Berlin/Grafenau. „Wenn ich von Berlin zurückkomme, muss ich ab und zu wieder geerdet werden“, gibt Neu-MdB Muhanad Al-Halak offen und ehrlich zu. Es wird deutlich: Als Bundestagsabgeordneter bewegt man sich in einem elitären Kreis. Es droht die Gefahr, abzuheben. Noch ist der Grafenauer FDP-Politiker davor aber gefeit. Das betont er nicht nur selber („Ich will so bleiben, wie ich bin – und mich selber im Spiegel anschauen können„), es wird auch durch seinen eher untypischen Politikerduktus deutlich. Der 32-Jährige verwendet häufig Wörter wie „mega“ und „krass“ , die wohl weniger seiner Zunft zugeordnet werden.
Sein Äußeres – allen voran seine Kleidung – hingegen bedient das Klischee. Der Klärmeister ist überzeugter Anzug-Träger. Dressman. Aber nicht aus Eitelkeit, sondern „aus Respekt vor dem Bundestag, vor meinem Amt“, wie er auf Nachfrage erklärt. Deshalb sei Krawatte auch kein Kontrast zu seinem Handwerker-Beruf, sondern „einfach nur verhältnismäßig“. Soweit zum Persönlichen, das Muhanand Al-Halak im ersten Teil des großen Hog’n-Interviews bereits ausführlich beleuchtet hat. Im zweiten Teil spricht der gebürtige Iraker über konkrete politische Inhalte und Schwerpunkte seiner Arbeit in Berlin. Er thematisiert den Ukraine-Krieg und geht auf die Entlastungspakete der Bundesregierung ein.
„Ich finde es schade, als FDP-Mann gesehen zu werden“
Herr Al-Halak: Wie groß sind die Einflussmöglichkeiten als einzelner Bundestagsabgeordneter auf die Bundespolitik?
Ich bin sehr positiv beeindruckt. Anfangs habe ich mir gedacht: Ich bin eines von 736 Bundestagsmitgliedern. Ob ich da was bewirken kann? Ich habe mich nicht getraut, diese Frage laut zu stellen, aber mein Gefühl war so. Doch im Nachhinein betrachtet habe ich mich getäuscht. Ich kann mich aktiv in Diskussionen und Prozesse einbringen, zum Beispiel beim Thema kleine Wasserkraftanlagen. Ich hatte die Gelegenheit, dem zuständigen Staatssekretär im Bundesumweltministerium meine Argumente vorzutragen – und hatte den Eindruck, dass er dafür offen war.
Sie sitzen im Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz. Eigentlich ein originär grünes Thema. Tun Sie sich hier schwer als FDP-Mann?
Ich finde es tatsächlich sehr schade, als FDP-Mann gesehen zu werden. Diese pauschale Erklärung gefällt mir nicht.
„Da bin ich erschrocken“
Dann erzählen Sie bitte, warum.
Ich bin Abwassermeister. Und deshalb in diesem Ausschuss bestens aufgehoben. Umweltthemen sind meine Themen. Mein Fachwissen aus meinem Berufsleben habe ich mit nach Berlin genommen. Deshalb hat mich auch die FDP in diesen Ausschuss geschickt. Ich finde das mega. Es ist krass, dass ich selbst in Fachgesprächen mit Verbänden deren Vertreter etwas erzählt habe, was sie nicht gewusst haben. Da bin ich fast schon erschrocken. Aber es ist tatsächlich so: Es wäre ein großer Fehler beim Klärvorgang pauschal die vierte Reinigungsstufe einzuführen. Das soll nur gemacht werden, wo es wirklich notwendig ist.
Sie sind Handwerker. Müssten Sie dann nicht eigentlich Mitglied der SPD sein?
Hä? (überlegt) Nein. Die FDP hat mir die Chancen gegeben, unabhängig von meiner Herkunft es durch Leistung nach oben zu schaffen. Ich bin erst seit 2017 Parteimitglied. Man hat gesehen, dass ich was drauf habe. Meine Leistungen wurden honoriert. Wenn mich die FDP nicht unterstützt hätte, wäre ich nicht da, wo ich bin. Bei uns ist es nicht so, dass man erst einmal 20 Jahre bei der Partei und über 40 Jahre alt sein muss, um es in den Bundestag zu schaffen.
Wohin mit dem Atommüll?
Welche Rolle spielte bei Ihrer Partei-Entscheidung FDP-Chef Christian Lindner?
Wie einigen bekannt ist eine sehr große. Während der Flüchtlingskrise 2015 hatte Lindner betont, dass eine gelungene Integration unabhängig von der Herkunft vonstatten gehen kann. Nur die Leistung soll zählen. Das hat mich sehr berührt, das hat mich angesprochen. Denn genau das trifft auf mich zu. Deshalb mein Schritt in die FDP. Es wird nie eine Partei geben, die zu einhundert Prozent zu einer individuellen Einstellung passt. Aber es gibt viele Dinge, die mir bei der FDP sehr gut gefallen. Beispielsweise, dass jeder seine Meinung sagen darf – und nicht alles von oben herab vorgegeben wird.
Zurück zu ihrem Ausschuss. Welche Antwort haben Sie etwa auf die Frage: Wohin mit dem Atommüll?
