Schönbrunn am Lusen. Das sog. „Wirtshaussterben“ ist kein neues Phänomen. Seit Jahren verschwindet eine Gaststätte nach der anderen von der einst prall gefüllten Gastro-Landkarte des Bayerischen Waldes. Michael Kerschbaum setzt in diesen Tagen einen Kontrapunkt mit Ausrufezeichen, was diese Entwicklung betrifft. Der 31-Jährige hat das seit 2020 leerstehende „Dorfkriagl“ in Schönbrunn am Lusen (Gmd. Hohenau) gekauft. Der gelernte Koch will in erster Linie das historische Gasthaus als solches weiterführen – er hat aber auch einige weitere Ideen.
Michael Kerschbaum kennt man rund um den Haidel. Der gebürtige Sonndorfer ist Küchenchef im „Hüttenhof“ in Hobelsberg – und somit eines der Gesichter des Vier-Sterne-Wellness-Tempels nahe Grainet. Als Juniorchef der Woidbrennerei ist er aber auch einer derjenigen, die Stammgast auf den regionalen Märkten sind – und generell einer der wenigen Schnapsbrenner im Bayerischen Wald. Seinen Beruf und seine Berufung möchte der 31-Jährige bereits seit Längerem miteinander verbinden. Und nach einer längeren Suche nach dem geeignetem Objekt hatte er das Dorfkriagl in Schönbrunn am Lusen ausfindig gemacht – und jüngst auch gekauft.
„Viele Leerstände sind furchtbar teuer oder furchtbar alt“
„Zunächst war es eigentlich nur geplant, dass wir die bestehende Brennerei in Sonndorf ausbauen“, blickt Kerschbaum zurück. „Wir haben allerdings keine Genehmigung dafür bekommen, weshalb wir uns nach einem neuen Standort umgeschaut haben.“ Und das klingt leichter als gedacht. Freilich, inzwischen stehen einige Wirtshäuser rund um die Gemeinde Hinterschmiding leer. Aber: „Viele sind entweder furchtbar teuer oder furchtbar alt. Zudem wollte ich lieber in ein Dorf als in eine Stadt, weil das einfach besser zu mir passt.“ Auch ein Neubau schied schnell aus, da man auf bestehende Strukturen zurückgreifen wollte. Beim Dorfkriagl hat – nach längerem Abwägen – dann alles gepasst. Ein Glücksfall für den jungen Mann.
Auf das Wörtchen „alles“ geht Michael Kerschbaum während eines kleinen Rundganges durch das Haus näher ein. Die Gasträume – ein Nebenzimmer, die Gaststube und ein Saal – sollen bestehen bleiben. „Nur optisch muss das Ganze etwas angepasst werden.“ Insgesamt, davon ist er überzeugt, befindet sich das Haus, dessen Geschichte mehrere Jahrhunderte in die Vergangenheit zurückgeht, in einem guten Zustand. „Die Substanz ist mehr als ordentlich.“ Dergestalt ist auch der Stadl, der bisher als Lager genutzt wurde und nach Plänen des neuen Eigentümers bald die Woidbrennerei sowie einen Hofladen beherbergen soll. Dort wird es den selbst produzierten Schnaps geben. Aber auch Produkte der Woidsiederei, die Kerschbaums Lebensgefährte betreibt, sowie ausgewählte regionale Produkte.
Der Name „Dorfkriagl“ wird nicht bleiben
Läuft alles nach Plan, was angesichts der derzeitigen Situation in der Baubranche eher unwahrscheinlich ist, soll es bereits im Herbst losgehen im Dorfkriagl, das dann einen neuen Namen bekommt. „Der steht allerdings noch nicht fest. Es soll etwas Traditionelles sein. Ein Begriff, der auch irgendwas mit Brennerei, Woidbrennerei oder Schnaps zu tun hat.“ Michael Kerschbaum spricht immer wieder von „wir“ und „uns“. Denn er sieht das Vorhaben als Gemeinschaftsprojekt. Seine Familie ist mit im Boot, sein Freund, die Schönbrunner Dorfgemeinschaft – und auch Andreas Pertler, der Vorbesitzer.
Der 57-Jährige ist praktisch mit der Gaststätte aufgewachsen. Es wechselten sich immer wieder Phasen ab, in denen seine Familie es selbst betrieben hatte, mit Zeitspannen, in denen das Haus verpachtet war. Von 2004 bis 2020 war Ersteres der Fall. „Ich habe halbtags in der Brauerei in Freyung gearbeitet – und halbtags hier“, erklärt Pertler. Eine intensive wie zeitraubende Doppelbelastung, weshalb sich im Laufe der Zeit abzeichnete, dass der Dauerstress gewisse Folgen haben wird. Der Schönbrunner erkannte die Zeichen – und stellte den Betrieb noch vor Corona ein. „Fünf Wochen später hatte ich einen Herzinfarkt. Erst dann habe ich richtig realisiert, was ich da über Jahre hinweg gemacht habe.“
Andreas Pertler fällt der Abschied nicht schwer
Die Pandemie und ihre Beschränkungen für die Gastronomie, die Reha nach dem Super-GAU – Andreas Pertler hat schließlich relativ schnell seinen fordernden Dienst als Koch, Wirt und Chef in Personalunion quittiert. „Bisher hat es noch keine Minute gegeben, in der mir der Abschied schwergefallen ist“, gibt er offen zu. Das liegt auch daran, dass das Wirtshaus nach zweijährigem Leerstand nun endlich einen Käufer gefunden hat, dem er das Dorfkriagl mit gutem Gefühl übergeben kann. Dennoch gibt er Michael Kerschbaum mit einem Schmunzeln, aber auch einer gewissen Erwartungshaltung – wohlweislich, dass der Ort am Fuße des Lusens noch eine ausgeprägte traditionelle Wirtshauskultur hat – Folgendes mit auf den Weg: „Wenn in Schönbrunn ein Wirtshaus nicht läuft, wo dann noch?“
Helmut Weigerstorfer