Tittling. „Grundsätzlich gibt es nicht den schönsten Ort an sich, sondern es gibt auf jedem Kontinent und in jedem Land viele schöne Orte“, sagt Peter Höltl und gerät sogleich ins Schwärmen. Die besonderen Vorzüge der Regionen dieser Welt herauszuarbeiten und diese seine Gäste hautnah erleben zu lassen, das ist seit jeher das Ansinnen desjenigen Mannes, der seit mehr als zwanzig Jahren die Zügel des Tittlinger Touristikunternehmens „Rotel Tours“ fest in Händen hält. Sein Vater Georg hatte einst die bahnbrechende Idee, Reisende im „rollenden Hotel“ – eine Kombination aus Bus und Hotel auf Rädern – durch die Welt zu fahren. Eine revolutionäre Erfolgsgeschichte – bis heute.
„In Namibia will ich die höchsten Sanddünen der Welt sehen, die spektakulären Elefantenherden im Etosha-Nationalpark, die sich in einer Staubwolke Richtung Wasserloch fortbewegen. Wenn man in die Landschaften Namibias eintaucht, ist das faszinierend – diese unglaubliche Stille: Da kann man kilometerweise einen Kieselstein fallen hören“, schwelgt der 63-Jährige in Erinnerung an die Zeiten, als er selbst noch mit den Spezialbusen durch die Weiten Afrikas zog und sich nicht satt sehen konnte an der Herrlichkeit der Natur.
Mit dem Holzvergaser von Tittling nach Passau
Man schrieb das Jahr 1945, als Georg Höltl unmittelbar nach Kriegsende von den damaligen Besatzern auf einem Parkplatz in Fürstenzell einen Bus zugewiesen bekam. Er sollte zwischen Tittling und Passau den Linienbetrieb übernehmen, die Menschen von A nach B bringen. Die Eisenbahnbrücke in der Dreiflüssestadt war gesprengt worden, Autos gab es noch so gut wie keine. Daher stellte der Bus ein gefragtes Beförderungsmittel dar. Es schlug die Stunde des damals erst 17-Jährigen, der trotz seines jungen Alters bereits einen Bus-Führerschein erworben hatte. Die Geburtsstunde eines Pioniers.
Das Fahrzeug ist zunächst mangels Benzin als „Holzvergaser“ betrieben worden: Hackschnitzel wurden dabei erhitzt und das brennbare Gas in den Motor geleitet. Eine sehr rußhaltige Angelegenheit sei das gewesen, entsinnt sich Peter Höltl an die Erzählungen seines Vaters. Neben den Linienfahrten kamen im Laufe der unmittelbaren Nachkriegsjahre nach und nach Tagesausflüge hinzu. Nach Altötting zum Beispiel, zur Anbetung der „Schwarzen Madonna“. Auch Fußballmannschaften wurden transportiert. „Nach der Währungsreform war dann plötzlich wieder Treibstoff vorhanden und das alte Gefährt konnte auf Diesel umgestellt werden. Mein Vater hat sich dann einen Bus gekauft.“
1951 erfolgte die erste Reise in die Schweiz. Eine Art Testfahrt – „um zu sehen, wie das etwa mit dem Geldwechseln funktioniert“. Und bereits ein Jahr später ging es richtig los mit den touristischen Exkursionen: nach Rom, nach Spanien – generell Richtung Süden. Die Leute waren reiselustig, wollten raus aus ihrem gewohnten Umfeld, die Gräuel des Krieges vergessen machen und das Leben wieder genießen. Auch die Waidler packte das Reisefieber. Eine Busfahrt auf die iberische Halbinsel war etwas sehr Besonderes. Die Straßenverhältnisse schwierig, Autobahnen gab es noch keine. Mit dabei: ein Küchenanhänger „Marke Eigenbau“, in dem auch die Zelte zur Übernachtung untergebracht worden sind. „Es waren Camping-Reisen, keine Hotel-Reisen“, blickt Höltl jun. zurück. Gecampt wurde zumeist „wild“ – nach Anfrage beim Bauern auf dem Feld. Campingplätze gab es zunächst noch keine. Zum Essen gab’s einfache Gerichte – was mit dem Anhänger-Equipment eben schnell und einfach zubereitet werden konnte.
„Die längste Omnibusreise der Welt“
Auch Pilgerfahrten erfreuten sich in den 50ern zunehmender Beliebtheit. Und der Zufall wollte es, dass Georg Höltl auf Prof. Dr. Franz Hörhammer traf, den Münchener Leiter der internationalen katholischen Friedensbewegung Pax-Christi. Der Beginn einer fruchtbaren Zusammenarbeit. Hörhammer war mit einer Französin verheiratet und allein schon aus persönlichen Gründen an einer Aussöhnung mit dem einstigen Erbfeind interessiert.