Es ist sehr wichtig, nicht das Signal zu geben, dass wir Bayern, wir Waidler, alles nehmen. Es ist für uns sehr wichtig, dass der Müll nicht bei uns in der Region gelagert wird. Warum? Mit dem Nationalpark und dem damit verbundenen Tourismus wäre ein Atommülllager nicht kompatibel. Wir dürfen aber in diesem Zusammenhang nicht nur laut sein, wir müssen mit Inhalten überzeugen. Derzeit werden über 90 mögliche Standorte geprüft. Wir müssen dabei sachlich aufzeigen, warum wir nicht geeignet sind.
„Es ist unmöglich, jedes Thema im Detail zu kennen“
Sie sind zudem ordentliches Mitglied im parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung. Im Parlament hat der Beirat eine „Wachhund-Funktion“. Es wird „gebellt“, sobald ein Vorhaben die Nationale Nachhaltigkeitsstrategie außer Acht lässt. Was sagen Sie zur derzeit in Ausarbeitung befindlichen Nachhaltigkeitsstrategie für den Landkreis FRG? Haben Sie hier bereits Grund zum „Bellen“?
Nein, da gibt es noch keinen Grund dazu. Ich finde super, dass sich Freyung-Grafenau mit diesem wichtigen Thema beschäftigt. Wir waren eine Art Schwachstelle und haben das erkannt. Deshalb bin ich froh, dass nun parteiunabhängig eine Nachhaltigkeitsstrategie ausgearbeitet wird. Hier ist eine überparteiliche Zusammenarbeit sehr wichtig, um wirklich etwas zu erreichen. Und das ist bei uns in der Region der Fall. Deshalb gibt es bis dato nichts zu kritisieren.
Inwiefern sind Sie im Detail informiert über die Nachhaltigkeitsstrategie?
Nur grob. Es ist praktisch unmöglich, sich mit jedem Thema in der Region im Detail auseinander zu setzen. Wichtig ist es vielmehr, Schnittstellen mit den eigenen Inhalten und Fähigkeiten herauszuarbeiten und sich dann einzuklinken. Ich sehe mich als Teil eines großen Puzzles. Nur gemeinsam schaffen wir es, unsere Heimat voranzubringen.
Blicken wir nach Osten, in die Ukraine. Wie schätzen Sie die Situation dort derzeit ein? Wie lange wird dieser Krieg noch dauern?
Als es losging, war das ein Schock für mich als Flüchtling. Diesen Mittwoch damals werde ich nie vergessen. Krass, ein Krieg in Europa. Da kommen Bilder hoch, die etwas mit einem machen. Aufgrund meiner Vergangenheit war es mir sehr wichtig, sogleich Hilfe für Kriegsflüchtlinge zu initiieren. Erst danach konnte ich das Ganze einordnen. Für mich steht fest, dass wir einen Dritten Weltkrieg bereits haben. Einen Wirtschaftskrieg. Die Preise sind enorm, wir leiden. Die Bevölkerung ist unzufrieden. Und es wird noch viel schlimmer werden.
„Liefern wir keine Waffen, werden alle geschlachtet“
In militärischer Hinsicht besteht also keine Gefahr für Deutschland?
Es ist wichtig, dass wir die Ukraine dahingehend unterstützten, dass sie sich verteidigen kann – auch mit schweren Waffen. Das ist der richtige Weg. Liefern wir keine Waffen, werden da unten alle geschlachtet. Und das kann es nicht sein. Putin will keine diplomatische Lösung. Wer das glaubt, ist naiv.
Klare Worte.
Europa muss sich verteidigen und dafür sorgen, dass die Ukraine nicht fällt. Denn für mich steht fest: Putin wird in der Ukraine nicht Halt machen. Entsprechende Aussagen hat er bereits getroffen.
Die Bewältigung des Alltags wird aufgrund der Auswirkungen des Krieges auch für viele Menschen in Deutschland immer schwieriger: Benzin-, Strom- und Heizkosten steigen. Lebensmittelpreise ebenfalls. Die Inflation ist in vollem Gange. Welche Schritte sind Ihrer Meinung nach nötig, um der alleinstehenden Rentnerin in Haus im Wald das Leben zu erleichtern?
„Hoffentlich werde ich unterschätzt“
Die bisherigen Entlasungspakete sind mir echt zu wenig, auch wenn sie ein guter erster Schritt waren. Aber es muss noch mehr passieren. Vor allem Studenten und eben Rentner müssen noch mehr berücksichtigt werden. Allen Personengruppen muss geholfen werden. Und deshalb wird es nicht bei zwei Paketen bleiben. Da wird noch was kommen.
Spannen wir den Bogen hin zur Einleitung im Rahmen von Teil 1 unseres Interviews: Ihr Weg vom Flüchtling über den städtischen Angestellten in Grafenau zum Bundespolitiker ist inzwischen hinlänglich bekannt. Besteht aufgrund dieser Vorgeschichte die Gefahr, dass sie unterschätzt werden, weil sie eben nicht die klassische Politikerkarriere in Richtung Berlin gemacht haben?
(schmunzelt) Hoffentlich werde ich unterschätzt. Das kann nur von Vorteil sein für mich… (lacht). Im Ernst: Ich habe eine andere Sichtweise als viele andere Bundestagsabgeordnete. Und das schadet nicht. Es gehört doch zu unserer Demokratie, dass alle beteiligt werden. Unser Bundestag spiegelt nicht gerade unsere Gesellschaft wider. Sehr schade. Denn Akademiker sehen die Dinge häufig viel komplizierter als sie sind.
Danke für das Gespräch und alles Gute für die Zukunft.
Interview: Stephan Hörhammer und Helmut Weigerstorfer