Es ist eine Geschichte, die schon viele Male erzählt wurde: Auf dem Land aufgewachsen, in der Stadt Karriere gemacht, aufs Land zurückgekehrt. Arroganz trifft auf Einfachheit. Wer nun glaubt, den Roman „Sacklzement!“ von Katharina Lukas zu kennen, der irrt. Denn selten traf diese Storyline auf solch skurrile Charaktere. Nie wurde das Setting so niederbayerisch angelegt wie in diesem Fall.
Besieht man sich das Backcover, stößt man in blauen Lettern auf den Begriff „Gehängter Hund“. Dahinter verbirgt sich eine groteske Szenerie: Ein vermeintlicher Dorftrottel findet in einem Wald einen aufgehängten Hund. Ins Wirtshaus stürmend berichtet er den Anwesenden: „D… der Sackbauer Struppi hat sich u… umbracht!“
Mit Tiefgang erzählt
Nun wird eine Reihe von Geschehnissen losgetreten, wie etwa die Aufdeckung der nationalsozialistischen Vergangenheit des Dorfes „Hintersbrunn“. Auch „Dorfkrösus Django“ gerät in den Fokus der Hauptfigur Gundi. Sie ist übrigens von Beruf Journalistin samt investigativer Ader und gedenkt, den ganzen Sachverhalt ans Tageslicht zu bringen. Dazu ihr bester Freund Ferdl, der im zwielichtigen Münchener Milieu verortet ist, und einen Beitrag zur Skurrilität des Romans liefert.
Die Autorin wechselt dabei immer wieder zwischen Rückblenden und Gegenwart. Der Spagat gelingt jedoch gut, so dass man als Leser nicht den Überblick verliert. Diese Dualität spiegelt sich auch im Inhalt wider: Tiefsinnige Passagen wechseln sich mit derben Klarheiten ab, die einen teils unvermittelt treffen und zum Lachen bringen. Ein Beispiel:
Über frühere Freundschaften sinnierend kommt Gundi zu dem Schluss: „Hatte wohl damit zu tun, dass sie damals 18 waren und das Leben im Wochentakt so viel Zukunft brachte, dass man für die Vergangenheit keine Zeit hatte.“ Ein grandioser Satz. Auf ein anderes Problem reagiert Gundi jedoch deutlich rustikaler: „Saufen mit Ferdl. Das ist das Einzige, was Gundi einfällt.“
„Sacklzement!“ ist ein Roman, der einem unterschwellig bekannt vorkommt – und doch nicht langweilt. Eine Geschichte, die teils nachdenklich stimmt, teils zum Schmunzeln anregt.
Andreas Reichelt
„Saklzement!“, Katharina Lukas, 2021, Gmeiner Verlag, 280 Seiten, ca. 12 Euro als Paperback, ISBN 978-3-8392-0073-5
Die Ambivalenz des Landlebens
Katharina: Wie bist Du zum Schreiben gekommen?
Begonnen hat es eigentlich schon mit kleinen Geschichten für mein Kasperltheater, das ich als Kind heiß geliebt habe. Später war das Schreiben für Zeitschriften mein Beruf. Ich habe als Redakteurin für eine Jugendzeitschrift gearbeitet, aus London über Musik und Mode berichtet und später als Chefredakteurin eine TV-Zeitschrift geleitet. Nebenbei habe ich Kurzgeschichten verfasst.
Als mein Vater schwer krank und ein „Pflegefall“ wurde, habe ich meine Erfahrungen am Pflegebett schreibend verarbeitet und das Buch „Was am Ende übrig bleibt“ über das Portal „vonjournalisten.de“ des Journalistenverbands herausgebracht. Heute verfasse ich als Auftrags-Ghostwriterin die Biografien von Privatpersonen, von Zeitzeugen oder die Gründungsgeschichten von Unternehmen. „Sacklzement!“ ist mein erster Krimi über die trinkfeste Journalistin Gundi Starck, die Cold-Case-Mordfälle recherchiert.
Woher kommt das Interesse an den Unterschieden zwischen Stadt- und Landleben?
Ich bin in einem winzigen Dorf in Niederbayern groß geworden – in Baierbach, zwischen Altfraunhofen und Velden gelegen – und glaube, die Mentalität der Menschen auf dem Land gut nachvollziehen zu können. Da gibt es dieses Gefühl der Zugehörigkeit, aber auch viel Anpassungsdruck. Es gibt Loyalität untereinander, aber auch Vorbehalte gegenüber Fremden. Zementierte Machtverhältnisse und Spezltum. Gleichzeitig ist so ein Dorf wie ein Mikrokosmos menschlicher Niederungen, die es natürlich auch in der Großstadt gibt: Wir treffen in meiner Geschichte auf einen gierigen Bauunternehmer, einen korrupten Bürgermeister, auf Duckmäuser und Mitläufer.
In „Sacklzement!“ geht es aber auch um das Abgehängtsein. Darum, dass man auf dem Land in Bayern vom großen Kuchen, der in München verteilt wird, nicht besonders viel abbekommt. In meinem Heimatdorf kommt zum Beispiel nur zweimal am Tag ein Bus vorbei – und in meinem Elternhaus gibt es heute noch keinen Handyempfang.
Man erkennt sich wieder
Hast Du reale Vorbilder für Deine Protagonisten?
Natürlich steckt einiges von meiner Lebenswirklichkeit in Gundi, weil ich mein halbes Leben als Journalistin gearbeitet habe. In ihrem besten Freund, dem Hotelier Ferdl, stecken echte Erfahrungen meiner besten Freundin, die in München viele Jahre als Hoteldirektorin gearbeitet hat. Aber Gundi ist auch eine freiheitsliebende Selfmade-Frau, unerschrocken und spontan. Ich selbst bin seit 30 Jahren verheiratet und überlege lieber alles dreimal.
Die Menschen aus meinem Heimatdorf erkennen in „Sacklzement!“ vieles wieder: Das Wirtshaus, den rückständigen Landwirt, den „Goldrausch“ während des Flughafenbaus. Gleichzeitig ist die ganze Geschichte natürlich mit viel krimineller Fantasie aufgeladen. Haben die im Buch beschriebenen Verbrechen tatsächlich stattgefunden? Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig, wie es so schön heißt.
Arbeitest Du derzeit an einem weiteren Roman?
Ja, er wird gerade fertig. Diesmal spielt der Krimi allerdings in München, meiner zweiten Heimat. Darin wird der „Wurstkönig von der Wiesn“ ertränkt in einer Wanne mit Saublut aufgefunden. In diesem Zusammenhang kommt die Reporterin Gundi einem ungelösten Wiesn-Mord aus dem Jahr 1985 auf die Spur, in dem es um Schankbetrug und die Amigo-Verflechtungen zwischen Politik und Wirtschaft geht. Der zweite Fall für Gundi Starck heißt „Herrschaftszeiten no amoi!“ – und kommt am 10. August 2022 in den Buchhandel.
die Fragen stellte: Andreas Reichelt