Viele Touren ins Nachbarland waren die Folge. Auch hier haben die anfangs recht genügsamen Pilger in Zelten übernachtet. „Doch auch sie wurden mit der Zeit anspruchsvoller“, erinnert sich der heutige Rotel-Tours-Geschäftsführer. Sein Vater überlegte daher eifrig, wie man den Komfort steigern könnte. Im bisherigen Küchenanhänger fanden nur zwei bis drei Leute Platz zum Nächtigen. „Dann ist ihm der Gedanke gekommen, dass man den Anhänger ja so groß machen könnte, dass alle, die vorne drin sitzen, auch hinten drin schlafen können.“
Den Prototypen hatte Georg Höltl mit Streichholzschachteln als Modell angefertigt. „Er wusste, wie man das System abändern könnte“, wie sein Sohn im Rückblick verdeutlicht. Und so entstand die (patentierte) geniale wie einfache Idee mit dem „rollenden Hotel“ – ein absolutes Novum, das es bis heute nirgendwo anders auf der Welt gibt und das unter dem Begriff „ROTEL“ seither zum festen touristischen Vokabular gehört. 1959, im Geburtsjahr von Peter Höltl, brach die erste Pilgergruppe – nachdem das in Rotthalmünster beheimatete Karosseriebau-Unternehmen „Hecka“ den Ur-Schlafanhänger in die Realität umgesetzt hatte – nach Jerusalem ins Gelobte Land auf. Die erste weite Reise auf einen anderen Kontinent, die von München aus über die Türkei, Syrien und Jordanien nach Israel führte.
Sogleich entstand der Gedanke: Wenn Jerusalem klappte, vielleicht könnte man ja auch noch weiter fahren? Bis nach Indien? Gesagt, getan: 1962 ging es auf dem Landweg, auf der Alten Seidenstraße in Richtung Südasien, Richtung Subkontinent. „Die längste Omnibusreise der Welt“ titelte damals die Lokalzeitung. 36.000 Kilometer in 81 Reisetagen. Dauer: vom 1. Oktober ’61 bis 20. September 1962. Mit dabei neben den knapp 40 Passagieren: Dr. Max Reisch, der bereits zuvor schon einmal mit dem Motorrad bis nach Indien gefahren war und nun als gut informierter Reiseleiter fungierte.
„Doch irgendwann ist’s aus allen Nähten geplatzt“
Von da an folgten „Rotel-Touren“ rund um den Globus: Russland, Finnland, Irland, Ukraine, Türkei, Persien, Afghanistan, Marokko, Tunesien. 1966 überquerte der Bus – nun bereits als „einteiliges Fahrzeug“ mit Sitzplätzen im vorderen und Schlafkojen im hinteren Bereich ausgestattet – erstmals den Atlantik: New York hieß der Hafen, den das Schiff samt wertvoller Höltl-Fracht aus dem Bayerischen Wald anlief. Von dort aus ging es quer durch die USA und dann weiter nach Zentral- und Südamerika. 1971 fand die Afrika-Premiere statt: von Ägypten führte der Weg bis hinunter zum „Kap der Guten Hoffnung“.
Der rasante Aufstieg von „Rotel Tours“ schien unaufhaltsam, befördert durch die allgemeine Wachstumsphase des Tourismus in den 60er und 70er Jahren. Mehr und mehr Reiserouten kamen hinzu, das Unternehmen expandierte in Windeseile. „Der Firmensitz war ursprünglich in unserem Wohnhaus in Tittling angesiedelt“, erinnert sich Peter Höltl, „rund 200 Meter weg vom heutigen Bürogebäude, wo einst die alte Schule untergebracht war. „Doch irgendwann ist’s aus allen Nähten geplatzt.“ Und auch am neuen Standort in der Herrenstraße musste noch einmal erweitertet werden.
Aktuell beschäftigt der Betrieb rund 200 Mitarbeiter: im Büro, in der Werkstatt, als Reiseleiter und als Fahrer vor Ort, von denen – im Gegensatz zu heute – traditionsgemäß viele aus dem Bayerischen Wald kommen. „Das waren Busfahrer mit ausgeprägter Fahrpraxis, die teils jahrzehntelang in unseren Diensten standen“, teilt der Geschäftsführer mit.
„Das war Saison-Arbeit: Im Sommer gab es freilich mehr zu tun als im Winter. Früher waren die Busfahrer ziemlich lange am Stück unterwegs“, erklärt Peter Höltl weiter und ergänzt: „Der Busfahrer fliegt zum Beispiel aus dem Bayerwald nach Tadschikistan, schaut dort nach, ob alles in Ordnung ist und kümmert sich um sein Fahrzeug. Danach kommen der Reiseleiter und die Gäste.“ Die Fahrzeuge werden auch regelmäßig vom eigenen Werkstatt-Team in Tittling vor Ort gewartet.
„Marketing mit Weitblick“
Der 63-Jährige, der die roten Reisemobile mit den unverwechselbaren Aufbauten von klein auf kennt und in den Betrieb „reingewachsen“ ist, kann sich noch gut in seine Kindheit zurückversetzen. Als er etwa als Bub in den Schlafkabinen herumtollte und im Bettenlager, das anfangs ebenfalls im Privathaus untergebracht war, unbeschwerte Stunden beim Spielen verbrachte.
Den Film über die Indienreise hat er ebenso noch vor Augen. „Der ist im Tittlinger Kino gelaufen, damit wurde Werbung gemacht für das rollende Hotel.“ Vater Höltl ging damit regelrecht auf Werbetour, füllte den ein oder anderen Kinosaal im deutschsprachigen Raum damit, um weitere Kunden anzuheuern. „Das war super-exotisch damals – Marketing mit viel Weitblick.“ Bilder sagen eben mehr als Worte, damals wie heute. Fortsetzung folgt…
Stephan Hörhammer