich mich zu den Gegenständen der Ermittlungsverfahren derzeit nicht äußern werde“, ließ Weigl über seine Anwältinnen gegenüber der Presse Anfang Juni mitteilen. Er sei zuversichtlich, dass die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen seine Unschuld belegen werden. Er bitte zudem darum, seine Privatsphäre und die Unschuldsvermutung zu achten.
Stephan Hörhammer
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Nachtrag am 6. Juli 2022: Nach Veröffentlichung dieses Beitrags hat sich der Jungpolitiker bei der Redaktion wie folgt schriftlich zu Wort gemeldet: „Der im Raum stehende Vorwurf ist falsch. Sowohl das Erheben als auch das Verbreiten eines derartigen falschen Vorwurfes ist rechtswidrig, deshalb habe ich zu Beginn des Jahres in diesem Zusammenhang Anzeige bei der Staatsanwaltschaft erstattet. Ich bitte um Verständnis, dass ich mich zum laufenden Ermittlungsverfahren nicht weiter äußere. Ich setze großes Vertrauen in die Arbeit der Staatsanwaltschaft, bin zuversichtlich, dass die Ermittlungen meine Unschuld belegen werden und ich bitte darum, meine Privatsphäre zu achten.“
Die Hog’n-Redaktion hatte ihn um Stellungnahme bzgl. der Pressemitteilung des Bündnis‘ für sexuelle Selbstbestimmung Passau (siehe oben) gebeten und zudem gefragt, was an den Vorwürfen gegen seine Person dran sei und wie er in dieser Angelegenheit weiter vorgehen wolle.
da Hog’n