Finsterau. Viele Häuser im Bayerischen Wald wurden im Laufe der Zeit gänzlich abgebrochen und völlig neu aufgebaut: größer, höher, heller, gelegentlich dauerhafter, oft nach der neuesten Mode. Manche alten Häuser aber blieben stehen, obwohl sie keinen rechten Nutzen mehr hatten. Sie dienten als Lager, Rumpelkammer, Geräteunterstand. Der beste Raum, die Stube, erlebte gelegentlich eine letzte Karriere als Werkstatt – die sog. Machlkammer. Im zwölften und letzten Teil unserer Hog’n-Serie über die Höfe und Häuser im Freilichtmuseum Finsterau stellen wir das Raidl-Haus vor, das einst als Nebenhaus in einem größeren Hof in Böhmzwiesel (Landkreis Freyung-Grafenau) diente.

Von 1985 bis 1988 war das Raidl-Haus mit einer Begleitausstellung zum Aufbau des benachbarten Petzi-Hofs ausgestattet

Beim Raidl-Haus handelt es sich um einen zweigeschossigen Kantholzblockbau aus einem geschlossenen Dreiseithofverband. Es hat ein Legschindeldach. Erbaut wurde es 1775, die Fenster sind im 19. Jahrhundert vergrößert worden. Es wurde 1977 abgetragen und bis 1980 im Museum wiedererrichtet. Eine Drechslerei ist seit 1996 dort eingerichtet. Seit 2019 erschließt eine sichere Treppe den ersten Stock. In der hellen Kammer ist seitdem die Schusterei aus Rehberg eingerichtet. Eine kleine Ausstellung zum Schusterhandwerk begleitet diese Ausstattung, die an den Schuster Josef Reichenberger erinnert.

Geschlossene Höfe wurden zu Relikten

Das Raidl-Haus war Nebenhaus des großen Raidl-Hofs in Böhmzwiesel bei Waldkirchen. Die Fassade mit dem Balusterschrot blickte zur Dorfstraße. Eine Stube im Erdgeschoss und eine Kammer darüber waren die einzigen Wohnräume. Im rückwärtigen Teil des Hauses befinden sich zwei sorgfältig gezimmerte Getreidekästen samt großzügig mit Eisen beschlagener, massiver Kastentür.

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Die alte Photographie zeigt den Raidl-Hof mit dem Austragshaus von 1775. Das gemauerte Wohnhaus aus dem späten 19. Jahrhundert besteht noch am alten Standort in Böhmzwiesel bei Waldkirchen.

Den Raidl-Hof mit weiteren Häusern aus dem Anwesen in Böhmzwiesel zu ergänzen und im Museum vollständig zu rekonstruieren, scheiterte mehrmals an der Finanzierung. Der Hof wäre gut dafür geeignet aufzuzeigen, wie sich in den Dörfern die einmal großzügig bemessenen Hofstellen im Laufe der Jahrhunderte mit Wirtschaft- und Wohnbauten gefüllt haben. Die Umstellung von Weideviehhaltung auf ganzjährige Stallhaltung um 1800 hat das Bild von Dörfern und Höfen nachhaltig verändert

Allseits geschlossene Anlagen rund um einen Binnenhof, dessen Mitte der Misthaufen einnahm, mit einem hölzernen oder gemauerten Torbau zur Dorfstraße hin, wurden im Laufe der Zeit zum Standard. Erst die allgemeine Technisierung und Motorisierung der jüngeren Zeit – im Bayerischen Wald seit etwa 1960 – hat diese geschlossenen Höfe zu historischen Relikten werden lassen. Befahrbare Futterbühnen in den großen Ställen, Güllegruben hinter dem Hof, Hoch- und Fahrsilos sowie hohe, offene Maschinenhallen – das alles fand nicht mehr Platz auf den alten Hofstellen

Hof von mittlerer Wirtschaftsgröße

Der Raidl-Hof muss bis auf weiteres im Freilichtmuseum Finsterau ein Fragment bleiben. Zwischen dem wirtschaftlich niedrig gestelltem Tanzer-Hof, der aus einem systematisch gegründeten Angerdorf stammt, und dem wohlhabenden Petzi-Hof, der einmal in einem Weiler mit wenigen Bauernhöfen stand, könnte der Raidl-Hof eine mittlere Wirtschaftsgröße dokumentieren, wie man sie häufig in den Straßendörfern entlang der alten Handelswege antreffen kann.

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da Hog’n

Die Informationen stammen aus dem Buch „Freilichtmuseum Finsterau – Die Bauernhäuser und ihre Geschichte“ von Martin Ortmeier; Dietmar Klinger Verlag, Passau, 2009. ISBN 978-3-932949-87-6


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