Waldkirchen. „Hilf mir es selbst zu tun“, lautet ein Leitsatz der Pädagogik von Maria Montessori, eine im 18. Jahrhundert geborene Ärztin, Reformerin und Philosophin. Ihr zufolge ist jedes Mädchen, jeder Junge der „Baumeister seiner selbst“, ist von Geburt an mit eigenen Fähigkeiten, Neigungen und Fertigkeiten, eigener Kraft, Kompetenz und Anlage ausgestattet. Das Kind hat eine Art inneren Bauplan, um das Individuum zu werden, das es bereits ist. Daher steht die Erziehung zur Selbstständigkeit unter dem Motto „Hilfe zur Selbsthilfe“ sowie die Entfaltung der Persönlichkeit im Vordergrund.
Der Waldkindergarten „Die Dornbachkinder“ – ein gemeinsames Projekt der Marktgemeinde Röhrnbach und der Stadt Waldkirchen unter der Trägerschaft des Röhrnbacher Ortscaritasverbandes – orientiert sich zwar nicht offiziell an dem bewährten Konzept, doch er hat einige Elemente der Montessori-Pädagogik in den Alltag integriert. Das Leitbild der Einrichtung prägen der Bayerische Bildungs- und Erziehungsplan sowie das Kinderbildungs- und Betreuungsgesetz, wie Kindergartenleiterin Victoria Lerchl betont. Es geht für die Buben und Mädchen im Alter zwischen drei und sechs Jahren darum, durch eigenständiges Spielen und Erforschen in der freien Natur zu lernen und Erfahrungen zu sammeln. Ziel ist es, draußen im Wald die „Natur sinnlich zu erleben und tiefe Wurzeln zu vermitteln und zu festigen“.
Viel Freiraum, Natur und frische Luft
Die 23-Jährige absolvierte nach der Schule eine Ausbildung zur Erzieherin. Im ersten Lehrjahr besuchte sie einen Waldkindergarten, der bei ihr einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen hatte. Für sie stand daher nach der Ausbildung fest, dass sie wieder in den Wald zurückkehren möchte – auch deshalb, weil sie in einem „normalen“ Kindergarten keine Erfüllung finden würde, wie sie heute aus eigener Erfahrung sagen kann. „Die Kinder sind ganz anders, wenn sie draußen sind. Sie haben viel Bewegung – und die Lautstärke ist weniger intensiv.“ Eine weitere Erkenntnis: „Sie brauchen nicht viel, um glücklich zu sein: Wasser, Sand, Match, ein paar Schaufeln, das reicht aus, damit sie sich entfalten und ihrer Kreativität freien Lauf lassen können.“
Frau Lerchl: Was macht das Phänomen Waldkindergarten aus? Warum finden immer mehr Eltern dieses Konzept interessant?
Wir sind von morgens bis mittags draußen im Wald, in der freien Natur zu Gange. Die Kinder bewegen sich an der frischen Luft, es ist ein wunderbarer Ausgleich für sie zum eigentlichen Alltag, der häufig vom Medienkonsum geprägt ist. Wir beschäftigen uns hauptsächlich mit Naturmaterialien – also damit, was uns der Wald gibt. Zuhause haben sie Spielzeug en masse. Hier kommen sie auch mit viel weniger aus, was ihre Phantasie besonders anregt. Motto: Weniger ist mehr. Und genau das ist den Eltern, die ihre Schützlinge zu uns schicken, wichtig. Zudem haben wir keine großen Gruppen wie in einem gewöhnlichen Kindergarten. Dadurch, dass wir zu dritt sind, ist auch der Betreuungsschlüssel ein anderer.
Gerade in Corona-Zeiten wird vielen mehr und mehr bewusst, wie wichtig die Natur für uns alle ist und wie viel sie uns zurückgibt. Wir vermitteln den Kindern, dass man nur auf dasjenige aufpassen kann, was man auch kennt. Wir lernen ihnen, dass man nicht einfach Müll in den Wald schmeißt oder einen gesunden Baum ansägt oder umschneidet.
