Kaining/Tiefenbach. Metzgermeister Robert Seidl ist – wie bei Handwerkern üblich – eher der Pragmatiker. Er weiß, dass Büroarbeiten dazugehören und wichtig sind. Aber sie stellen für ihn eher die Pflicht als die Kür dar. In diesen Tagen beschäftigt sich der 51-Jährige jedoch verstärkt mit seinen Zahlen. Und das, was er da sieht, macht ihm ernsthafte Sorgen. „Die derzeit extremen Preiserhöhungen gefährden meine Existenz.“ Ähnliches berichtet auch Hans-Peter Wagner, Chef der gleichnamigen Bäckerei in Tiefenbach und als Obermeister der Innung Passau Vertreter von 60 Betrieben seiner Zunft: „Einigen Kollegen droht demnächst das böse Erwachen“, prophezeit er.
Extrem steigende Rohstoff-Preise, dramatisch erhöhte Energiekosten, zunehmende Lohnkosten sowie ein genereller Personalmangel, obendrein die immer größer werdende Dominanz von Discountern im Lebensmittel-Sektor – die Probleme, die derzeit auf die Bäcker und Metzger einprasseln, sind immens. Oder wie es Robert Seidl beschreibt: „Der Traum von der Selbstständigkeit wird immer mehr zum Alptraum.“ Und das ist nicht nur sprichwörtlich zu sehen. „Die derzeitige Situation beschäftigt mich sogar noch im Schlaf,“ ergänzt der Kaininger.
„Schweinefleisch um 25 Prozent teurer als vor dem Krieg“
Noch vor zwei Jahren, zu Beginn der Corona-Pandemie, erlebte die in der Gemeinde Hinterschmiding ansässige Metzgerei einen wahren Boom. Die Ausbreitung des Virus hatte zur Folge, dass sich viele Verbraucher auf Regionalität und Qualität beim Kauf von Lebensmitteln besannen. Das kleine, in Seidls Privathaus integrierte Lädchen wurde regelrecht gestürmt: „Ich hätte rund um die Uhr arbeiten können. Das war nicht mehr feierlich“, blickt er heute zurück. Die Stimmungslage auf dem Markt und beim Metzgermeister haben sich inzwischen schlagartig geändert. „Klar, das Weihnachtsgeschäft war noch gut. Aber seitdem herrscht tote Hose.“
Dies hat dem 51-Jährigen zufolge mehrere Gründe, die allesamt in Verbindung stehen. Eine Teufelsspirale. Durch die Ukraine-Krise sind die Rohstoff- und Energiepreise regelrecht in die Höhe geschnellt. „Schweinefleisch ist um 25 Prozent teurer als vor dem Krieg. Vom Rindfleisch will ich gar nicht reden. Das ist regelrecht durch die Decke gegangen.“ Auch der Strom für die Maschinen im hauseigenen Schlachthaus frisst deutlich mehr Umsatz auf als zuvor. Eigentlich müsste Seidl deshalb seine Verkaufspreise anpassen. „Doch hier ist der Lebensmittel-Bereich sehr, sehr empfindlich. Werde ich zu schnell teurer, kaufen die Kunden beim Discounter“, macht er deutlich – und ergänzt frustriert: „Letztlich sind diejenigen, die Qualität liefern sowie die kleinen Betriebe die großen Verlierer. Wieder einmal.“
Donnerstags arbeitet er von 2 Uhr morgens bis 7 Uhr abends
Den Deutschen sei es egal, ob der Leberkäse oder die Streichwurst in traditioneller Handwerkskunst hergestellt oder das Ergebnis von industrieller Fertigung mit Emulgatoren und Geschmacksverstärker ist, sagt Seidl. „Zu mir hat mal ein alter Kollege gesagt: Vielen von uns ist es wichtig, dass das, was vor der Garage steht, etwas her macht. Was im Magen landet, ist egal. Das kann ich inzwischen so unterstreichen. Viele kaufen sich einen teuren Weber-Grill, legen aber billigstes Fleisch drauf.“ Robert Seidl redet sich angesichts dieses Ungleichgewichtes regelrecht in Rage, was so gar nicht zu seinem eher ruhigen und besonnenen Charakter passt. Eine Gemütslage, die verdeutlicht, wie ernst sich die Lage für ihn und seine Mitstreiter derzeit gestaltet.
Denn um weiter Bestehen zu können, muss er stetig in neue Gerätschaften investieren, um konkurrenzfähig zu bleiben. Auch der betriebswirtschaftliche Aspekt spielt bei vielen Anschaffungen – Stichwort: Abschreibungen – eine Rolle. Zudem muss er dafür sorgen, dass sein Angebot weiter so facettenreich bleibt wie bisher, um nicht weitere Kunden zu verlieren. Dass die Qualität dem hohen Standard weiter gerecht wird, ist sein eigener Anspruch. „Ich könnte auch billiger produzieren, klar, beispielsweise mehr Fett verarbeiten. Aber das will ich nicht.“ Er arbeitet manchmal soviel – an einem Donnerstag, dem „Hauptkampftag“, von 2 Uhr morgens bis 7 Uhr abends -, dass dies bereits körperliche Auswirkungen hat. Für Entlastung in Form von Personal fehlt aus genannten Gründen das Geld – und bekannterweise auch die menschlichen Ressourcen.
„Unser größten Problem sind die Energiekosten“
Immer wieder erwischt sich Robert Seidl bei dem Gedanken, einfach aufzuhören. Seinen Ein-Mann-Betrieb zu schließen. Irgendeinem anderen Beruf nachzugehen. Doch ganz so einfach ist das nicht. Das Haus ist auf seine Selbstständigkeit als Metzger ausgelegt. Investitionen müssen noch abbezahlt werden und sollen sich auch rentieren. Ebenso spielt das Herzblut für das eigene Projekt eine Rolle. Ein sanfter Ausstieg ist praktisch unmöglich. „Ich muss weitermachen, bis es ansteht. Ein Ende ist nur durch Insolvenz möglich“, hadert er. „Und eine Pleite möchte ich mit allen Mitteln verhindern. Das ist Ehrensache.“
Ähnlich wie Robert Seidl geht es vielen Bäckern im Bereich der Innung Passau, deren Gebiet sich über die Altlandkreise Wolfstein und Grafenau bis nach Pocking und Bad Griesbach erstreckt. „Unser größtes Problem sind die Energiekosten. Wir sind ein energieintensives Handwerk, was alleine das Wort ‚backen‘ schon deutlich macht“, berichtet Obermeister Hans-Peter Wagner. Der 58-Jährige leitet eine Bio-Bäckerei mit 160 Mitarbeitern. Nach der Insolvenz seines Gasversorgers musste er Nachschub über die Notversorgung kaufen. „Dabei habe ich das Zehnfache vom normalen Preises bezahlt.“ Ein Importstopp von russischem Gas würde das (Ausgaben-)Fass wohl endgültig zum Überlaufen bringen. „Je nachdem, wann der Kollege zuletzt Öl oder Gas getankt hat, wird’s demnächst schwierig.“
Und dann werden wohl mehr Bäcker und Metzger wie Robert Seidl verstärkt Büroarbeit machen müssen, um zu kalkulieren, zu rechnen und umzuschichten, damit sie das Schlimmste noch verhindern können…
Helmut Weigerstorfer