Regen/FRG. Auffällig ist es schon. Vor allem Spaziergängern und Wanderern, die sich regelmäßig in der Natur des Bayerischen Waldes aufhalten, dürfte es nicht entgangen sein. In den vergangenen Jahren sind links und rechts der Waldwege immer wieder größere Flächen gerodet worden. Das Landschaftsbild hat sich teils immens verändert. Dort, wo vor Kurzem noch dichter Baumbewuchs vorhanden war, herrscht nun eine ungewohnte, fast unwirkliche Leere. Ähnlich einer Mondlandschaft.
Im Raum Zwiesel wurde jüngst eine Waldfläche von rund 20 Hektar geschlagen. Kahlschlag. Der Borkenkäfer als Ursache, heißt es. „Es ist nicht klug, solch große Kahlschläge zu machen – doch manchmal bleibt einem nichts anderes übrig, wie man im Frankenwald oder in Mitteldeutschland gesehen hat bzw. sieht“, erklärt Christoph Salzmann vom Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (AELF) mit Sitz Regen dazu. „Wenn eine große Käferfläche betroffen ist, muss etwas gemacht werden, weil wir sonst noch mehr Käfer bekommen.“
Kahlschlag: nicht verboten, aber zu vermeiden
Das AELF ist mit seinen zehn Revierleitern zuständig für die Landkreise Freyung-Grafenau und Regen, ist Ansprechpartner für alle Bürgerinnen und Bürger sowie land- und forstwirtschaftliche Unternehmen. „Wir haben direkten Kontakt zu den Waldbesitzern und sind beratend tätig“, berichtet Forstrat Salzmann, der im Leitungsdienst der Regener Behörde aktiv ist. Der 30-Jährige aus Peiting im Landkreis Weilheim-Schongau, einer Fichtenregion im Alpenvorland, die dem Bayerwald nicht unähnlich ist, hat in Freising an der TU Forstwissenschaft studiert und ist seit einem Jahr Mitglied im AELF-Bayerwald-Team. Das Onlinemagazin da Hog’n hat sich mit ihm über die Lage des Waldes unterhalten:
Herr Salzmann: Gefühlt hat die Abholzung in den Wäldern im Bayerischen Wald in den vergangenen Jahren stark zugenommen. So manchem Spaziergänger blutet beim Anblick teils großflächig eingeschlagener Flächen das Herz. Kann eine derartige Entwicklung anhand von Zahlen Ihrerseits belegt bzw. widerlegt werden?
Ich kenne die Situation erst seit einem Jahr und kenne die Situation, wie sie meine Revierleiter und meine Kollegen beschreiben. Es gibt keine Inventur oder Aufnahmen, die bemessen, wie viele Bäume im Bayerischen Wald bzw. in den Landkreisen Regen oder Freyung-Grafenau gefällt worden sind. Es gibt eine bundesweite Großrauminventur, in deren Rahmen auch Auswertungen für das Bundesland Bayern vorgenommen werden. Diese wird alle zehn Jahre durchgeführt, die letzte fand 2012 statt – aktuell wird also wieder eine Bundesinventur gemacht.
Das heißt also, dass private Waldbesitzer, die aus ihrem Bestand Holz entnehmen, keiner Meldepflicht für ein Register oder Ähnliches unterliegen?
Richtig. Das Waldgesetz, das relativ liberal gestaltet ist, stammt aus den 70er Jahren. Der Waldbesitzer hat demnach relativ viele Freiheiten. Eigentum verpflichtet aber auch: Es gelten etwa Naturschutzgesetze, an die man sich halten muss. Zudem muss der Wald sachgemäß bewirtschaftet werden. Stichwort Kahlschlag: Ein Verbot gibt es nicht, man sollte ihn jedoch vermeiden. Vor hundert, zweihundert Jahren waren Kahlschläge ganz normal. Unsere Wälder, die hundert oder zweihundert Jahre alt sind, kommen also aus dieser Zeit. Jetzt werden die Wälder umgebaut, man hat andere Ziele. Früher war großflächig die Fichte vorhanden, heute sind gemischte, strukturreiche Wälder gefragt. Das hat auch mit dem Klimawandel und der Borkenkäfer-Problematik zu tun. Es kann daher der Eindruck entstehen, dass auf der ein oder anderen Fläche mehr Holz geschlagen wird als früher.
„Einzelne Bäume werden häufig stehen gelassen“
Was unternimmt das AELF, wenn sie größere gerodete Waldflächen entdeckt?
Wenn sie auffällig sind, kontaktieren wir den jeweiligen Waldbesitzer in beratender Funktion. Freilich wäre es besser, wenn er vorher zu uns kommt und fragt, was man in diesem oder jenem Fall tun könnte. Er muss das aber nicht tun. Wir informieren ihn dann etwa darüber, dass ein Kahlschlag in einer bestimmten Größe nicht geeignet ist oder beraten ihn hinsichtlich neuer Anpflanzmöglichkeiten sowie entsprechender Förderungen.
