Bodenmais/Waldkirchen/Przemysl. Kurz vor der Ankunft in der Heimat wurde Christian Fischer nahe des Grenzübergangs bei Bayerisch Eisenstein erst so richtig bewusst, wie es um das Nervenkostüm seiner Mitfahrer bestellt ist. „Als wir durch ein dichtes und sehr finsteres Waldstück gefahren sind, wurde es im Wagen plötzlich ganz still. Da hat man gemerkt, welche Angst diese Menschen haben – und wie traumatisiert sie sind.“ Dieses Erlebnis und die daraus resultierende Erkenntnis sorgten beim 53-Jährigen für einen Moment des Innehaltens. Er fühlte sich aber gleichzeitig darin bestätigt, dass er das, was er macht, richtig ist – und sich die damit verbundenen Strapazen lohnen.

Hilfe für die Ukraine: Christian Fischer (3.v.l.) und Günther Aschenbrenner (4.v.r.) haben bereits drei Konvois organisiert, die Hilfsgüter nach Osteuropa bringen und Flüchtlinge mit nach Deutschland nehmen.
Seit der Ukraine-Invasion der russischen Truppen hat der Bundespolizist aus Bischofsmais an drei Wochenenden in seiner Freizeit Hilfskonvois an die polnisch-ukrainische Grenze organisiert – und auch selber bestritten. Jeweils am Freitagnachmittag ging es los. 920 Kilometer später wurden im Flüchtlings-Hotspot Przemysl die mitgebrachten Hilfsgüter abgeladen. Mit einem Neunsitzer voller Flüchtlinge stand dann – mehr oder weniger ohne Schlaf – die zehnstündige Heimreise an, die irgendwann in der Nacht auf Sonntag ihr Ende fand. Es ist, soviel steht fest, eine großartige, nachahmenswerte Leistung, die Christian Fischer und seine Mitstreiter da vollbracht haben. Er selbst spielt das Ganze jedoch herunter. „Im Vergleich zu dem, was die Ukrainer derzeit miterleben müssen, ist das eine Lappalie.“
Bisher 55 Flüchtlinge nach Deutschland gebracht
Die Zerstörung im osteuropäischen Land, Leid und Tod unter den Soldaten und der Zivilbevölkerung, die große Masse an Flüchtlingen – diese Bilder in den Medien ließen auch Christian Fischer nicht mehr los. Er beschäftigte sich mit jedem Tag intensiver mit dem Angriffskrieg der russischen Armee, postete entsprechende Berichte auf seinem Facebook-Profil und diskutierte mit befreundeten Usern darüber. „Irgendwie habe ich mich immer mehr ohnmächtig gefühlt“, blickt der Bischofsmaiser zurück. „Deshalb reifte in mir die Idee, direkt zu helfen.“ Diese Gedanken teilte er wiederum über die bekannte Social-Media-Plattform. Und die Resonanz war überwältigend. „Innerhalb kürzester Zeit haben sich nicht nur sieben Fahrzeuge gefunden, sondern auch die entsprechenden Fahrer und Beifahrer sowie viele, viele Hilfsgüter.“
Unter anderem meldete sich Günther Aschenbrenner aus Waldkirchen, der die Organisation im Unteren Wald übernommen hat, während Christian Fischer im Landkreis Regen verstärkt aktiv ist. Gefahren wurde dann gemeinsam. „Bei der ersten Fahrt haben wir 37 Flüchtlinge mit nach Deutschland genommen. Dann waren es sieben. Und am vergangenen Wochenende elf.“ Während der Ausgangspunkt des Hilfskonvois variierte, war der Umschlagspunkt immer derselbe: nämlich der polnische Grenzort Przemysl. Durch Internetrecherchen hat Fischer erfahren, was sich dann vor Ort bestätigte: Die Stadt im Karpatenvorland ist das Lampedusa der 2022er-Flüchtlingswelle.
„Es wird geweint, geschwiegen und geschrien“
„Dort geht es scheinbar in diesen Tagen drunter und drüber. Aber das ist ein geordnetes Chaos. Die Helfer haben das gut im Griff und bewahren – auch wenn es irgendwie unwirklich erscheint – den Überblick.“ Es muss nicht nur die Verteilung der aus dem Westen kommenden Hilfsgüter in Richtung Ukraine koordiniert werden. Zudem gilt es die vielen flüchtenden Menschen erst einmal zu versorgen und dann weiterzuleiten. Und es sind Bilder, die bleiben. „Da sind viele Frauen, viele kleine Kinder, auch alte Menschen. Es wird geweint, einfach nur geschwiegen, manchmal geschrien“, beschreibt Christian Fischer die Situation vor Ort. „Der örtliche Bahnhof ist proppenvoll. Er dient als eine Art Notunterkunft.“

Der Bundespolizist aus Bodenmais will einfach nur helfen – die damit verbundenen Mühen und Strapazen nimmt er gerne auf sich.
Es ist schwierig, in dem Gemenge die „richtigen“ Personen ausfindig zu machen, die Christian Fischer, Günther Aschenbrenner & Co. mit nach Deutschland nehmen wollen. Viele möchten lieber in die Großstädte, nicht aufs Land. Andere fragen, ob man einen Umweg fahren könnte, um an einen gewissen Ort zu kommen, an dem sich bereits Verwandte befinden. „Wir nehmen aber nur Flüchtlinge mit, die unabhängig reisen und die bewusst auch zu uns wollen.“ Das hat Fischer zufolge bisher auch ohne Probleme geklappt. Dank der umsichtigen, freundlichen und kompetenten Helfer. „Und das, obwohl die Wenigsten Deutsch oder gar Englisch können. Aber mit Händen und Füßen geht es dann doch irgendwie.“
Berührungsängste, Sprachbarriere und heikle Fragen
Sind die Fahrer vielleicht Schleuser, die uns nichts Gutes wollen? Sind die Mitfahrer womöglich gewalttätig und setzen uns gleich das Messer an den Hals? Freilich fahren von Polen bis in den Bayerwald solche Fragen auf beiden Seiten mit. Hinzu kommen generelle Berührungsängste und die Sprachbarriere. „Bisher ist es aber zu keinen derartigen Vorkommnissen gekommen“, berichtet Christian Fischer. „Vielen kann man die Dankbarkeit direkt von den Augen ablesen.“ Und zu einigen, die inzwischen irgendwo rund um Falkenstein, Lusen und Dreisessel untergebracht sind, besteht immer noch loser Kontakt.

An den Wänden des Bahnhofes im polnisch-ukrainischen Grenzort Przemysl sind Bilder von Flüchtlingskindern angebracht worden.
Christian Fischer ist es ein großes Anliegen, in diesem Zusammenhang nicht nur seinen Mitstreitern zu danken. Sondern auch den Sponsoren und Geldgebern. „Wir hatten eigentlich noch nie Probleme damit, Fahrzeuge zu bekommen, den Sprit selber zahlen zu müssen oder die Wagen nicht mit Hilfsgütern voll zu bekommen. Auch haben sich immer genügend Fahrer gemeldet. Das ist einfach nur überragend.“ Die Dankbarkeit der Menschen in Polen bzw. der Ukraine sowie die Hilfsbereitschaft der Waidler sorgen dafür, dass Fischer und Aschenbrenner weitere Konvois organisieren werden. Wann genau, entscheidet sich kurzfristig. Beide wissen nun aber, dass sie dichtere Waldstücke künftig meiden sollten…
Helmut Weigerstorfer
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Auf seinem Facebook-Profil informiert Christian Fischer rechtzeitig, wann der nächste Hilfskonvoi ansteht – und was dafür noch gebraucht wird.