Was charakterisiert das Waldkindergarten-Konzept sonst noch?
Das Lernen in und der Umgang mit der Natur spielt eine zentrale Rolle. Die Sinneserfahrung ist dabei ein zentraler Punkt, sprich: das Erleben und Erforschen mit allen Sinnen, was u.a. dadurch befördert wird, dass wir den Jahreswechsel hautnah mitbekommen. Genauso wichtig ist neben der Erziehung zur Selbständigkeit auch die soziale Komponente – wir haben ein starkes Miteinander. Hier helfen die größeren Kinder den Kleineren. Zum Entdecken haben sie im Waldkindergarten sehr viel Freiraum. Dazu steht ihnen viel Werkzeug zur Verfügung, wie etwa Lupengläser.
Wie sieht der Alltag der Kinder im Waldkindergarten aus?
Sie kommen um halb 8 Uhr morgens zu uns. Dann gibt es erst einmal Freispiel bis alle Buben und Mädchen da sind. Im Anschluss findet der Morgenkreis statt, in dem am Jahreskreis orientierte Themen zur Sprache kommen. Dabei greifen wir auch immer wieder aktuelle Interessen und Bedürfnisse der Kinder auf. Da geht’s dann um Tiere, Natur und Umwelt.
Im Freispiel werden verschiedene Aktivitäten durchgeführt wie Sägen, Nageln und Hämmern, ein Bulldog oder ein Mähwerk wird aus Ästen und Stöcken gebaut, es wird geklettert, balanciert, im Matsch gebuddelt, in Pfützen gesprungen, Hänge hinuntergerutscht, es werden Steine gesammelt, Blumenketten gebastelt oder Sandkuchen gebacken. Gute Ausrüstung und regenfeste Kleidung gehören da freilich zur Grundausstattung. Wir wollen bald wieder gemeinsam einen Barfußpfad errichten – alles, was Kindern eben Spaß macht.
Neben dem Freispiel gibt es freilich auch klassische Angebote wie Basteln mit Papier oder Glitzersteinen. Oder Malen mit Wasserfarben. Die Kinder dürfen das auch immer mitentscheiden. Gegen 10 Uhr machen wir dann gemeinsam Brotzeit im Wald oder ein Picknick auf der Wiese. Wir legen viel Wert auf eine ausgewogene und gesunde Ernährung – Süßigkeiten sind bis auf besondere Anlässe nicht erlaubt. Dann geht es weiter mit verschiedenen Teilgruppen-Angeboten, etwa Vorlesen, Bauen oder Basteln. Um 13.15 Uhr endet der Kindergarten, eine Nachmittagsbetreuung gibt es nicht.
Auch die Eltern sind gut integriert
Und die Eltern sind mehr im Kindergarten-Geschehen integriert als in einer „normalen“ Einrichtung, oder?
Es gibt einen täglichen Austausch beim Bringen und Holen der Schützlinge. Insbesondere die Väter helfen mit, wenn es um handwerkliche Angelegenheiten geht. Wenn zum Beispiel kleinere Reparaturen anstehen oder der Bau eines neuen Sandkastens. Auch einen selbstgemachten Holzbagger haben wir schon bekommen. Alle sind sehr engagiert, vor allem auch bei den Festen, die wir im Jahreskreis feiern: St. Martin, Nikolaus, Weihnachten, Ostern, ein Maifest, Mutter- und Vatertag. Dann gibt’s auch ein Sommerfest – und im vergangenen Jahr haben wir mit den Eltern eine Wald-Rallye veranstaltet, die sehr gut angekommen ist.
Der katholische Ansatz spielt ebenso eine Rolle, richtig?
Ja, weil wir eine religiöse Einrichtung sind. Wir beten gemeinsam, singen im Kreis religiöse Lieder, gestalten auch mal eine Gebetskerze. Mit ein paar Kleinigkeiten bringen wir den Kindern somit auch die religiöse Komponente näher.
Vielen Dank für das Gespräch – und weiterhin alles Gute.
Interview: Stephan Hörhammer