Generell gefragt: Ab wann ist ein Kahlschlag ein Kahlschlag?
Es gibt im Gesetz keine Flächengröße, die besagt, dass es sich ab einer gewissen Zahl an Quadratmetern um einen Kahlschlag handelt oder nicht. Sobald Freiluftklima entsteht und keine Verjüngung mehr vorhanden ist, ist es ein Kahlschlag. Das heißt: Von Weitem kann die Fläche oftmals wie ein Kahlschlag aussehen, wenn jedoch bereits junge Fichten oder Buchen nachwachsen, ist es rechtlich betrachtet kein Kahlschlag mehr, weil eben eine Verjüngung vorhanden ist.
Ob ein Kahlschlag immer die optimale Eingriffsweise aus waldbaulicher Sicht ist, darüber kann man diskutieren. Viele Waldbesitzer haben Angst davor, wenn sie eine bestimmte Menge an Bäumen entnehmen, dass im Nachbarbestand der Käfer einzieht. Das heißt: Sie wollen Probleme, die entstehen könnten, vorbeugend verhindern – und entnehmen daher die restliche Fläche auch gleich noch, weil da dann kein Käfer mehr reingehen kann.
Einzelne Bäume werden häufig stehen gelassen – meist einzelne Tannen, Ahorn oder Buche -, damit von diesen Bäumen, die der Käfer nicht erwischt, weil er ja überwiegend auf die Fichte geht, noch Samen abgeworfen werden können bzw. dadurch ein Bestandsklima erhalten werden kann.
„Je später man anfängt, umso schwieriger wird es“
Welche Gründe gibt es für die zugenommene Abholzung?
Wie bereits angeschnitten, gab es in der Vergangenheit sehr starke, geschlossene Wälder, die jetzt aufgrund des Klimawandels und des Borkenkäferbefalls anfällig werden. Der Borkenkäfer spielt eine zentrale Rolle. In den extrem trockenen Jahren 2018, 2019 und auch 2020 konnte er sich im Nachgang von Sturm Kolle sehr stark ausbreiten. 2021 ist die Borkenkäfer-Population wieder deutlich abgeklungen. Heuer hat uns das relativ feuchte und nicht allzu warme Frühjahr in die Karten gespielt. Wenn es jedoch von nun an kaum noch regnet, kann sich die Käfermenge schnell wieder erhöhen.
Im Vergleich zu Mitteldeutschland sind wir aber bis jetzt noch gut davon gekommen. Die heimischen Waldbesitzer haben gute Arbeit geleistet. Wir haben wegen dem Käfer zwar größere Kahlschläge, wenn man sich aber andere Mittelgebirge hierzulande anschaut, befinden wir uns noch auf der gesegneten Seite – sowohl beim Klima als auch bei der Frage, was mit den Wäldern künftig passiert.
Animiert das AELF Privatwaldbesitzer dazu, dass sie käferbefallenes Holz entnehmen sollen?
Zunächst gilt: Der Waldeigentümer ist selbst dafür verantwortlich. Es gibt eine Verfügung seitens der Regierung, die besagt, dass der Waldbesitzer dafür zu sorgen hat, den Borkenkäferbefall zu bekämpfen. Wir gehen dann beratend auf sie zu, etwa wenn wir eine Käfermeldung zugetragen bekommen, und teilen ihnen mit, welche Möglichkeiten es zur Bekämpfung gibt. Die Ultima Ratio ist immer das Spritzen von Bekämpfungsmitteln. Das kommt eigentlich kaum vor, wäre aber erlaubt.
Normalerweise entnimmt man das Holz, während der Käfer sich darin befindet, und bringt es ins Sägewerk oder zur Papierfabrik. Wenn jemand nichts gegen den Käfer unternehmen will, können wir auch rechtliche Schritte einleiten – was ebenfalls äußerst selten vorkommt. Das kann dann die Zahlung eines Zwangsgeldes in Höhe von ein paar hundert Euro zur Folge haben. Sollte der Waldbesitzer überhaupt kein Einsehen zeigen, können wir schließlich einen Unternehmer damit beauftragen das Holz zu entnehmen. Das kommt auch so gut wie nie vor. Die meisten Waldbesitzer haben ja großes Interesse daran, dass sich der Käfer nicht weiter ausbreitet.
Eine andere Möglichkeit ist das befallene Holz einfach liegen zu lassen. Doch dann muss man schauen, dass es Waldschutz-wirksam ist – zum Beispiel, indem man die Rinde entfernt oder sie verbrennt. So wie es auch im Nationalpark der Fall ist. Das ist allerdings mit einem Mehraufwand verbunden und kommt daher im Privatwald eher selten vor.
Grundsätzlich gilt es bei der Käferbekämpfung schnell zu reagieren, um eine mögliche Welle rechtzeitig zu stoppen. Wenn man einen oder mehrere Bäume findet, ist es wichtig, diese schnellstmöglich zu entfernen. Die Faustregel lautet: aus einem befallenen Baum werden 20, aus 20 werden 400 usw. In Mitteldeutschland konnte diese Welle nicht mehr aufgehalten werden. Es sind Kahlflächen von tausenden Hektar entstanden. Je später man anfängt, umso schwieriger wird es diese Welle aufzuhalten. Darum appellieren wir an alle Waldbesitzer, im April und im Mai, nachdem der Käfer ausgeflogen ist, so früh wie möglich das befallene Holz zu orten und sogleich zu entnehmen.
„Kostenfrei und gemeinwohlorientiert“
Was passiert mit dem eingeschlagenen Käfer-Holz vorwiegend? Welche Weiterverwendung hat es?
Der überwiegende Teil des Fichtenholzes – egal, ob frisch oder mit Käfer befallen – geht in die Sägeindustrie. Das heißt: Daraus wird Bauholz gemacht, auch Verpackungen, Paletten etc. Es entstehen dabei Nebenprodukte wie Sägespäne, die in die Papierindustrie gehen. Oder es werden Pellets oder Spanplatten daraus hergestellt. Der ein oder andere Waldbesitzer will auch Brennholz oder Hackschnitzel daraus machen.
Welche Maßnahmen werden ergriffen bzw. sind bereits ergriffen worden, um der Entnahme entgegen zu wirken?
Wir als Forstverwaltung beraten die Waldbesitzer kostenfrei und gemeinwohlorientiert. Wir machen also keine individuelle Beratung zur betriebswirtschaftlichen Optimierung, sondern beraten mit dem Ziel, das Beste für den Wald und für die Allgemeinheit herauszuholen. Dafür gibt es dann auch vom Freistaat Fördermittel.
Gefördert werden forstliche Zusammenschlüsse, etwa die WBV Freyung-Grafenau, Viechtach oder Regen. Wir fördern Wegebauten, um den Zugang zum Waldstück zu ermöglichen. Wir fördern auch Naturschutz, sprich: den Erhalt von Bäumen. Ebenso gibt es Fördergelder für die Begründung von Mischwäldern. Auch für die Waldpflege, wenn etwa Käferholz gezielt entnommen wird, denn: Wir wollen generell nicht, dass Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden. Das ist nicht verboten, solange man sich an die gesetzlichen Vorgaben hält. Uns ist es jedoch lieber anstelle die befallenen Bäume zu spritzen, um den Käfer zu töten, das Holz ins Sägewerk zu geben oder die Bäume zu entrinden.
Begleitet werden die geförderten Maßnahmen von unseren Förstern und Revierleitern. Hinterher findet eine Qualitätsprüfung durch die AELF statt.
„Wir werden mit der Fichte weiter leben“
Wie lange dauert es eigentlich, bis größere abgeholzte Wald-Flächen wieder so aussehen wie vor der Abholzung?
Grundsätzlich gilt: Man erntet einen alten Baum, dafür hat man ihn schließlich irgendwann einmal angepflanzt. Dafür machen wir ja Forstwirtschaft. Unser Motto lautet: schützen und nutzen. Der Wald kann sich sehr schnell erholen, die Verjüngung schnell nachkommen. Im Nationalpark gab es ja riesige Käferflächen. Viele Leute hatten Angst vor einer Art Wüste. Doch wer jetzt die Situation vor Ort betrachtet, der sieht, wie schnell sich der Wald dort erholt.
Der Wald kommt ohne uns gut klar. Wir als Menschen brauchen ihn – weil er Holz liefert, um Balken oder einen Fußboden daraus zu machen; weil man als Spaziergänger, als Wanderer sich in einem guten Klima bewegen und erholen kann; weil er wichtig ist für die Trinkwasserversorgung, für den Klimaschutz, für die Tiere. Im Nutzwald machen wir alles auf einer Fläche: Es gibt dabei eine wirtschaftliche, eine soziale und eine ökologische Nachhaltigkeit.
Abschließend: Die Anpflanzung von Douglasien war ja besonderes gefragt – ist das immer noch so?
Forciert wird diese Baumart nicht. Feststeht: Man kann die Fichte nicht nehmen und durch eine andere Baumart ersetzen. Wir werden mit der Fichte weiter leben – hier im Bayerischen Wald wird das auch noch künftig funktionieren. Aber wir werden ihr noch andere Baumarten hinzufügen müssen – in erster Linie heimische, sprich: Buche und Tanne. Die Befürchtung, dass wir die Fichte wegnehmen und nur noch Douglasien pflanzen, kann ich für den Bayerischen Wald – und auch für ganz Bayern – nicht bestätigen.
Vielen Dank für die Informationen – und weiterhin alles Gute.
Interview: Stephan Hörhammer